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EMS-Chemie

Vom «Schweizer Benzin» zum «Schweizer Napalm»: Darum setzte die Ems-Chemie auf die Hilfe von Nazi-Chemikern

Ein neues Buch zeigt, wie Werner Oswald im Bündnerland mit Bundeshilfe einen Chemie-Konzern aufstellte – und dabei auch auf die Hilfe von umstrittenen Wissenschaftlern setzte.

Der Hauptsitz der EMS-Chemie.
Bild: EMS

Für die Geschichte der Ems-Chemie interessiert man sich vor allem, weil sie dem Blocher-Clan gehört. Die Vergangenheit des Unternehmens hat allerdings noch mehr zu bieten als nur «dunkle Helfer» in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, wie die SRF-Doku vom November 2020 übertitelt war. Dort ging es um Chemie-Experten mit Nazi-Vergangenheit.

Die neuste Untersuchung kommt als «Nylon und Napalm» daher. Offenbar hat die Ems-Chemie unter dem Namen «Opalm» eine eigene Variante der Brandwaffe entwickelt. Und sie kam gemäss den Recherchen der Historikerin Regula Bochsler in Jemen und Indonesien auch zum Einsatz.

Christoph Blocher allerdings reagiert gleich wie in der SRF-Doku: «Ich war nicht dabei.» Dass es die Nazi-Chemiker gab und er auch davon wusste, musste er damals einräumen. Gehört schon, aber hatte nichts mit ihnen zu tun. «In der Industrie muss man mit allen reden.» Ob es stimmt, dass er eigenhändig Dokumente geschreddert habe, will Blocher weder bestätigen noch dementieren. Der Zugang zum Firmenarchiv wurde Regula Bochsler mit fadenscheinigen Vorwänden verwehrt.

Noch wirksamer als Napalm

Aber die Historikerin hat genügend Indizien ausgegraben, um die Verwicklungen der Ems-Chemie ins Waffengeschäft dokumentieren zu können. Die Ems bot Opalm auch der Schweizer Armee an. Aber der war der Kampfstoff Schweizer Provenienz zu teuer. Aber Absatzchancen im Ausland gab es. Opalm sei noch wirksamer und schrecklicher als Napalm, lautete die Reklame. Das Exportverbot umging man, indem man den Kampfstoff in Deutschland produzierte. Wie viel davon produziert und verkauft wurde, bleibt allerdings unklar.

Geforscht und experimentiert wurde auch an Raketen. Zur Massenfertigung kam es aber nicht. Erfolgreich war die Ems im Zündergeschäft. Die Zünder für die Airbags, mit denen die Ems ein Vermögen verdiente, hatten allerdings auch militärische Vorgänger.

Und eine US-Dokumentation zählt drei Personenminen (PATVAG 59, PATVAG M2 und M3) auf, die schweizerischen Ursprungs seien. «Patvag» hiess die zweite Firma, die Ems-Patron Werner Oswald 1933 gründete. Die Blocher-Eigentümer widersprechen heftig. Nie seien – ihres Wissens – Personenminen produziert worden. Klein und schwer zu orten, weil aus Kunststoff, seien die Dinger gewesen. Gewissheit könnte nur das Ems-Archiv liefern.

Mit der Autarkie klappte es nicht

Die drei Oswald-Brüder, Werner, Rudolf und Viktor (oder «Victor», wie er sich nach der Auswanderung nach Spanien nannte) kamen aus Luzern. Der Vater war dort erfolg- und einflussreicher Anwalt und Regierungsrat gewesen. Im Oswald-Firmengeflecht hatte vor allem Werner das Sagen, Rudolf war Jurist und ein gewiefter Verhandler und Victor sorgte für Auslandsverbindungen.

Werner Oswald hatte die Idee, in der Schweiz aus Holz Methanol zu gewinnen. Treibstoff muss die Schweiz importieren. Aber Holz gibt es genug und man kann ein Holzverzuckerungswerk dort bauen, wo der Rohstoff vorhanden ist und es sonst noch nicht viel Industrie gibt. Zum Beispiel in Graubünden. Der Bund müsste sich doch dafür gewinnen lassen, der strukturschwachen Region aufzuhelfen.

