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GASTKOMMENTAR

Zu viel Bürokratie verschärft die Wohnungsknappheit in der Schweiz

Die Verfahren für eine Baubewilligung dauern zu lange, und die Einsprachen gegen Bauprojekte sind oft absurd. Gegen den Mangel an Wohnraum helfen einfachere und klarere Regeln.
Wohnungen in der Schweiz sind knapp.
Bild: Keystone

In seiner Kurzgeschichte «Poseidon» erzählt Franz Kafka vom Meeresgott Poseidon, wie er tagein tagaus an seinem Schreibtisch sitzt und endlos das Meer verwaltet – so beschäftigt mit Akten, dass er sein eigenes Reich kaum kennt. Ein Sinnbild für die Schweizer Baupolitik, die der eigenen Bürokratie gegenüber machtlos zu sein scheint.

In Zürich herrscht eine Leerstandquote von mageren 0,07 Prozent, also sind auf 10'000 Wohnungen gerade einmal 7 frei. Trotz enormer Nachfrage wurde im Jahr 2023 in Zürich gar weniger gebaut als im Durchschnitt von 2010-2020. Statt sich mit dieser stagnierenden Bautätigkeit und den banalen bürokratischen Barrieren, die deren Fundament bilden, zu befassen, spricht man öffentlich lieber über blutrünstige Immobilienhaie und neue Behörden.

Formular von 14 Seiten für den Austausch einer Geschirrspülmaschine

Reformbedarf besteht gerade bei den langwierigen Bewilligungsverfahren. Baubewilligungserteilungen bedürfen heute doppelt so viel Zeit wie vor zehn Jahren. Diese Verzögerungen tragen massgeblich zur Wohnungsknappheit bei - die wiederum den morbiden Trend erklärt, Todesanzeigen abklappern, um nach leerstehenden Wohnungen zu suchen. Mehr Ressourcen für Bewilligungs- und Rekursinstanzen sowie eine bessere Abstimmung zwischen den Fachstellen könnten hier spürbare Abhilfe schaffen, wie auch eine Studie im Auftrag mehrerer Bundesämter zeigt.

In Basel, das für einige als Vorbild für Zürich und die Schweiz dient, führt die 2022 erschaffene Wohnschutzkommission die Bewilligungspflicht ad absurdum. So musste für den Austausch einer Geschirrspülmaschine auf Wunsch der Mieterschaft und ohne Mietzinserhöhung ein 14-seitiges Formular ausgefüllt werden. In einem anderen Fall genehmigte die Kommission den Einbau einer 50’000-Franken-Küche mit vereinbarter Mieterhöhung von 120 Franken nur, wenn die Miete höchstens um 12 Franken steigt – was einer Amortisation von über 347 Jahren entspricht. Der Regierungsrat Basel-Stadt revidiert nun nach nur zwei Jahren die Wohnraumschutzverordnung bereits, um Verfahren zu vereinfachen.

Doch ist die Baubewilligung erst erteilt, wartet die nächste Hürde. Laut Studie stellen für 90 Prozent der Befragten Einsprachen und Rekurse eine der grössten bürokratischen Barrieren dar. Diese Verfahren verzögern nicht nur dringend nötige Bauprojekte, sondern führen durch längere Bauzeiten auch zu höheren Mieten.

Es geht hier nicht darum, «schützenswerte Interessen» zu beschneiden, sondern darum, absurde und missbräuchliche Einsprachen zu verhindern. In der Schweiz genügt es teils, im Umkreis von 100 Metern eines Projekts zu wohnen, um Einsprache zu erheben. So wurde etwa eine Altbausanierung wegen der Fensterfarbe blockiert, obwohl diese vom Gebäude der einsprechenden Person nicht sichtbar war. Eine engere Auslegung des schutzwürdigen Interesses und moderate Gebühren wären hiergegen sinnvolle Gegenmassnahmen.

Statt neuer Wohnungen entstehen Aktentürme

Nichts liegt mir ferner, als Bewilligungen und Einsprachen pauschal als Humbug abzustempeln. Es gibt zwar Beispiele von missbräuchlichen, teils gar erpresserischen Einsprachen, doch der Fall der Sugus-Häuser in Zürich zeigt, wie zentral gerade das Einspracherecht sein kann. Wer das ignoriert, verkennt die Realität der Wohnungsnot.

Jedoch verkennt auch jemand die Notlage, der alle Vermieter als renditegierige Immobilienhaie darzustellen sucht und dabei übersieht, dass die Wohnungsnot oft nicht ohne umfassenden Bauaufwand zu bewältigen ist. Ein Bauaufwand, der durch die bestehende Bürokratie und durch einen allfälligen Mietpreisdeckel erheblich beeinträchtigt wird. Neue Wohnungen entstehen dadurch zwar keine, aber immerhin neue Aktentürme.

Wie Kafkas Poseidon sitzt auch die Schweizer Wohnbaupolitik an einem überladenen Schreibtisch, auf dem sich Formulare, Bewilligungen und Einsprachen haushoch türmen; so sehr, dass sie den Blick aufs Meer längst verloren hat. Wer die Wohnungsnot wirklich lindern will, muss diesen Schreibtisch aufräumen: mit schnelleren und besser koordinierten Bewilligungsverfahren, klareren Regeln gegen missbräuchliche Einsprachen und Vorgaben, die Investitionen in neuen Wohnraum fördern, statt ihn zu verhindern. Nur so kann die Politik wieder auf ihr eigentliches Ziel blicken: Wohnraum für alle zu schaffen, statt nur Akten zu verwalten.