Es wird still im Saal des Basler Strafgerichts, als fünf Polizisten Raphael M. zur Urteilsverkündung hineinführen. Die Polizisten lösen die Handschellen – diesmal hat er die Hände auf dem Rücken zusammengebunden. Die Fussfesseln bleiben an.
Der Mörder setzt sich umständlich hin und sinkt in sich zusammen. Er ist noch bleicher als am Mittwoch. Am Freitag trägt er über dem Tiger-Hemd einen weiten grasgrünen Pullover. Er wirkt abwesend, starrt auf den Teppich oder hält die Hände vors Gesicht.
Im Publikum sitzen Angehörige des Opfers – und des Täters. Die Stimmung ist angespannt, bedrückend. Dann der Moment, auf den alle gewartet haben: Das Gericht spricht Raphael M. des Mordes schuldig, stuft ihn als schuldfähig ein und ordnet die Verwahrung an. Er zeigt keine Regung.

M. hatte auf unbegleitetem Freigang aus der Basler Universitätspsychiatrie eine 75-jährige Frau umgebracht, nachdem er bereits vor zehn Jahren am selben Ort - im Wohnhaus seines Vaters - zwei Morde begangen hatte. Die Polizei fahndete nach dem zweiten Delikt 24 Stunden lang nach dem Täter und bat die Bevölkerung um Hinweise. So konnte sie ihn schliesslich am Unteren Rheinweg festnehmen.

Der Gerichtspräsident Dominik Kiener (EVP) schildert die brutale Tat in allen Details. Die Mutter des Dreifachmörders schliesst die Augen. Eine Tochter der verstorbenen Frau schluchzt. «Die Angehörigen wollen Antworten, wie es so weit kommen konnte», sagt der Richter immer wieder.
Raphael M. habe in all den Jahren in der Psychiatrie keine Aggressionen gezeigt - trotz Frustrationen im Alltag. Das sei das Unglaubliche an diesem Fall. «Dass er eine Person so bestialisch umbringt, war nicht zu erwarten», sagt der Richter. Der Täter konnte alle über seinen tatsächlichen Zustand täuschen.
Irgendetwas in dieser Liegenschaft habe Raphael M. getriggert und den Wahn ausgelöst, so Kiener. «Solange wir nicht wissen, was das genau war, können wir nicht therapieren.» Ausserhalb dieser Liegenschaft - dem Tatort - gab es keine Aggressionen.
Richter: «Gab es ein Behördenversagen?»
Kiener sagt: «Wenn etwas Schreckliches passiert, kommt reflexartig die Frage: Hätte man das verhindern können? Gab es ein Behördenversagen?» Das sei verständlich. Aber man müsse es auch sachlich anschauen: «Heute wissen wir mehr als früher.» Man hätte die Tat verhindern können, wenn man in der Jugend eine Therapie angeordnet hätte oder eine fürsorgerische Unterbringung, sagt er.
Vor Gericht gehe es darum, zu beurteilen, was passiert sei und wer dafür verantwortlich sei. «Und das sind Sie», sagt Kiener an Raphael M. gerichtet. Das Gericht stuft die Tat als geplant ein.
Der Verteidiger von Raphael M. plädierte, ein schuldunfähiger Täter könne nicht wegen Mordes verurteilt werden. Das sei falsch, erklärt der Richter. Sonst würden «solche Fälle durch die Maschen des Systems fallen». Psychisch kranke Menschen könne das Gericht zwar nicht bestrafen. Aber Raphael M. sei für diese Tat trotzdem verantwortlich - mit seiner Krankheit. «Raphael M. wird nicht in einen Kerker gesperrt und der Schlüssel wird nicht versenkt», sagt Kiener. Aber es gebe vorläufig keine Freigänge. Eine Elektrokrampftherapie sieht er als letzte Chance. Aktuell gilt M. als therapieresistent.
Der Anwalt der Opferfamilie Christoph Dumartheray zieht folgende Bilanz: «Die Familie hätte sich mehr Antworten gewünscht. Der Prozess hilft sicher bei der Verarbeitung, aber was im Kopf des Täters vorgeht, werden wir wohl nie erfahren.»
Der Gerichtspräsident gibt ein Interview zum Fall
Nach der Urteilsverkündung geschieht etwas Ungewöhnliches: Richter Kiener gibt den Medien ein Interview im Gerichtssaal. Bereits vor zehn Jahren leitete er das Verfahren gegen Raphael M. «So brutale Taten habe ich noch nie erlebt in meiner Berufskarriere», sagt er. Der Fall sei schwierig zu verarbeiten, weil dieser rational nicht erklärbar sei. Trotzdem sei er den Fall wie jeden anderen angegangen.
Durch das Fenster des Gerichtsgebäudes sind die Polizisten und Raphael M. auf dem Weg zum Transporter zu sehen. Dieser bringt ihn zurück in den Hochsicherheitstrakt der Klinik Rheinau.

Unser Kommentar zum Fall
Der Ticker der Urteilsverkündung zum Nachlesen
12:00 Uhr
Angehörige sind erleichtert
Die Tochter der ermordeten 75-jährigen Frau ringt nach der Urteilsverkündung im Gang des Gerichts mit ihren Gefühlen. Der Schluss hat sie verunsichert. Wird der Mörder ihrer Mutter wieder Ausgänge haben? Die Antwort ihres Anwalts, dass diese jetzt für eine sehr lange Zeit ausgeschlossen sind, beruhigt sie.
