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Gender Pay Gap

Weniger Lohnunterschiede – aber dennoch mehr Diskriminierung?

Die Lohnunterschiede von Männern und Frauen in der Schweiz sind kleiner geworden. Diese good News des Bundes widersprechen jedoch die Gewerkschaften. Sie lesen aus denselben Zahlen einen Anstieg der Diskriminierung heraus. Kritik kommt auch von Arbeitgebern.

Von Gewerkschaftsseite werden seit längerem Forderungen nach härteren Gesetzen gegen Lohndiskriminierung erhoben. (Archivbild)
Bild: Keystone

Wer mehr als 16'000 Franken im Monat nach Hause bringt, ist meistens ein Mann. Wer bei einem Vollzeitpensum weniger als 4000 Franken verdient, ist in der Mehrheit der Fälle weiblich. An dieser Verteilung hat sich auch im Jahr 2020 nur wenig geändert, wie die am Dienstag vom Bundesamt für Statistik (BFS) veröffentlichten jüngsten Zahlen zur Lohnungleichheit in der Schweiz zeigen.

Insgesamt hat sich der sogenannte unbereinigte Gender Pay Gap laut den Zahlen des BFS 2020 aber etwas verringert, und zwar um einen Prozentpunkt. Konkret: Die Lohnunterschiede sanken im jüngsten Erhebungszeitraum von 19 Prozent im Jahr 2018 auf noch 18 Prozent.

Ein grosser Teil dieser Unterschiede lässt sich laut Bundesamt für Statistik mit «strukturellen Faktoren» erklären. Dazu gehören laut BFS etwa die Anzahl Dienstjahre oder die Ausübung einer Führungsfunktion. Ausgeprägt ist der Geschlechterunterschied denn auch vor allem am oberen Ende der Skala: Dort machen die Männer mit 78,5 Prozent eine erdrückende Mehrheit aus. 2018 lag dieser Wert sogar noch über 80 Prozent. Bei den Geringverdienenden ist die Kluft zwischen den Geschlechtern weniger gross: Die Männer sind hier mit immerhin zu rund 40 Prozent vertreten.

Diskriminierung noch nie so krass wie 2020?

47,8 Prozent der Lohnunterschiede bleiben laut der Untersuchung des BFS «unerklärt», was auf eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts hindeuten kann. Erstaunlich: Seit 2018 ist der Anteil der unerklärten Differenzen sogar noch gestiegen, und zwar von 45 auf rund 48 Prozent. Und noch erstaunlicher: Am stärksten war dieser Anstieg ausgerechnet bei Bund, Kantonen und Gemeinden. Waren hier 2016 noch 35 Prozent der Lohnunterschiede unerklärt, sind es 2020 bereits 45 Prozent.

Für Travailsuisse ist derweil klar: «Die Lohndiskriminierung von Frauen hat erneut zugenommen.» Die Lohndiskriminierung sei «noch nie so hoch» gewesen, schreibt der Gewerkschaftsdachverband in einer Mitteilung vom Dienstg. Und: «In kleinen KMU ist Lohndiskriminierung sogar zur Norm geworden.»

Laut BFS ist der unerklärte Anteil der Lohndifferenz bei Betrieben mit weniger als 20 Mitarbeitenden derweil von rund 58 Prozent im Jahr 2018 auf knapp 57 Prozent im Jahr 2020 leicht gesunken, bei Grossunternehmen mit mindestens 1000 Mitarbeitenden ist er dagegen im selben Zeitraum von rund 32 Prozent auf gut 37 Prozent gestiegen.

Arbeitgeber widersprechen Bund

Die Interpretation der Gewerkschaften blieb am Mittwoch nicht lange unwidersprochen. In einer eigenen Medienmitteilung brachte der Arbeitgeberverband eine andere Auslegung der BFS-Statistik vor. Darin wird bezweifelt, dass der vom BFS als «unerklärt» deklarierte Wert tatsächlich einer eigentlichen Diskriminierung entspricht.

Auffällig sei etwa, dass sich der unerklärte Anteil ausgerechnet im öffentlichen Sektor um 9,5 Prozentpunkte erhöht hat, während der Anstieg im privaten Sektor nur bei einem Prozent liegt.

«Diese erstaunlich hohe Zunahme im öffentlichen Sektor ist durchaus bemerkenswert und lässt an den Schlussfolgerungen zum unerklärten Lohnunterschied zweifeln», so die Arbeitgeber. Der Vergleich des BFS lasse nämlich relevante Merkmale wie etwa die effektive Berufserfahrung ausser Acht. Weiter verweisen die Arbeitgeber darauf, dass das BFS selbst die unerklärte Lohndifferenz im Gegensatz zu den Gewerkschaften ausdrücklich nicht als quantitatives Mass für Lohndiskriminierung interpretiert.

Strengere Gesetze und Internet-Pranger sollen Abhilfe schaffen

Dessen ungeachtet sieht der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) in seiner Reaktion politischen Handlungsbedarf: «Offenbar konnte das revidierte Gleichstellungsgesetz nicht die gewünschte Wirkung erzielen, eine konsequente Umsetzung ist deshalb zwingend», schreibt er.

Dies sieht auch Travailsuisse so: «Mittelfristig muss das Parlament die Arbeit wieder aufnehmen und die Pflicht zur Überprüfung der Lohngleichheit für alle Unternehmen ab 50 Angestellten definitiv verankern und bei Nichteinhaltung entsprechende Sanktionen vorsehen», wird Valérie Borioli Sandoz in der Mitteilung zitiert. Das revidierte Gleichstellungsgesetz, das seit gut zwei Jahren in Kraft ist, schreibt die obligatorische Überprüfung der Lohnungleichheit nur für Unternehmen mit mehr als 100 Mitarbeitenden vor.

Zudem fordert der SGB, dass auch bei der Vereinbarkeit von bezahltem und unbezahltem Engagement «klare Fortschritte erzielt werden» müssten. Denn solange die Betreuung von Kindern und Angehörigen als Privatsache wahrgenommen werde, blieben Frauen bei tiefen Einkommen über- und bei hohen Löhnen untervertreten.

Travailsuisse fordert derweil Arbeitnehmende auf, ihre Unternehmen zu melden, wenn sie eine solche Überprüfung unterlassen. Die fehlbaren Unternehmen werden dann auf einer schwarzen Liste im Internet an den Pranger gestellt. Der Arbeitgeberverband verweist dagegen auf eine Auswertung der Universität St. Gallen, wonach 97 Prozent der untersuchten Unternehmen das Gleichstellungsgesetz einhielten.