Die erste Frage eines sechzehnjährigen Mädchens an der Hotelrezeption auf Kreta lautet heute: «Wie heisst das Passwort fürs WLAN?» Der Grund: Statt mit ihrer Jugendliebe täglich zig Dutzend SMS hin und her zu schicken, was wegen der hohen Roaming-Gebühren teuer ist, nutzt sie lieber die Online-Applikation WhatsApp.
Das braucht einen Internetzugang, den Sie über den drahtlosen WLAN-Netzzugang des Hotels gratis bekommt. Das Versenden der Nachrichten ist dann auch gratis. Und auch Bilder und Videos können gratis versandt werden.
Für die Telekommunikationsbranche ist der 2009 in den USA lancierte IT-Start-up zusammen mit anderen sogenannten Social Messaging Players wie Viber, Threema, Line oder iO ein Graus.
Allein 2012 haben sie den klassischen Telekom-Unternehmen Umsätze in der Höhe von 23 Milliarden Dollar geklaut. Bis 2016 werden die Telekom-Operatoren wegen der neuen Smartphone-Nachrichten-Apps 54 Milliarden Dollar verlieren. So die Zahlen des auf die Telekombranche spezialisierten Marktforschungsinstituts Ovum.
Das ist umso schmerzlicher, als Nachrichtendienste einstmals die grössten Beiträge zum Nicht-Stimmen-Geschäft der Telekom-Konzerne lieferten.
2010 waren es gemäss Ovum 53 Prozent. 2017 dürfte er noch bei 37 Prozent liegen. Swisscom, Sunrise und Orange publizieren keine Umsatzzahlen zu den SMS.
Doch auf Anfrage wird klar, dass der einstige Wachstumsbereich SMS heute ausgedient hat. Unternehmen wie Swisscom sind froh, wenn sie das aktuelle Niveau von 7,7 Millionen SMS pro Tag halten können. Ovum erwartet aber im laufenden Jahr einen weltweiten Rückgang des SMS-Volumens um 7 Prozent.
Neue Abos mit unbeschränkt SMS
Des Operators Leid ist des Konsumenten Freud. «Die Schweizer Telekom-Anbieter haben ihre Preispläne – wohl aufgrund der Konkurrenz durch WhatsApp – angepasst», sagt Ralf Beyeler, Head of Telecom beim Marktforschungsunternehmen Comparis.ch.
Bei den aktuellen Abos von Swisscom, Orange und Sunrise seien heute SMS unbeschränkt dabei. «Bei Abos von anderen Anbietern sowie Prepaid-Angebote von allen Anbietern werden SMS noch separat verrechnet», so Beyeler.
Doch aufgepasst: Auch bei älteren Abos können noch SMS-Gebühren anfallen. Sunrise-Kunden mit einem Flat-Basic-Abo zahlen heute pro SMS immer noch 12 Rappen.
Das ist zwar schon deutlich günstiger als die 20 Rappen, die Sunrise noch vor ein paar Jahren verrechnete. Aber mit den Abos der neusten Generation verschwinden SMS-Gebühren vollständig. Bei Sunrise heissen die Abos Now, bei Swisscom Infinity und bei Orange Orange Me.
300 Millionen Dollar für WhatsApp
So lassen sich die Grundkosten deutlich senken. Ein Sunrise-Kunde, der heute etwa mit dem erwähnten Flat-Basic-Abo in den vergangenen Monaten Rechnungen zwischen 80 und 110 Franken erhalten hat, zahlt mit dem Now Classic in Monaten ohne Auslandaufenthalt noch 55 Franken.
SMS kann er so viele verschicken, wie er will. Allerdings sollte er beim Surfen im Internet mit dem Smartphone nicht mehr als 500 MB Daten runterladen.
Ganz gratis ist auch WhatsApp nicht. Das erste Jahr ist zwar kostenlos, danach kostet ein Jahresabo je nach Betriebssystem maximal 1 Franken respektive 99 US-Cents.
Bei den aktuell 300 Millionen Usern, die täglich rund 11 Milliarden Nachrichten verschicken, wird das WhatsApp also rund 300 Millionen Dollar einnehmen. Geld, das früher in die Kassen der Telekom-Industrie gewandert war. Diesen Erfolg haben auch Facebook und Apple aufhorchen lassen (siehe Box).
Kunden und Nutzer sind eins
2009 wurde WhatsApp von den beiden Ex-Yahoo-Entwicklern Jan Koum und Brian Acton gegründet. Über die Firmengeschichte ist wenig bekannt, die beiden Gründer meiden die Öffentlichkeit. Bei einem seiner raren Medienauftritte hatte Koum im Mai dieses Jahres beim Onlinemagazin «AllThingsD» über die Ursprünge gesprochen. «Ich erinnere mich, als ich nach Argentinien reiste und einer Freundin zum Geburtstag gratulieren wollte. Es war schwierig, sie zu erreichen, wegen dieses verwirrenden Vorwahlsystems. Ich dachte, das muss einfacher werden!» Als er im Januar 2009 nach New York zurückkehrte, kaufte sich Koum ein iPhone und feilte mit Kollege Acton an einer Software. Das Ziel: SMS über das Internet zu senden. Das geht schneller - und ist obendrein billiger. «Wir wollten einen Dienst aufbauen, wo Nutzer und Kunde eins sind», sagt Koum. Aus der Idee ist ein erfolgreiches Start-up geworden. 45 Mitarbeiter arbeiten heute in der WhatsApp-Niederlassung in Santa Clara in Kalifornien. Der Firmenwert von WhatsApp wird auf eine Milliarde US-Dollar geschätzt. Bei solch einer geringen Belegschaft ein gigantischer Wert. Kein Wunder, dass Facebook bereits seine Fühler ausgestreckt hat. Auch Microsoft und Apple haben Interesse bekundet. (LOB)