11:53 Uhr
«Sind meine Ausgänge gestrichen?»
Richter: «Haben Sie noch eine Frage?» Raphael M. will wissen, ob er jemals wieder Ausgang haben wird. Antwort: «Sie müssen damit rechnen, dass Sie in den nächsten Jahren keine Ausgänge mehr haben werden.» Der Richter wünscht dem Dreifachmörder alles Gute und gibt ihm den Rat, an sich zu arbeiten. Der Dreifachmörder antwortet: «Merci gleichfalls. Ja. Das habe ich auch versucht.» Dann führen die vier Polizisten ihn aus dem Saal.
11:51 Uhr
Opferfamilie erhält 6000 Franken
Die Justiz hat alles Geld von Raphael M. beschlagnahmt. Bei der Verhaftung hatte er 2300 Franken dabei. Auf seinem Konto lagen 7000 Franken. Die Opferfamilie erhält 6000 Franken für die Bestattungskosten. Das Gericht will sie schadlos halten. Mehr muss Raphael M. nicht zahlen, da er schuldunfähig ist.
11:44 Uhr
Was bringt eine Elektrokrampftherapie?
Mit einer Elektrokrampftherapie könnte Raphael M. unter Vollnarkose schwache Stromstösse ins Gehirn erhalten. Die Methode ist nicht schmerzhaft wie die früher angewandte Elektroschocktherapie. Der Mechanismus ist aber ähnlich. Die Methode ist umstritten. Die möglichen Nebenwirkungen wie Gedächtnisschäden sind beträchtlich. Die Erfolgsaussichten sind vage. Der Gerichtspsychiater stufte die Methode als letzte Möglichkeit ein.
Der Gerichtsvorsitzende bezeichnet sie als «letzten Strohhalm», an den man sich noch halten könne. Er befürwortet, dass diese Therapie jetzt versucht werde. Man müsse Raphael M. wie einen Patienten im Spital sehen und alles unternehmen, damit er gesund werde.
11:33 Uhr
Was die Verwahrung bedeutet
«Raphael M. wird nicht in einen Kerker gesperrt und der Schlüssel wird nicht versenkt», sagt der Richter. Auch in der Verwahrung werde weiter an ihm gearbeitet.
Der Unterschied zu einer stationären Massnahme besteht darin, dass eine Entlassung nicht nach 5 Jahren geprüft wird. Der Gerichtspsychiater hatte eine solche vorgeschlagen, um eine Therapie für den Täter zu erwirken. Doch diese erhalte er auch so. Das Gericht lehnt die stationäre Massnahme ab, weil sie ein Widerspruch zur Verwahrung ist.
Denn innert fünf Jahre ist keine Verbesserung wahrscheinlich. Die Rückfallgefahr stuft das Gericht als «enorm» ein. In Raphael M. schlummere immer noch eine Deliktsmotivation, die noch nicht ergründet sei. Man weiss also immer noch nicht genau, was ihn zu dieser Wahnsinnstat getrieben hat. Die Tat beging er, obwohl er zu diesem Zeitpunkt hoch dosierte Medikamente gegen seine Schizophrenie nahm.
Eine lebenslängliche Verwahrung kommt nicht in Frage, da der 33-jährige Täter dafür zu jung ist. In diesem Alter kann gemäss Gericht kein Experte mit Sicherheit feststellen, dass er dauerhaft untherapierbar sei.
11:26 Uhr
Mord trotz Schuldunfähigkeit
Der Verteidiger von Raphael M. behauptete, ein schuldunfähiger Täter könne nicht wegen Mordes verurteilt werden. Das sei falsch, erklärt der Richter. Sonst würden solche Fälle durch die Maschen des Systems fallen. Psychisch kranke Menschen könne das Gericht nicht bestrafen. Aber Raphael M. sei für diese Tat trotzdem verantwortlich - mit seiner Krankheit.
11:22 Uhr
Tränen im Gerichtssaal
Der Gerichtspräsident schildert die grausame Tat detailliert. Die Tochter der ermordeten 75-Jährigen Frau bricht in Tränen aus.
11:18 Uhr
Was den Fall so speziell macht
Raphael M. zeigte in all den Jahren in der Psychiatrie keine Aggressionen - trotz Frustrationen im Alltag. «Das ist das Unglaubliche an diesem Fall», sagt Kiener. Dass er eine Person bestialisch umbringe, sei nicht zu erwarten gewesen. Sonst wäre er bei einer Frustration zumindest mal laut geworden. Doch es passierte nie etwas. Irgendetwas in dieser Liegenschaft triggerte ihn und löste den Wahn aus. «Solange wir nicht wissen, was das genau war, können wir nicht therapieren», sagt Kiener.
