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Analyse

Vucic schaltet auf Gegenangriff – und spielt Serbiens Bevölkerung gegeneinander aus

Die vergangenen Tage haben es bewiesen: Serbiens Präsident Aleksandar Vucic will sich mit allen Mitteln an der Macht halten. Dabei kann er sich auf einen intakten Propagandaapparat stützen.
«Wir geben Serbien nicht her»: Aleksandar Vucic, 55, zeigt sich an der Grosskundgebung in Belgrad siegessicher.
Bild: Darko Vojinovic/AP

Rund um die Altstadt von Belgrad stehen an den Strassenrändern lange Kolonnen von Autobussen. Mit ihnen sind Menschen aus ganz Serbien, dem Kosovo und der Republika Srpska aus Bosnien-Herzegowina heranchauffiert worden. Wer an diesem Samstagabend zur Nationalversammlung am Nikola-Pasic-Platz vordringen will, bleibt irgendwann in der Menge stecken.

«Das Volk hat entschieden: Wir geben Serbien nicht her!», wird das Boulevardblatt «Vecernje Novosti» am nächsten Tag titeln. Die regierungsnahe Zeitung berichtet mit Begeisterung auf sechs Seiten über die Kundgebungen zugunsten des Präsidenten Aleksandar Vucic. Laut «Novosti» haben 145’000 Personen am Höhepunkt der dreitägigen Grossveranstaltung in Serbiens Hauptstadt teilgenommen.

Über die Teilnehmerzahl an der Pro-Vucic-Kundgebung kursieren je nach politischem Lager unterschiedliche Angaben. Fakt ist, dass es am Samstagabend vor dem Parlament in Belgrad kein Durchkommen gibt.
Bild: Bojan Stula

Worüber offiziell nicht berichtet wird, ist, dass sich während Vucics Ansprache am Samstagabend Hunderte viel lieber um die Essensstände drängen, wo sich alle Unterstützer gratis verproviantieren können. Stattdessen kennen die Sonntagmorgensendungen auf den zahlreichen serbischen TV-Stationen nur ein Thema: Die Mehrheit des serbischen Volkes stehe hinter Vucics Präsidentschaft, das habe die Grossveranstaltung am Samstag eindeutig bewiesen. Man lasse sich durch die «undemokratische Studentenschaft» das eigene Staatswesen nicht zerstören, sagt ein Analyst im Staatssender RTS.

Die Pro-Vucic-Demo ist bis ins Detail organisiert und staatlich finanziert: Am Getränkedepot stapeln sich Zehntausende Wasserflaschen, um gratis verteilt zu werden.
Bild: Bojan Stula

Wer sich durch die vielen serbischen Sender und Polittalk-Sendungen zappt, wird in den Tagen nach der Vucic-Zusammenkunft auf kaum einen regierungskritischen Beitrag stossen – ein klarer Hinweis dafür, wie umfassend die Regierungspartei die Kontrolle über die serbischen Medien erlangt hat. An den Zeitungsständen ergibt sich dasselbe Bild.

Präsident kündigt 5-Punkte-Programm gegen die Opposition an

Die vielen Blockadeaktionen, Strassensperrungen und Gegendemonstrationen der Vortage seien terroristische Akte, bekräftigt Aleksandar Vucic in seiner Ansprache und formuliert «fünf Forderungen», in denen ein Hauptgewicht auf der Verfolgung der politischen Opposition liegt. So müssen laut Vucic die Hintermänner der studentischen Proteste, die er im Ausland vermutet, «lückenlos ausfindig und zur Verantwortung gezogen werden».

Protestierende Studierende blockieren am Dienstag in Belgrad den Zugang zum Staatssender Radio-Televizija Srbije (RTS), um gegen die regierungstreue Berichterstattung zu demonstrieren.
Bild: Andrej Cukic/EPA

Über die Bekämpfung der grassierenden Korruption und die Aufklärung der Hintergründe der Bahnhofskatastrophe von Novi Sad – des Auslösers der seit Monaten andauernden Anti-Vucic-Proteste – verliert das Staatsoberhaupt kein Wort. Über irgendeine Handreichung hin zu seinen Kritikern macht er nicht die geringste Andeutung.

Noch unter dem unmittelbaren Eindruck der 16 Toten von Novi Sad musste Vucics Premier Milos Vucevic seinen Posten räumen – zweifellos ein politisches Bauernopfer, um die Lage zu beruhigen. Doch nun hat der Staatspräsident auf Gegenangriff geschaltet und lässt keine Zweifel am beabsichtigten Machterhalt.

Viele Sympathien für die protestierenden Studenten, aber wenig Hoffnung

Genau an diesem Punkt offenbart sich die tiefe Spaltung und gleichzeitige Ohnmacht der serbischen Zivilgesellschaft. Abseits der Grosskundgebung trifft man in Belgrad auf keine Seele, die Vucic privat unterstützen würde. Ob Restaurant-Besitzer, Verkäuferin, Sicherheitsmann oder Friedhofsbesucherin: Sie alle verfluchen und verdammen den Präsidenten, das «korrupte Vucic-System, das mit den Chinesen gemeinsame Sache macht» und angeblich Milliarden in die eigenen Taschen scheffelt.

Sie alle sympathisieren mit der protestierenden Studentenschaft, die sich gruppenweise zur Mittagszeit an Belgrader Strassenkreuzungen trifft und den Verkehr für eine Viertelstunde lahmlegt. Das hat sich bereits zur Routine entwickelt, Streifenpolizisten stehen daneben und schauen zu.

Sie alle betonen, dass an den grossen Anti-Vucic-Demos am 15. März mindestens doppelt so viele Menschen teilgenommen hätten wie dieser Tage für Vucic. Sie alle sprechen mit Begeisterung von der grossen Unterstützung der serbischen Diaspora für die Velo-Protestfahrt der Studierenden nach Strassburg. Doch glauben sie auch an die Möglichkeit eines Regimewechsels?

Die protestierenden Velo-Studenten treffen am Dienstag in Strassburg ein, wo sie von der serbischen Diaspora begeistert empfangen werden. Aufgebrochen sind sie vor 13 Tagen im 1300 Kilometer entfernten Novi Sad, um gegen die Regierung Vucic ein Zeichen zu setzen.
Bild: Antonin Utz/AP

Nein, das tun sie nicht; zumindest die älteren unter ihnen nicht, und mögen sie noch so sehr auf den Präsidenten und seine Handlanger schimpfen. «Hier wird sich nichts ändern», sagt der 74-jährige Danko, «denn die ganze Vucic-Clique weiss genau, dass sie ins Gefängnis muss, sobald sie ihre Macht aufgibt.»

Die illusionsfreie Einschätzung des Ex-Bankers hat einen zusätzlichen Grund: Noch ist aus der von Serbiens Jugend getragenen Oppositionsbewegung keine Führungsfigur hervorgegangen, die Vucic ernsthaft herausfordern und Risse in die mediale Einheitsfront bringen könnte. Ein Taxifahrer schwadroniert von einem neuen Präsidenten Novak Djokovic – nur um die Idee mit Serbiens Tennis-Star gleich selbst wieder als Hirngespinst zu verwerfen.

Vucic seinerseits zieht jetzt rhetorisch die Schraube wieder an. Um aber die Studentenproteste mit Polizeigewalt niederzuknüppeln, fehlt ihm selbst in jenem Teil der Bevölkerung der Rückhalt, der sich mit Autobussen nach Belgrad chauffieren lässt, um für ihn auf die Strasse zu gehen.