Novartis hat zwischen Ende Juni und Ende September Medikamente im Wert von 13,9 Milliarden Dollar verkauft. Das waren wechselkursbereinigt 7 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Novartis wächst schneller als der weltweite Medikamentenmarkt.
Trotzdem ist der Aktienkurs am Mittwoch nach Bekanntgabe des Zwischenergebnisses eingebrochen. Die Titel verloren im Morgenhandel an der Six Swiss Exchange fast 3,5 Prozent und sind wieder unter die Kursmarke von 100 Franken zurückgeglitten, die sie im Februar erstmals nach einer dreijährigen Phase mit positiven Wachstumsüberraschungen überschritten hatten.
Der Schrecken heisst «Entresto»
Die Vorsicht der Investoren trägt den Namen «Entresto»: Die Herzpille, die Novartis vor zehn Jahren nicht ohne Schwierigkeiten in den Verkauf bringen konnte, geniesst in den USA keinen patentrechtlichen Konkurrenzschutz mehr. Seit Mitte Jahr sind dort verschiedene billige Nachahmerprodukte erhältlich. Es ist für Medikamentenhersteller keine grosse Sache, Pillen mit der einfachen chemischen Formel von Entresto nachzuahmen. Dementsprechend gross ist jetzt die Billigkonkurrenz.
Das ist eine Herausforderung für Novartis. Die Pille war in den vergangenen Jahren der Wachstumsmotor des Konzerns schlechthin. 2024 beliefen sich ihre Verkäufe auf 7,8 Milliarden Dollar (vgl. Grafik), was ganze 31 Prozent oder 1,8 Milliarden Dollar mehr als im Vorjahr waren. Herz-Kreislauferkrankungen sind weltweit besonders häufig und Entresto war während zehn Jahren der alleinige Goldstandard.
In den vorliegenden Quartalszahlen von Novartis werden die Folgen des Patentablaufs erstmals sichtbar. Das Wachstum im dritten Quartal fiel deutlich geringer aus als das Umsatzwachstum der ersten neun Monaten (11 Prozent). Das hat vor allem damit zu tun, dass Entresto in den ersten zwei Quartalen in den USA noch den Patentschutz genossen hatte. Die Verkäufe von Entresto sind zwar im Berichtsabschnitt nicht völlig eingebrochen, aber das Wachstum ist weg.
Dabei war die lange Blockbusterkarriere von Entresto keine Selbstverständlichkeit. Die Pille beruht zum einen auf dem Molekül «Valsartan», das bei Novartis ab 2002 schon unter dem Namen «Diovan» zum unerreichten Kassenschlager geworden war. Zum anderen enthält Entresto das Molekül «Sacubitril», das ebenfalls schon vor Jahrzehnten die pharmakologische Weltbühne betreten hatte.
Diese Kombination von alten Wirkstoffen war der Solidität des Patentschutzes von Entresto nicht förderlich, sagt ein erfahrener Patentrechtlicher. Trotzdem schaffte es Novartis, den Patentschutz der Superpille bis zum absoluten Endpunkt erfolgreich zu verteidigen.
Aber wie geht es nun weiter? Die Verkäufe von Entresto in den USA werden in den verbleibenden Monaten des Jahres weiter stark sinken und im kommenden Jahr dürfte dem Medikament auch in Europa scharfe Konkurrenz erwachsen. Auch die beiden Krebsmittel Promacta und Tasigna haben im laufenden Jahr ihren Konkurrenzschutz verloren. Die Präparate haben allerdings schon im vergangenen Jahr keine Wachstumsimpulse für Novartis mehr geliefert, sodass ihr sukezssiver Umsatzausfall weit weniger schmerzhaft für die Aktionäre werden dürfte als der Abschied von Entresto.
Neue Blockbuster gesucht
Novartis hat eine ganze Reihe von neueren Medikamenten, die auf dem Weg sind gross herauszukommen. Dazu gehört insbesondere der Cholesterinsenker Leqvio, den der Konzern 2019 mit der 10-Milliarden-Dollar teuren Übernahme von «The Medicines Company» zugekauft hatte. Leqvio dürfte im laufenden Jahr die Milliarden-Umsatzmarke ritzen und zum grössten Wachstumstreiber des Konzerns avancieren.
Solche Produkte benötigt Novartis in den kommenden Jahren allerdings einige. Nach Berechnungen von Goldman Sachs wird Novartis bis 2036 den Patentschutz von Medikamenten verlieren, die derzeit noch über 40 Milliarden Dollar Umsatz pro Jahr einspielen. Zwar bieten sich auf dieser langen Strecke auch etliche Chancen mit zugekauften oder selbst entwickelten Neuheiten. Doch die Investoren interessieren sich mehr für kürzere Zeiträume. Da ist Novartis stark gefordert.
Vor diesem Hintergrund hat der Konzern gestern auch eine grosse Akquisition im Wert von 12 Milliarden Dollar in den USA vorgenommen. Mit dem Einkauf von Avidity Biosciences wettet Novartis darauf, dass sich die noch relativ junge Technologie der Antikörper-Wirkstoff-Konjugate, die sich in der Onkologie zu bewähren scheint, nun auch auf Krankheiten wie genetisch bedingten Muskelschwund anwenden lässt. Novartis-Chef Vasant Narasimhan verspricht bis Ende 2030 bereits neue Umsätze im Muliti-Milliarden-Bereich. Es sind die Milliarden, die Novartis wegen der Patentabläufe ersetzen muss. Die Aktionäre müssen sich auf eine Achterbahnfahrt einstellen.