11:14 Uhr
Der Dreifachmörder zeigt keine Regung
Raphael M. sitzt zusammengesunken in einem weiten grünen Pullover auf seinem Stuhl. Er wirkt noch bleicher als während der Verhandlung. Er lässt den Kopf hängen und schaut auf den Teppichboden. Später verbirgt er sein Gesicht hinter seinen Händen. Die Handfesseln haben die vier Polizisten, die ihn bewachen, abgenommen. Seine Füsse sind gefesselt. Seine Mutter verfolgt die Urteilsverkündung mit geschlossenen Augen.
11:11 Uhr
Die Tat war geplant
Der Richter erklärt, dass Raphael M. die Tat geplant habe. «Aber wir glauben Ihnen nicht, dass Sie die Tat zehn Jahre lang geplant haben», sagt der Gerichtsvorsitzende. Das hatte der vorverurteilte Doppelmörder behauptet. Beim ersten Delikt habe er die falsche Frau umgebracht.
Gemäss dem Gericht plante er die Tat zumindest am Vortag. Damals sagte Raphael M. eine Verabredung für den nächsten Tag ab und täuschte seinen Bezugspfleger. «Das war trickreich und hinterhältig», sagt der Richter.
11:05 Uhr
Hätte die Tat verhindert werden können?
Der Gerichtsvorsitzende Dominik Kiener (EVP) beginnt die Urteilsverkündung mit grundsätzlichen Überlegungen: «Wenn etwas Schreckliches passiert, kommt reflexartig die Frage: Hätte man das verhindern können? Gab es ein Behördenversagen?» Das sei verständlich. Aber man müsse es auch sachlich anschauen: «Heute wissen wir mehr als früher.» Man hätte die Tat verhindern können, wenn man in der Jugend eine Therapie angeordnet hätte oder eine fürsorgerische Unterbringung.
Vor Gericht gehe es um etwas anderes: um den Sachverhalt und um die Verstorbene. «Was ist passiert und wer ist verantwortlich?», fragt der Richter. Und gibt die Antwort: «Das sind Sie und niemand anders.»
11:05 Uhr
10:45 Uhr
18.12.2025
Der Ablauf
Gerichtspräsident Dominik Kiener hat den Zeitpunkt für die Urteilsverkündung um 11 Uhr mit Rücksicht auf den 33-jährigen Mörder Raphael M. gewählt. So kann er am Mittag zurück in den Hochsicherheitstrakt der Psychiatrie in Rheinau. Der geständige Täter leidet an einer besonders schweren paranoiden Schizophrenie. Seine Hautfarbe ist kreidebleich, er wirkt sediert.
«Ich war maximal gefährlich»
So lief der Prozessauftakt am 17. Dezember 2025 ab
Vier Polizisten führen Raphael M. am Mittwochmorgen in den Gerichtssaal. Der 33-Jährige geht gebückt und wirkt sediert. Er trägt ein schwarz-weisses Kurzarmhemd mit blauäugigen Tigern und Tribal-Muster, das über den Schultern flattert. Immer wieder fasst sich der vorverurteilte Doppelmörder mit der Hand an den Kopf, wischt die Hände an Jeans ab und zuckt mit den Füssen. Im Verlauf der Befragung wird er wortkarger.
Die Staatsanwaltschaft hat Mordanklage gegen ihn erhoben, weil er am 8. August 2024 am Nasenweg in Basel eine 75-jährige Frau umgebracht hat – er ist geständig.
Die Tat erschütterte die Schweiz. Raphael M. ist ein vorverurteilter Doppelmörder. Im Wohnhaus seines Vaters hatte er bereits 10 Jahre zuvor zwei Personen getötet und eine schwer verletzt. Auf einem unbegleiteten Freigang aus der Basler Universitätspsychiatrie kehrte er an den Tatort zurück und tötete eine weitere Nachbarin.
Das Interesse am Prozess ist gross – nicht alle Zuschauerinnen und Journalisten finden einen Platz im Hauptsaal. Das Gericht überträgt den Prozess per Video ins Nebenzimmer.
Der Richter konfrontiert Raphael M. mit dem Tathergang und beschreibt, wie dieser ein Küchenmesser mit einer Länge von 24,5 Zentimeter aus der Wohnung seines Vaters holte und damit die Nachbarin im ersten Stock angriff und tötete. In diesem Moment beginnt die Tochter des Opfers zu schluchzen.
«Die Angehörigen erhoffen sich Antworten», sagt der Gerichtspräsident Dominik Kiener immer wieder zu Raphael M. Aber solche gibt es nicht wirklich. Vielmehr Widersprüche: So kann der Beschuldigte vor Gericht seine Wahnvorstellungen nicht konkret wiedergeben. Er hatte dem Gerichtspsychiater erzählt, dass er sich von Halluzinationen habe leiten lassen und 2014 die falsche Frau umgebracht habe. Dies habe er dann korrigiert. Vor Gericht schweigt er dazu.
Der Richter macht deutlich, dass er diese Version nicht glaubt. Ein Auslöser für die Tat könne auch ein Nachbarschaftskonflikt zwischen dem Vater und dem Opfer sein. Deshalb könnte Raphael M. die Frau getötet haben – was dieser aber bestreitet. Der Psychiater hält diese These deshalb nicht für plausibel.
