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Asylzentren

Asylsystem am Anschlag: Bund setzt auf Mehrzweckhallen und nimmt Kantone stärker in die Pflicht

Die hohe Zahl von Asylsuchenden bringt den Bund an die Belastungsgrenze – in seinen Unterkünften gibt es kaum noch freie Betten. Mehrzweckhallen dienen als Notlösung, nun müssen auch die Kantone mehr Flüchtlinge übernehmen. 

Platzmangel: Viele Asylsuchende müssen die Bundesasylzentren ab Donnerstag frühzeitig verlassen. (Symbolbild)
Bild: Keystone

Statt wie bisher 500 müssen die Kantone ab Donnerstag 1000 Asylsuchende pro Woche vom Bund übernehmen. Dies gab das Staatssekretariat für Migration (SEM) am Dienstag bekannt. Der Grund: In den 30 vom Bund betriebenen Asylzentren halten sich rund 8000 Personen auf. Sie sind damit zu 90 Prozent ausgelastet. Da es kaum noch freie Betten gibt, sollen Asylsuchende bereits vor Ablauf der bisher geltenden Frist von 140 Tagen an die Kantone überstellt werden, dies proportional zur Bevölkerung.

Das SEM trifft diese Massnahmen wegen des anhaltend hohen Zustroms von Asylsuchenden. Pro Woche stellen derzeit 800 Personen ein Gesuch. Besonders betroffen von den Kapazitätsengpässen sind die Regionen West- und Nordwestschweiz. Auch in den restlichen Regionen sei sie annähernd erreicht, so das SEM weiter.

So rasch als möglich 9500 zusätzliche Plätze schaffen

In enger Zusammenarbeit mit der Armee hat das SEM bisher gegen 20 Objekte in Betrieb genommen oder dafür vorbereitet. In den letzten Wochen wurden zum Beispiel die Mehrzweckhallen in Bure, Thun und Chamblon für die Aufnahme von Geflüchteten umfunktioniert. Am Dienstag kam die Mehrzweckhalle in Schönbühl dazu, am 31. Oktober eine weitere in Emmen. Diese Unterkünfte bieten jeweils Platz für 200 Personen. In den Hallen befinden sich Doppelstockbetten. Das Essen wird durch einen Catering-Service angeliefert, eine Kochgelegenheit fehlt.

Insgesamt will das SEM mit der Aktivierung der 20 Objekte, zu denen auch leerstehende Gebäude und Zivilschutzanlagen zählen, so rasch als möglich 9500 Plätze in den Bundesstrukturen schaffen, wie ein SEM-Sprecher auf Anfrage von CH Media sagt. In der letzten Woche zählten derweil die Kantone gut 7200 freie Plätze.

Unbegleitete Minderjährige brauchen viele Ressourcen

In einem ersten Schritt überstellt der Bund Personen mit einer Wegweisungsverfügung frühzeitig an die Kantone. Ab nächster Woche sollen dann auch Personen, deren Asylverfahren noch nicht abgeschlossen ist, in die Verantwortung der Kantone übergeben werden. Ausnahmen gibt es für Fälle mit einem Dublin-Verfahren, Personen aus Afghanistan oder Ländern mit tiefer Schutzquote, bei denen ein Schnellverfahren durchgeführt wird, und für unbegleitete minderjährige Asylsuchende (UMA).

Deren Zahl hat sich im laufenden Jahr gegenüber 2021 um 50 Prozent erhöht, wie das Sem letzte Woche mitteilte . Aktuell sind laut SEM rund 650 UMA in den Bundesasylzentren registriert. Bei weiteren rund 500 wird derzeit überprüft, ob sie unter 18 Jahre alt sind. Das für diese Aufgabe benötigte Personal ist aber aufgrund des Fachkräftemangels schwer zu rekrutieren. Der in den Bundesasylzentren vorgesehene Schlüssel von einem Sozialpädagogen pro 15 UMA kann deswegen zur Zeit nicht eingehalten werden.

Bundesrätin Keller-Sutter bezeichnet Lage als «sehr angespannt»

Das SEM hatte bereits im September Alarm geschlagen und bekannt gegeben, dass die Plätze in den Bundesasylzentren mittelfristig nicht ausreichten. Verschärft wird die Lage zusätzlich durch die grosse Zahl von Flüchtlingen aus der Ukraine. Das SEM rechnet damit, dass die Schweiz dieses Jahr insgesamt 80’000 bis 85’000 Personen aus der Ukraine aufnehmen wird.

Die zuständige Bundesrätin Karin Keller-Sutter bezeichnete die Lage im Asylbereich am Samstag gegenüber Radio SRF als «sehr angespannt». Positive Effekte erhofft sie sich vom Entscheid Serbiens, von der bisherigen liberalen Visapolitik abzurücken und insbesondere Menschen aus Nordafrika die Einreise zu erschweren – dies auf Druck der EU. Keller-Sutter hatte sich am Lobbying für die EU-Intervention in Belgrad massgeblich beteiligt.