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Kommentar

Warum das AKW-Verbot fallen muss – und weshalb sich Linke wie Rechte Illusionen machen

Energieminister Albert Rösti will das Neubauverbot für Atomkraftwerke kippen. Das weckt falsche Erwartungen.
Neue Kühltürme für die Schweiz? Das Kernkraftwerk Leibstadt.
Bild: Alex Spichale

Die Fronten in der Atomkraft-Debatte sind verhärtet wie eh und je. 35 Jahre nach dem Volks-Ja zum AKW-Moratorium, 15 Jahre nach Fukushima und acht Jahre nach der Zustimmung zur Energiestrategie 2050 streitet die Schweizer Politik einmal mehr über Kernkraft – und wieder von Emotionen getrieben.

Auslöser ist die Blackout-Initiative, die eine gesicherte Stromversorgung in der Verfassung verankern will. Der Bundesrat hat sie am Mittwoch abgelehnt – aber einen indirekten Gegenvorschlag lanciert. Er greift das Kernanliegen der Initiative auf: Energieminister Albert Rösti will das seit 2017 geltende Neubauverbot für Atomkraftwerke streichen. Das Kernenergiegesetz soll so angepasst werden, dass neue Reaktoren wieder möglich sind. Ziel sei eine «technologieoffene Energiepolitik», um Versorgungslücken zu verhindern, falls Erneuerbare und Speicher nicht ausreichen.

Kaum war der Vorschlag öffentlich, schickten linke Parteien und Umweltverbände ihre vorbereiteten Communiqués in die Welt. Sie sprechen von Sabotage der Energiewende und drohen mit dem Referendum. Der Schlagabtausch war absehbar – Röstis Plan kam mit Ansage.

Die Strategie stimmt noch immer

Das Neubauverbot war schon 2017 unnötig – ein politisches Zugeständnis an den Zeitgeist, der vor allem aus Deutschland herüberwehte. Doris Leuthard wollte es wie Angela Merkel machen, die auf einen schnellen Atomausstieg drängte und damit durchkam. Es gab im deutschsprachigen Raum ein Momentum, das dazu beitrug, dass Leuthard die Abstimmung deutlich mit 58 Prozent gewann.

Das Hauptziel der Energiestrategie 2050 lautet, fossile Energien durch klimafreundliche Quellen zu ersetzen und den Verbrauch zu senken. Es hat nichts an Richtigkeit eingebüsst. Doch spätestens seit dem russischen Angriff auf die Ukraine braucht es einen Zusatz: Die Energiewende kann nur gelingen, wenn sie auch Versorgungssicherheit garantiert. Nach Kriegsausbruch befürchtete man einen Energiemangel, und die Preise stiegen stark an.

Die Aufhebung des Neubauverbots, so sie denn kommt, wird in ihrer Wirkung falsch beurteilt. Von links wie von rechts. AKW-Gegner befürchten und AKW-Befürworter hoffen, dass diese Gesetzesreform in absehbarer Zukunft zum Bau eines neuen Reaktors führt. Beide Seiten überschätzen die Gestaltungskraft von Bundesrat, Parlament und Volk.

Ob in der Schweiz je wieder ein Reaktor ans Netz geht, hängt weniger von Beschlüssen der Politik als von den Entscheidungen der Energiekonzerne ab. Es gibt derzeit schlicht keine Investoren – Ex-Energieministerin Doris Leuthard hat das kürzlich im Interview mit der «Schweiz am Wochenende» deutlich gesagt .

Dass die Mitte-Politikerin damit die Urheber der Blackout-Initiative um Christian Imark zur Weissglut trieb, zeigte nur, dass sie einen wunden Punkt traf. Auch hat Leuthard recht, wenn sie darauf hinweist, dass die Frage der Endlagerung der Atomabfälle ungelöst bleibt. Wer also heute Kühltürme am Horizont des Mittellandes zeichnet, ignoriert ökonomische Realitäten (SVP, FDP) – oder betreibt bewusst Angstmacherei (Grüne, SP, Mitte).

20 Jahre in die Zukunft schauen

Doch: Niemand weiss, wie die Energieproduktion und -versorgung in 20 oder 30 Jahren aussieht. Genau deshalb ist das Verbot falsch. Es erschwert die Forschung, weil künftige technologische Durchbrüche keine Realisierungschance haben. Kein Institut investiert ernsthaft in Atomforschung, wenn der Bau neuer Anlagen per Gesetz ausgeschlossen ist. Damit gehen Finanzierung, Motivation, der Nachwuchs und damit Fachwissen verloren. Wer Technologieoffenheit fordert, darf nicht eine Option im Voraus verbannen – selbst wenn sie heute unwahrscheinlich wirkt.

Acht Jahre nach der Annahme der Energiestrategie kommt die Atomfrage nochmals auf den Tisch, die 2017 vermeintlich auf alle Zeiten entschieden schien. Gut so. Die Voraussetzungen und die geopolitische Grosswetterlage haben sich geändert. Die Klärung sollte schnell erfolgen. Das ist fast wichtiger, als in welche Richtung sie ausfällt – auch wenn die Aufhebung des Neubauverbots dem Status quo vorzuziehen ist. Denn die ewige, sich im Kreis drehende AKW-Debatte bindet bloss Energie, statt dass sie hilft, für die nächsten zehn Jahre die Produktions- und Versorgungsprobleme zu lösen.