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«Wir wollen starke Gemeinden»

Regierungsrat Urs Hofmann verteidigt im MZ-Interview die Gemeindereform engagiert. Er erwartet davon eine Stärkung der Gemeindelandschaft.

Mathias Küng

Derzeit laufen mehrere Gemeindefusionsdebatten. Braucht es da überhaupt eine Reform, die Fusionen fördert?
Urs Hofmann: Die heutige Gesetzgebung birgt Hindernisse, die gewisse Gemeinden von solchen Gesprächen mit Nachbargemeinden abhalten und die den Verzicht auf sinnvolle Zusammenschlüsse nach sich ziehen können. Ich rede von der als «Heiratsstrafe» bezeichneten Anrechnung des Grundbedarfs.

Die soll mit dieser Reform ja abgeschafft werden. Das bringt mehrere kleine Gemeinden in Fusionszwang. Gewollt?
Hofmann: Parallel zur Abschaffung des Grundbedarfs wurden flankierende Massnahmen ergriffen. So wird künftig die Fläche der Gemeinden beim Finanzausgleich erheblich stärker gewichtet. Zahlreiche weitere Faktoren wurden so angepasst, dass vor allem ländliche Gemeinden mit dieser neuen Regelung deutlich besser fahren werden. So würden z. B. Menziken, Murgenthal oder Densbüren zusätzliche Finanzausgleichszahlungen von 8 bis 9 Steuerprozenten erhalten. Es stimmt aber, dass diese Änderung einzelne, auch flächenmässig kleine Gemeinden spürbar trifft.

Welche?
Hofmann: Es sind Kleinstgemeinden, die teilweise erheblich mehr Finanzausgleich erhalten, als sie eigene Steuererträge haben. Die klare Mehrheit des Grossen Rates erachtet es als nicht sinnvoll, solche Gemeinden auf Dauer durch falsche Anreize von sinnvollen Zusammenschlüssen abzuhalten. Denn diese Mittel müssen schliesslich von den Steuerzahlenden aufgebracht werden.

Für viele ist das ein Angriff auf die Gemeindeautonomie.
Hofmann: Nein. Es trifft Kleinstgemeinden, die schon mit dem heutigen System praktisch keinen eigenen finanziellen Handlungsspielraum mehr haben. Im Rahmen ihrer Gemeindeautonomie können sie kaum noch frei entscheiden, weil fast alle Mittel gebunden sind. Der Sinn der Gemeindeautonomie ist aber, dass die Stimmberechtigten über ihre Angelegenheiten und die Entwicklung ihrer Gemeinde mit einem wirklichen Selbstbestimmungsrecht und in Eigenverantwortung entscheiden können.

Umgekehrt hat dafür jede Einzelne und jeder Einzelne in einer kleinen Gemeinde mehr Stimmkraft als in einer fusionierten grösseren Gemeinde.
Hofmann: Niemand will im Aargau Riesengebilde! Es geht um Gemeinden von einer Grösse, wie wir sie in allen Regionen schon zu Dutzenden haben. Hier funktioniert die Gemeindedemokratie bestens.

Und Sie sehen Gemeinden, wo das faktisch kaum noch geht?
Hofmann: Wenn ein Gemeindeammann sagt, er habe noch einige tausend Franken, über die man frei entscheiden kann: Wo will ich dann von meinem Stimmrecht überhaupt Gebrauch machen? Gemeindeautonomie setzt Handlungsspielraum voraus. Ist dieser allzu sehr eingeschränkt, sind die demokratischen Mitwirkungsmöglichkeiten der Bevölkerung nach einem Zusammenschluss zu einer etwas grösseren Gemeinde weit besser gewährleistet!

Die SVP befürchtet, es gehe der Regierung eher darum, die eigene Macht zu stärken.
Hofmann: Das Gegenteil ist der Fall! Wir wollen starke Gemeinden, die ihre Zukunft mit freien Mitteln an die Hand nehmen und selbstbewusst auftreten können. Ginge es der Regierung darum, den Einfluss des Kantons zu stärken, müssten wir uns die Erhaltung möglichst vieler Kleinstgemeinden wünschen, die kaum noch etwas bewirken können. Dann könnte der Kanton die Marschrichtung vorgeben.

Hauptkritikpunkt der Referendumsführerin SVP ist der so genannte Zwangsparagraf. Gab es denn schon mal eine Situation, in der man ihn gebraucht hätte?
Hofmann: Nein, bisher gab es im Aargau keine solche Situation und auch in Zukunft werden dies - wenn überhaupt - seltene Einzelfälle sein. Wir hatten jedoch schon Situationen, in denen der Kanton Sachwalter einsetzen musste, 2007 etwa in Rekingen. Dort war dann aber wieder eine Bestellung der Gemeindebehörden möglich.