Tochter des Opfers sitzt im Gerichtssaal
«Haben Sie die Tat geplant?», fragt der Gerichtspräsident nach über einer Stunde Befragung nochmals. Viele Fragen stellt er für die Angehörigen. Sie wollen den Grund für die unfassbare Tat verstehen. Raphael M. sagt, er wolle diese Frage später beantworten. Der Richter insistiert: «Wir sind jetzt hier. Sagen Sie es uns jetzt.» Schliesslich murmelt M.: «Ja.» Danach schweigt er lange. In solchen Momenten ist nur das Klappern der Tastaturen im Saal zu hören.
Dieses «Ja», das sei es, was vor allem bei ihr hängengeblieben sei, sagt die Tochter des Opfers in der Pause. Sie sei erleichtert, dass der Richter das psychiatrische Gutachten in Frage gestellt habe.
Elektrokrampftherapie als letzte Möglichkeit
Seit 15 Jahren lautet die Diagnose für Raphael M.: paranoide Schizophrenie. Gerichtspsychiater Elmar Habermeyer beschreibt M. als autistisch. Die medikamentöse Behandlung sei ausgereizt. Die weiteren Erfolgsaussichten stuft er als gering ein. Raphael M. sei therapieresistent, aber nicht untherapierbar.
Als letzte Möglichkeit sieht er eine Elektrokrampftherapie. In der Regel gebe es im Rahmen einer solchen sechs bis acht Behandlungen in einem Spital. «Gemäss bisherigen Erfahrungen sieht man schnell, ob es einen Verbesserungseffekt beim Patienten gibt», sagt er.
Raphael M. verheimlichte in der Psychiatrie seine Wahnvorstellungen von Dämonen und Heiligen. Vor dem zweiten Delikt täuschte er alle Fachpersonen. Darüber wunderten sich in den Medien erfahrene Psychiater. Eigentlich sollten die Berufskollegen in der Lage sein, Täuschungen zu erkennen. Habermeyer entgegnet: «Man kann mich genauso täuschen wie alle anderen auch. Ausser, wenn ich gute Fallkenntnis habe.» Das Verhalten von Raphael M. in der Basler Klinik habe nicht auf ein derart schwerwiegendes Problem hingewiesen.
Raphael M. selbst sagt in der Befragung: «Ich brauche eine geschlossene Massnahme ohne Ausgang. Eine Verwahrung. Ich war maximal gefährlich vor dem zweiten Delikt.» Eine aussergewöhnliche Aussage.
Psychiater erachtet Gefängnis als ungeeignet
Gemäss Habermeyer ist der entscheidende Punkt: Raphael M. sei nicht in der Lage, sich von seinem Plan zu distanzieren. Er lebe in zwei Welten, der realen und der halluzinatorischen. Das Wesen des Wahns bestehe darin, dass der Betroffene die Sinneseindrücke als real erlebe. Sein Erleben sei mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die Halluzinationen motiviert. Zu den Angehörigen sagt Habermeyer: «Eine nachvollziehbare Begründung für sein Handeln ist schwierig.»
Der Psychiater schlägt eine stationäre Massnahme und eine Verwahrung vor, obwohl diese Kombination juristisch nicht vorgesehen ist. Eine stationäre Massnahme ist nur möglich, wenn ein Therapieerfolg innert fünf Jahren möglich wäre. Sonst ist eine Verwahrung angebracht.
Habermeyer will mit seinem Vorschlag erreichen, dass M. in eine Klinik kommt. Ein Gefängnis sei für ihn wegen seines Gesundheitszustands ungeeignet. Gerichtspräsident Kiener merkt an, dass er auch eine Verwahrung anordnen und eine Klinik als Vollzugsort bestimmen könnte. Mit dieser Bemerkung nimmt er möglicherweise das Urteil vorweg. Der Unterschied zu einer stationären Massnahme ist, dass die Therapie weniger intensiv ist.
Gerichtspsychiater Elmar Habermeyer sagt weiter: «Wäre es nicht zu einer erneuten Tat gekommen, hätte kein Gericht der Welt eine Verwahrung in Erwägung gezogen.»
«Es tut mir leid»
Am Nachmittag drückt Raphael M. zum ersten Mal sein Bedauern aus: «Es tut mir schrecklich leid, dass ich so viele Familien traurig gemacht habe.» Er scheint den Satz auswendig gelernt zu haben. Als er ihn aufsagt, stockt er und muss mehrmals neu beginnen.
Staatsanwalt Camilo Cabrera tritt ans Rednerpult und spricht den Angehörigen des Opfers sein Beileid aus. Er plädiert für eine ordentliche Verwahrung. Die Rückfallgefahr sei zu gross. Der Staatsanwalt bezeichnet die Tat als «bestialisch».
Das Gericht setzt die Urteilsverkündung auf Freitag um 11 Uhr an.
Der Ticker zum Nachlesen: Das Protokoll der Verhandlung
15:46 Uhr
17.12.2025
«Es tut mir leid»
Jetzt erhält Raphael M. die Gelegenheit für das Schlusswort. Er senkt den Kopf, räuspert sich mehrmals und murmelt: «Ich wiederhole mich. Es tut mir leid, dass ich das getan habe.»
