Er ist erst 41 und bereits eine der einflussreichsten links-liberalen Stimmen Amerikas: der Bestsellerautor, Podcaster, Medienunternehmer und Kolumnist Ezra Klein. In seinem jüngsten Aufsatz in der «New York Times» hat er sich den ganzen aufgestauten Frust über die Demokraten von der Seele geschrieben.

Wer jetzt die Bürgermeisterwahl in New York und die Gouverneurswahlen in Virginia und New Jersey als Selbstläufer ansieht sowie von den Midterms 2026 die grosse Wende erwartet, könnte vor einer bösen Überraschung stehen, warnt Klein. Denn die Demokraten hätten verlernt, auch für jene zu sprechen, die sie nicht mögen.
Wie sie es besser machen könnten, erläutert Ezra Klein in fast 20 Minuten Lesedauer. Zusammengefasst für den ungeduldigen Leser, die ungeduldige Leserin, lauten seine fünf wichtigsten Erkenntnisse:
Weniger Ideologie
Die Demokraten sollen nicht entscheiden, ob sie linkspopulistisch, moderat oder sozialistisch auftreten – sie müssen alles davon sein können, je nach Region. Eine Partei, die nur eine Linie kennt, bleibt klein. Eine Partei, die verschiedene politische Temperamente zulässt, kann Mehrheiten bilden. Klein nennt das nicht «Moderation», sondern im ursprünglichen Sinn: Repräsentation.
Nicht nur Menschen, sondern Orte gewinnen
Wahlen in den USA entscheidet nicht die Mehrheit der Stimmen, sondern die Mehrheit der Orte. Der Senat, das Repräsentantenhaus und das Electoral College bevorzugen ländliche Staaten. Die Demokraten verlieren dort seit Jahren. Wer Trump schlagen will, muss wieder präsent sein in Ohio, Iowa, West Virginia oder Montana – mit Kandidaten, die dort verwurzelt sind, und nicht nur in urbanen Milieus Resonanz finden.
Respekt statt Belehrung – Beziehungen statt Moralpredigt
Viele Wählerinnen und Wähler empfinden die Demokraten als herablassend; «Preachy», predigend, wie es auf der Strasse heisst. Trump profitiert davon, weil er sich auf die Seite derjenigen stellt, die sich verachtet fühlen. Klein fordert: weniger moralische Rhetorik, mehr echtes Zuhören. Politische Überzeugungskraft wächst nicht aus besserer Argumentation, sondern aus dem Gefühl: Diese Partei sieht mich.
Streit aushalten, um Macht zu schaffen
Früher vereinte die Partei linke Idealisten und konservative Christen, Bürgerrechtler und Kohlearbeiter – und schuf damit Mehrheiten für Bundesgesetze wie die Krankenversicherungspflicht Obamacare. Heute werden abweichende Stimmen schneller ausgeschlossen. Klein mahnt: Wer innerparteiliche Differenzen als Verrat versteht, schwächt sich selbst. Gerade der inzwischen aus der Demokratischen Partei ausgetretene Ex-Senator Joe Manchin aus West Virginia habe bewiesen: Wer Wahlen in konservativen Regionen gewinnt, sichert progressive Mehrheiten in Washington – selbst wenn er nicht in das Parteischema passt.
Politik als Gemeinsinn: Grosszügigkeit statt Lagerdenken
Demokratie beruht nicht auf Konsens, sondern auf der Fähigkeit, mit Menschen zusammen Politik zu machen, die völlig anders denken. In einer Zeit, in der Spaltung zum Geschäftsmodell geworden sei – auf Social Media oder in von Milliardären finanzierten Kampagnen –, plädiert Klein für das Gegenteil: Die Mehrheit der Amerikanerinnen und Amerikaner wolle weniger Hass, nicht mehr. Wer das ernsthaft bietet, könne gewinnen.
In der Summe fordert Klein keine Anpassung an Donald Trump, sondern das genaue Gegenteil: eine Demokratische Partei, die grösser, respektvoller und demokratischer wird – und eine Politik macht, die nicht Gegner entwürdigt, sondern Menschen zurück ins Gespräch holt. Für die USA im Jahr 2025 klingt das fast schon bisschen nach utopischem Wunschdenken.