Warum dann dieser Paragraf?
Hofmann: Es stellt sich die Frage, was zu tun ist, wenn eine Gemeinde über längere Zeit nicht mehr genug Gemeinderäte stellen kann oder die Mittel nicht mehr hat, um ihren Verpflichtungen nachzukommen. Dann muss der Regierungsrat nach geltendem (und auch nach künftigem) Gesetz zunächst einen Sachwalter einsetzen, der die Geschicke der Gemeinde leitet. Wenn es diesem binnen etwa zwei Jahren nicht gelingt, erfolgreich Wahlen durchzuführen oder die Gemeinde zu sanieren, stellt sich die Frage, wie es weitergeht.

Und dafür gibt es bisher keine Regelung?
Hofmann: Ja, die fehlt heute. Das praktische Problem in so einem Fall wird sein, dass die Nachbargemeinden ein Fusionsangebot dankend ablehnen, da die unter Sachwalterschaft stehende Gemeinde in der Regel finanziell unattraktiv ist.

Und dann?
Hofmann: Dann bliebe nach heutigem Recht die Demokratie in der betreffenden Gemeinde auf unabsehbare Zeit ausgeschaltet. Es gäbe keine Abstimmungen und keine Wahlen mehr. Das ist unwürdig, das wollen wir nicht. Für solche Extremfälle soll der Grosse Rat mit der Gemeindereform die Möglichkeit bekommen, mit absoluter Mehrheit der Stimmen einen Zusammenschluss mit einer Nachbargemeinde - auch gegen den Willen der Nachbargemeinde - anzuordnen. Gleichzeitig kann er dieser Nachbargemeinde auch die nötigen Mittel zusprechen, damit die Übernahme für sie selbst nicht finanzielle Nachteile bringt.

Meinen Sie damit die Pro-Kopf-Pauschalbeiträge, die bei Fusionen ausbezahlt werden?
Hofmann: Nein, die sind für alle Zusammenschlüsse vorgesehen. In einer solchen Ausnahmesituation würden zusätzliche Mittel bereitgestellt, damit die übernehmende Gemeinde nicht schlechter gestellt ist als vorher. Sie sehen: Auch hier soll eine allseitig faire Lösung getroffen werden.

Kommen wir zurück auf die Gemeinden, die durch die Reform unter Druck geraten. Die SVP spricht von 40, der Kanton von 13. Wie kommen Sie darauf?
Hofmann: Bei 13 Gemeinden würde es effektiv schwierig, weil sie nach unserer Modellrechnung mit über 20 Steuerprozenten belastet wären. Vier von ihnen haben aber schon eine Fusion beschlossen, drei sind in Gesprächen. Letztlich stellt sich die Frage also noch für sechs Gemeinden, vier davon im Studenland. Letztere haben inzwischen schon den Zusammenschluss ihrer Verwaltungen beschlossen. Aber sie können sich heute vernünftigerweise nicht zusammenschliessen.

Warum, wer verbietet das?
Hofmann: Niemand. Aber wenn sie nach dem geltenden Gesetz fusionieren würden, träfe sie die «Heiratsstrafe» voll. Denn der neuen Gemeinde würde nur noch ein Grundbeitrag angerechnet. Die neue Gemeinde hätte also deutlich weniger Mittel.

Und mit Gemeindereform?
Hofmann: Da bekämen die neun Studenland-Gemeinden im Zurzibiet als Startbasis während acht Jahren insgesamt rund 27 Millionen Franken. Das ist bedeutend mehr als heute via Finanzausgleich. Dies auch, weil Fusionsbeiträge an ländliche Gemeinden bewusst höher ausfallen als bei Zusammenschlüssen in städtischen Regionen.

Die Gegner der Vorlage ärgern sich, dass auch gut gestellte Gemeinden bei einer Fusion Geld bekommen. Brauchen sie diese Mittel wirklich?
Hofmann: Am Anfang führen Zusammenschlüsse immer zu Mehraufwand. Auch bei gut dastehenden Gemeinden. Wenn ich etwa an den Zusammenschluss von Zofingen mit Uerkheim denke, so hat diese Vorortsgemeinde einen eher hohen Steuerfuss. Dasselbe lässt sich von Rohr (Zusammenschluss mit Aarau) sagen. Es ist sinnvoll und fair, dass auch sie - zwar zu einem weit tieferen Ansatz - die Nachteile des Zusammenschlusses ausgeglichen bekommen.