15:09 Uhr
«Er ist ein Werkzeug seiner Krankheit»
Andreas Fischer ist der Verteidiger von Raphael M. Er bezeichnet die Tötung als «sinnlos und grausam». Die Schizophrenie habe die Oberhand gewonnen: «Er ist ein Werkzeug seiner Krankheit.» Deshalb sei er schuldunfähig. Er wisse schon, dass man niemanden umbringen dürfe. Er sei aber nicht in der Lage gewesen, seinen Wahn mit der Realität abzugleichen.
Der Verteidiger macht ein Beispiel. Er zeigt den Richterinnen und Richtern eine Zeitungsseite mit einer grossen Werbung. Alle normalen Leute würden hier einfach eine Werbung sehen, sagt der Verteidiger. Doch Raphael M. habe darin eine persönliche Nachricht von Buddha an ihn gesehen.
Der Verteidiger bestreitet, dass es sich um einen Mord gehandelt habe. Er spricht von einem «normalen Tötungsdelikt», da Raphael M. weder steuerungs- noch einsichtsfähig gewesen sei. Dazu zitiert er die Rechtsprechung des Bundesgerichts. Er erwähnt aber nicht, dass das Gericht Raphael M. schon wegen des ersten Delikts 2014 wegen Mordes verurteilt und als schuldunfähig eingestuft hat.
Verteidiger Fischer plädiert für eine stationäre Massnahme. Denn die Behandlungsmöglichkeiten seien jetzt besser als damals in der Basler Universitätspsychiatrie. Diese habe die Angehörigen nicht in ihre Arbeit einbezogen und zum Beispiel ein Tagebuch von ihm, das seine Mutter einreichte, nicht entgegengenommen. Nun arbeite die Klinik mit den Angehörigen zusammen.
«Der Fall ist in jeder Hinsicht eine Tragödie», bilanziert der Verteidiger. Er meint die getötete Frau B., ihre Angehörigen, die Mitarbeitenden des Massnahmenvollzugs und für die Psychiatrie, aber auch für die Angehörigen von Raphael M. und für ihn selbst. «Weil es ihm nicht gelungen ist, seine Krankheit zurückzudrängen, für die er nichts kann. Der Terror in seinem Kopf dauert an.»
14:31 Uhr
Opferanwalt zweifelt Motiv an
Anwalt Christoph Dumartheray vertritt die Familie der getöteten Frau. Er zweifelt die These an, dass Raphael M. in seinem Wahnsystem vor zehn Jahren «die falsche Frau» getötet und dies nun korrigiert habe. Dumartheray entgegnet: «Diese Geschichte nehme ich dem Beschuldigten nicht ab.» Man müsse in Erwägung ziehen, dass der Nachbarschaftsstreit der Auslöser war.
Er hätte sich von der Staatsanwaltschaft erhofft, dass sie in ihren Ermittlungen auch die Praxis der Universitätspsychiatrie hinterfrage. «Wir müssen schauen, dass wir die Qualität steigern», sagt er.
Aus den Akten ergebe sich zum Beispiel der Hinweis, dass ein Pfleger angewiesen worden sei, nachträglich Verlaufsberichte zu ändern. Doch die Staatsanwaltschaft sei dem nicht nachgegangen.
Der Staatsanwalt entgegnet, dass es sich um einen ehemaligen Mitarbeiter handle, der sich in einem Konflikt mit seiner früheren Arbeitgeberin befinde. Deshalb könne man dessen Aussagen nicht als «bare Münze» nehmen.
Dumartheray: «Ich nehme sie auch nicht als bare Münze.» Aber man hätte dies abklären können.
14:10 Uhr
Staatsanwalt bezeichnet die Tat als bestialisch
Staatsanwalt Camilo Cabrera tritt ans Rednerpult und rattert sein Plädoyer herunter. Zuerst drückt er den Angehörigen sein Beileid aus. Dann sagt er: «Die Tat ist derart bestialisch, dass der Mordtatbestand erfüllt ist.» Die Tat sei nicht ansatzweise verständlich oder nachvollziehbar und könne nur durch die Schizophrenie, das Wahnsystem, erklärt werden.
Der Staatsanwalt beantragt eine Verwahrung. Denn die Rückfallgefahr sei gross und die Behandlungsmöglichkeiten seien ausgeschöpft. Für eine Therapie müsste er offen über seine Krankheit sprechen können. Die Antworten auf die Fragen des Richters hätten gezeigt, dass Raphael M. dazu nicht in der Lage sei.
Für eine lebenslängliche Verwahrung müsste Raphael M. dauerhaft untherapierbar sein. Doch da der Gerichtspsychiater eine Elektrokrampftherapie als letzte Möglichkeit sieht, sei diese Voraussetzung nicht erfüllt.
14:03 Uhr
«Es tut mir schrecklich leid»
Vier Polizisten bringen Raphael M. in Hand- und Fussfesseln zurück in den Saal. Polizisten lösen die Handschellen. Doch die Füsse lassen sie zusammengebunden. Bevor die Plädoyers beginnen, fragt der Richter: «Wollen Sie noch etwas sagen?»
Raphael M. versteht die Frage falsch und meint, er habe nun die Gelegenheit für das Schlusswort. Er hat den Satz auswendig gelernt. Er stockt und muss mehrmals neu beginnen. Dann drückt er zum ersten Mal sein Bedauern aus: «Es tut mir schrecklich leid, dass ich so viele Familien traurig gemacht habe.»