Es dauert bis 1940, schon mitten im Krieg, bis der Bundesrat für Ems grünes Licht gibt. Die Bündner sind natürlich auch dabei. Aber die HOVAG tut sich schwer. Die Treibstoffproduktion kommt erst gegen Kriegsende richtig zum Laufen, nur mit dem Alkohol klappt es einigermassen. Mit der von Oswald immer wieder beschworenen Autarkie ist es auch nicht weit her, denn viele Rohstoffe müssen importiert werden. Und das Ems-Benzin ist viel zu teuer.

Verurteilte Kriegsverbrecher waren dabei

Das führt nach dem Krieg zu einem grossen Problem. Der Bund hat Millionen ins Unternehmen gesteckt und hockt jetzt auf einem Stoff, den niemand mehr braucht und auch nicht will, denn das Ems-Benzin ist auch qualitativ unbefriedigend. Der Bund befiehlt, es müsse vorderhand dem normalen Treibstoff beigemischt werden.

Das Geschäftsmodell der HOVAG scheint nicht zu funktionieren. Werner Oswald ist – gelinde gesagt – sehr zurückhaltend mit Firmeninformationen. Die Kritik wird lauter. Arbeitsplätze hin oder her – die öffentliche Hand soll eine unrentable Firma nicht durchfüttern.

Dass die schöne Treibstoffwelt nicht ewig weiter gehen kann, war auch Oswald klar. Als Ersatzprodukt kam man auf Nylon. Das war nach dem Krieg ein Renner. Nylon war ein US-Produkt, in Deutschland gab es die Variante Perlon. Bochsler zeigt detailliert, wie Oswald und seine Leute die benötigten Experten aus dem besiegten Deutschland abzügelten.

Sie brachten nicht nur ihr Know-how mit, sondern oft auch Fertigungsprozeduren und Konstruktionspläne für ganze Manufakturen. Sie kamen von I.G. Farben, dem Unternehmen, das ein Werk in unmittelbarer Nähe des KZ Auschwitz unterhielt. Unter ihnen waren verurteilte Kriegsverbrecher.

«Macht war wohl Oswalds mächtigster Motor»

Grilon – Nylon aus Graubünden – heisst der Schweizer Wunderstoff. Denner-Chef Schweri liess Polizisten auf den Socken einen 30-Kilometer-Lauf machen, um zu zeigen, wie dauerhaft das Produkt ist. Die Nazi-Chemiker und ihre meist sehr fragwürdige «Einreise» in die Schweiz hängt man nicht an die grosse Glocke. Oswald möchte weiter Bundes-Subventionen.

Am 13. Mai 1956 schickte das Volk allerdings die Ems-Vorlage bachab. Oswald hatte vorher unmissverständlich klar gemacht: Ohne Bundesgeld machen wir sofort zu. Aber gerade das geschah nicht. Mit Kunstfasern, Kunststoffen und Dünger soll es weiter gehen.

Und es ging weiter. Werner Oswald starb 1979. Die Holding soll damals rund eine halbe Milliarde wert gewesen sein. Mit Immobilien und Land im Wert von 15 Millionen. (Blocher kaufte sie den Erben für 20 Millionen ab.) Von 1941 bis 1956 schoss der Bund geschätzte 170 Millionen Franken ein. Das soll heute gegen 1 Milliarde Franken entsprechen.

Im Zentrum des Buches von Regula Bochsler steht erwartungsgemäss die Figur Werner Oswald. Er war ein Patriarch, willensstark, durchsetzungsfähig, hartnäckig. Aber mit Sicherheit ein schlechter Manager. Er war arrogant, impulsiv, hörte nicht auf Fachleute. Vor allem aber seiner fragwürdigen Methoden wegen, die nur allzu oft ins Illegale hineinspielten. «Macht war wohl Oswalds mächtigster Motor», schreibt Regula Bochsler.

Regula Bochsler: Nylon und Napalm. Die Geschäfte der Emser Werke und ihre Gründers Werner Oswald. 592 Seiten, 155 farbige und sw-Abb., gebunden. Verlag hier+jetzt Zürich 2022. Fr. 49.–.