11:42 Uhr
Die Familie der getöteten Frau hat Zweifel
Die Familie der getöteten Frau versammelt sich im Gang des Gerichts. Die Tochter sagt auf Anfrage, dass ihr vor allem ein Wort hängen geblieben sei: «Ja.» Raphael M.'s Antwort auf die Frage, ob er die Tat geplant habe.
Die Tochter glaubt die These des Gerichtspsychiaters nicht, dass die Tat nur mit den Halluzinationen erklärbar sei. «Wie fühlen Sie sich jetzt?», fragt ihr Anwalt. Erleichtert, antwortet sie, weil der Richter Zweifel zum psychiatrischen Gutachten geäussert habe.
Der Anwalt tritt nach draussen vor die Videokameras und gibt ein Statement in diesem Sinn ab. Die Angehörigen achten darauf, dass sie nicht auf der Bildfläche erscheinen.
11:35 Uhr
Wie konnte Raphael M. die Therapeuten täuschen?
Opfervertreter Christoph Dumartheray löchert den Psychiater mit Fragen. Wie konnte es sein, dass Raphael M. die Therapeuten täuschen? Erfahrene Psychiater sagten in den Medien allgemein zum Fall, dass es grundsätzlich zu ihrem Job gehöre, Manipulationen und Täuschungen zu erkennen.
Habermeyer schmunzelt. Er entgegnet, dass er nicht so selbstbewusst sei, so etwas zu behaupten. «Man kann mich genauso täuschen wie alle anderen auch. Ausser, wenn ich gute Fallkenntnis habe», sagt er. Das Verhalten von Raphael M. in Basel habe nicht auf ein derart schwierges Problem hingewiesen.
10:21 Uhr
Psychiater Elmar Habermeyer erklärt den Wahn
Raphael M. leide an einer paranoiden Schizophrenie. Die Diagnose wurde ihm erstmals mit 18 Jahren gestellt. Zuvor waren typische Symptome aufgetreten: sozialer Rückzug, schulischer Einbruch.
Raphael M. berichtete dem Psychiater, in Kontakt mit höheren Mächten zu stehen. Diese signalisierten ihm mit Augenfarben, was er zu tun habe. M. sei zurückgezogen und habe trotz umfangreicher Therapie Mühe, sein Wahnerlebnis als solches wahrzunehmen. Er habe keine Krankheitseinsicht oder höchstens eine brüchige.
Der Richter fragt den Psychiater: «Warum glauben Sie ihm, dass er das wirklich sieht, was er beschreibt?»
Habermeyer beschreibt M. als autistisch. Er sei versunken in dieser Wahnwelt und habe die verbalen Fähigkeiten nicht, sie richtig zu beschreiben. Das Wesen des Wahns bestehe darin, dass der Betroffene die Sinneseindrücke als real erlebe. Raphael M. lebe in einer Fantasywelt, die Ähnlichkeiten zu «Herr der Ringe» aufweise.
Ist die Tat eine pure Reaktion auf den Nachbarschaftskonflikt?
Der Psychiater meint, dieser könne eine Rolle gespielt haben. Aber Raphael M. habe diesen Einfluss in seiner Befragung verneint. Der Psychiater verfolgte die These nicht weiter, weil er sie nicht für plausibel hält.
Warum soll Raphael M. schuldunfähig sein, wenn er die Tat geplant hat?
Der entscheidende Punkt gemäss dem Psychiater ist, dass Raphael M. nicht in der Lage sei, sich von seinem Plan zu distanzieren. Er lebe in zwei Welten, der realen und der halluzinatorischen. Sein Erleben sei mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die Halluzinationen motiviert. Zu den Angehörigen sagt Habermeyer: «Eine nachvollziehbare Begründung für sein Handeln ist schwierig.»
Wie soll es nun weitergehen?
Gemäss Habermeyer sei die medikamentöse Behandlung bei Raphael M. ausgereizt. Die weiteren Erfolgsaussichten stuft er als gering ein. Die einzige Möglichkeit sei noch eine Elektrokrampftherapie. In der Regel gebe es sechs bis acht Behandlungen in einem Spital. Gemäss bisherigen Erfahrungen sehe man schnell, ob es einen Verbesserungseffekt beim Patienten gebe. Einen Erfolg könne er nicht garantieren, so Habermeyer. Bevor man aber nichts mehr versuche, werde dies empfohlen. Eine Prognose sei schwierig. Raphael M. sei therapieresistent, aber nicht untherapierbar.
Der Psychiater schlägt eine stationäre Massnahme und eine Verwahrung vor, obwohl diese Kombination juristisch nicht vorgesehen ist. Eine stationäre Massnahme ist nur möglich, wenn ein Therapieerfolg innert fünf Jahre möglich wäre. Sonst ist eine Verwahrung angebracht.
Habermeyer will mit diesem Vorschlag erreichen, dass M. in eine Klinik kommt. Ein Gefängnis sei für ihn wegen seines Gesundheitszustands ungeeignet. Der Richter merkt an, dass er auch eine Verwahrung anordnen und eine Klinik als Vollzugsort bestimmen könnte. Mit dieser Bemerkung nimmt er möglicherweise das Urteil vorweg. Der Unterschied zu einer stationären Massnahme ist, dass die Therapie weniger intensiv ist.
10:16 Uhr
Die grosse Frage: War es Mord?
Richter: Haben Sie die Tat geplant?
M.: Ich möchte die Frage später beantworten.
Richter: Wir sind jetzt hier. Sagen Sie es uns jetzt.
M.: Ja. (Er gesteht also einen Mord und versinkt in Schweigen).
10:06 Uhr
Die Wahnwelt von Raphael M.
Der Richter befragt Raphael M. zu seiner zweiten Dimension, die dieser angeblich sieht. Der Beschuldigte sagt, dass er darüber nur mit seiner Ärztin reden möchte. Er befinde sich in einer «Zwickmühle». Mehr sagt er nicht.
Der Richter erinnert den Beschuldigten daran, dass es vor allem für die Angehörigen der getöteten Frau wichtig sei, den Grund zu verstehen. Raphael M.: «Es steht im Gutachten.» Der Richter: «Es steht sehr viel im Gutachten. Die Frage ist: Was sagen Sie heute?» Stille.
09:44 Uhr
Der Richter glaubt Raphael M. nicht alles
Der Richter unterbricht die Befragung und macht eine wichtige Bemerkung. Er hält die Schilderungen von Raphael M., die er gegenüber dem Gerichtspsychiater gemacht hat, nicht für glaubhaft. Denn der Beschuldigte kann seine Wahnvorstellungen vor Gericht nicht konkret wiedergeben.
Raphael M. hatte dem Psychiater erzählt, dass er sich von Halluzinationen habe leiten lassen und vor zehn Jahren die falsche Frau umgebracht habe. Zehn Jahre später habe er dies korrigiert und die richtige getötet.
Mit beiden Frauen hatte der Vater von Raphael M. einen Nachbarschaftsstreit. Doch Vater und Sohn massen diesem in Befragungen keine Bedeutung zu.
Bevor Raphael M. den Saal verlässt, schaut er zum ersten Mal ins Publikum. Eine Zuschauerin flüstert zu ihrer Nachbarin, dass sie ihm am liebsten einen Schlag auf den Hinterkopf geben würde.
09:24 Uhr
Mittwoch, 17. Dezember
Raphael M. gesteht die Tat: «Es ist wahr»
Richter: Auf Ihrem bewilligten Freigang fuhren Sie mit dem Tram zu Wohnung Ihres Vaters. Sie holten ein Küchenmesser mit einer Klingenlänge von 24,5 Zentimeter und griffen damit die Nachbarin des ersten Obergeschosses an. Sie töteten Sie. (Die Tochter im Saal schluchzt.) Die Staatsanwaltschaft legt ihnen Mord zu Last. Ist das wahr? warum haben Sie das getan?
M.: Es ist wahr.
Richter: Genau so, wie ich es geschildert habe?
M.: Ja.
Richter: War es eine geplante Tat?
M.: Darauf möchte ich nicht antworten.
Richter: Warum taten Sie das? Das interessiert vor allem die Familie des Opfers.
M.: Das kann ich nicht sagen. (Er verstummt. Auf Nachfragen murmelt er. Gegenüber dem Gerichtspsychiater hatte er sich ausführlich geäussert. Der Richter wartet lange auf Antworten. Doch sie kommen nicht.) Ich habe es dem Gutachter erzählt, will es hier aber nicht wiederholen.
Richter: Was sagen Sie, wenn ich Ihnen sage, dass ich Ihnen diese Geschichte nicht glaube? Ich glaube nicht, dass Sie die Frau schon 2014 töten wollten.
M.: Es ging darum, vor dem Bösen zu schützen. (Er redet kaum hörbar.)
Richter: In den Medien konnte man es jetzt auch lesen: Was haben die beiden Opfer gemeinsam? Beide hatten mal Streit mit Ihrem Vater.
M.: Die erste Frau soll Informationen über die andere gehabt haben. Ich kenne den Namen des Menschen nicht, der mir das gesagt hat.
Richter: War das ein Dämon?
M.: Ich kann es nicht sagen.
Richter: Ein paar Reihen hinter Ihnen sitzt die Familie der getöteten Frau B. und will Antworten. Deshalb nochmals: Musste Frau B. sterben wegen des Streits Ihres Vaters um das Kellerabteil?
M.: Nein.
Richter: Wussten Sie von diesem Streit?
M.: Mein Vater sagte mir mal, dass eine Frau mit mir reden wollte.
08:49 Uhr
Mittwoch, 17. Dezember
Raphael M. erzählt seine Geschichte
Richter: Wie geht es Ihnen?
M.: Nervös.
Richter: Sie hatten eine unauffällige Schulzeit. Mit 14 begannen die Probleme.
M.: Ich hatte viele Kollegen und habe «Magic Gathering» gespielt. Ich war dafür in Paris und Bern.
Richter: Können Sie das Kartenspiel erklären? Ist das wie Jassen? Oder sind auch Dämonen auf den Karten?
M: Ja, alles Mögliche.
Richter: Wie ging es danach weiter?
M.: Ich hatte Schwierigkeiten, einen Job zu finden. Ich wollte Koch werden wie mein Vater, fand aber keine Lehrstelle.
Richter: Das war kurz vor der ersten Tat. Wie fühlten Sie sich damals?
M.: Ich begann, erstmals Figuren zu sehen.
Richter: Was für Figuren?
M: Ich sah Menschen, die andere nicht sahen. Ich war viel im Bett. Das war schrecklich, ein halbes Jahr lang. Meine Mutter alarmierte den Notfallpsychiater. Doch mein Vater wollte mich leider nicht einweisen. Er sagte, das sei eine Phase.
Richter: Wieso begingen Sie die erste Tat?
M: Ich hatte Angst, dass ich sonst in die Hölle komme. Genauer kann ich es derzeit nicht sagen, vielleicht später.
Richter: Sie hatten in der Psychiatrie eine schwerwiegende Krankheit: Borreliose. Aber man glaubte Ihnen nicht.
M: Ja, das war schlimm. Ich hatte kein Gefühl mehr in den Händen. Deshalb ging ich in den Notfall des Spitals.
Richter: Im Inselspital Bern erhielten Sie dann eine Antibiotikatherapie. Geht es Ihnen jetzt gut?
M.: Die Symptome sind weg.
Richter: Hat die Borreliose etwas geändert in Ihrem Vertrauen zu den Universitären Psychiatrischen Kliniken?
M.: (Seine Hände zittern. Er murmelt unverständlich und erzählt von seinem Wahn.)
Richter: Warum erzählten Sie erst dem Gutachter von der zweiten Welt, die Sie sehen? Sahen Sie die Figuren in all den Jahren?
M.: Ja. (Er verstummt, wenn es um seine Psychosen geht. Fragen zu Eckdaten seiner Biografie beantwortet er hingegen mit heller, klarer Stimme.)
Richter: Können Sie das Regime in der Psychiatrie vor dem zweiten Delikt beschreiben?
M.: Ich fuhr immer alleine mit dem Bus zur Arbeit am Morgen und dann zurück in die Klinik. Ich kam immer pünktlich zurück von den Ausgängen und nahm nie Drogen. Ich ging mit meiner Familie ins Thermalbad Sole Uno und traf Kollegen. Mein bester Kollege steht immer noch zu mir trotz allem, was ich getan habe.
Richter: Hatten Sie einen Schlüssel zur Wohnung des Vaters?
M.: Ja. Der Vater wollte ihn mir erst nicht geben.
Richter: Wofür benötigten Sie ihn?
M.: Um heimzugehen.
Richter: Wie geht es Ihnen in der Klinik Rheinau?
M.: Schwierig. Ich kann mir aber trotz allem helfen lassen. Ich mache eine Therapie und verweigere meine Medikamente nicht.
Richter: Reden Sie jetzt über Ihre zweite Welt, die Sie sehen?
M.: Ja, früher habe ich das nicht getan. Jetzt rede ich darüber.
Richter: Haben Sie noch Zugang zu diesen Spielen?
M.: Nein, das wurde präventiv verneint.
Richter: Wie soll es mit Ihnen weitergehen, wenn Sie selbst entscheiden könnten?
M.: Ich brauche eine geschlossene Massnahme ohne Ausgang. Eine Verwahrung. Ich war maximal gefährlich vor dem zweiten Delikt.
Richter: Wie würden Sie sich selbst einstufen?
M.: Eher pazifistisch. Ich war ihm Wahn und wurde paranoid.
08:33 Uhr
Mittwoch, 17. Dezember
Der Beschuldigte erscheint in Fussfesseln
Der Polizeitransporter mit Raphael M. hat Verspätung. Jetzt schlurft der 33-jährige Beschuldigte mit Fussfesseln in den Saal. Er ist bleich, geht gebückt und hat einen müden Blick. Zwei Polizisten und zwei Polizistinnen bewachen ihn im Saal. Er sitzt ruhig an seinem Platz und starrt vor sich hin.
Bei der Begutachtung durch den Gerichtspsychiater wog er fast hundert Kilogramm. «Erhöhter Ernährungszustand», heisst der Vermerk dazu im Gutachten. Inzwischen wirkt Raphael M. in seinem weiten Kurzarmhemd abgemagert. Der Gerichtsvorsitzende Dominik Kiener (EVP) kündigt die Urteilsverkündung für Freitagvormittag an, damit der psychisch kranke Mann am Mittag wieder zurück in den Hochsicherheitstrakt der Psychiatrie in Rheinau kann.
07:45 Uhr
Mittwoch, 17. Dezember
Mehr Leute als Plätze im Saal
Vor dem Strafgericht erscheint mehr Publikum, als im Saal Platz hat. Nur neun Medienschaffende dürfen die Verhandlung im Hauptsaal verfolgen. Für die übrigen richtet das Gericht eine Videoübertragung ein. Weil unsere Gerichtsreporterin in aller Früh erschienen ist und Plätze reserviert hat, berichten wir live aus dem Saal.
07:00 Uhr
Mittwoch, 17. Dezember
Der Ablauf
Der Prozess sollte am Mittwochmorgen um 8:15 mit der Befragung von Raphael M.: zur Person und zur Sache beginnen. In den Einvernahmen antwortete er auf die meisten Fragen nur mit wenigen Worte. Seine häufigsten: «Keine Aussage».
