Sie können irgendwie nicht loslassen, besonders jene, die schon lange das Sagen haben. Neustes Beispiel ist Urs Riedener, scheidender Chef des Milchverarbeiters Emmi. Über 13 Jahre hat er das Unternehmen jetzt schon geführt, erlebte Hoch und Tiefs. Aber gehen will der 56-Jährige, der per Ende 2022 seinen Rücktritt ankündet hat, nicht wirklich. Er macht Emmi-intern lieber nochmals eine Karriere nach der Karriere - und übernimmt in Frühjahr 2023 das Verwaltungsratspräsidium.
Zwischen den beiden Posten sind gerade mal drei Monate. Das reicht, findet man jedenfalls bei Emmi, bei den Zentralschweizer Milchproduzenten, die 53,25 Prozent der Emmi-Aktien halten, spricht man gar vom «Königsweg». Mit Riedener an der Spitze, «wissen wir, was wir bekommen», betont Sprecherin Carol Aschwanden. Er werde nicht alles über den Haufen werfen, sondern die gefasste Strategie weiterverfolgen. «Das gibt uns Sicherheit.» Good-Governance-Bedenken hat man nicht: «Wir haben Vertrauen in Urs Riedener und sind überzeugt, dass er kein Schatten-CEO wird», sagt Aschwanden.
In guter Gesellschaft
Ganz so einfach hat man es sich im Verwaltungsrat nicht gemacht. «Es gibt einen Konflikt zwischen Theorie und Praxis», räumt Emmi-Verwaltungsratspräsident Konrad Graber ein, der Riedener 2023 seinen Stuhl übergeben wird. «Aber wir mussten uns entscheiden - und zwar zwischen ‹best chairman› und ‹best governance›. Und da haben wir uns klar für ersteres entschieden», also für den besten Verwaltungsratspräsidenten statt für die beste Unternehmensführung.
Riedener ist bei weitem kein Einzelfall, Verwaltungsratspräsidenten mit CEO-Vergangenheit findet man in der Schweiz zuhauf - und zwar in allen Branchen: im Detailhandel, der Industrie, der Versicherungen und bei den Banken. So hat etwa im April der langjährige Coop-Chef Joos Sutter beim Detailhandelsriesen flugs vom CEO-Posten ins Präsidium gewechselt. Hariolf Kottmann verlängerte seine Wirkungszeit bei Clariant, als er 2018 vom Chef- auf den Präsidentensessel wechselte - bevor er dann auf Druck der Aktionäre diesen Frühling doch noch gehen musste.
Auch Yves Serra, der langjährige Chef des Industriekonzern Georg Fischer, verliess die Geschäftsleitung Richtung Verwaltungsrat - schaltete dort aber immerhin eine kurze «Cooling off»-Pause auf dem Vizepräsidentenstuhl ein, bevor er das Präsidium übernahm. Ein Anstandsjahr als normales Verwaltungsratsmitglied absolvierte auch der Ex-Valiant-Chef Markus Gygax, bevor er im Mai 2020 das Präsidium übernahm.
Panne bei der Mobiliar-Erbfolge
Auch bei der genossenschaftlich organisierten Mobiliar durften die CEO als Präsidenten weiteragieren: So haben es Albert Lauper und Urs Berger gemacht. Und so wollte es auch der langjährige Mobiliar-Chef Markus Hongler - inklusive einjähriger Wartefrist als normales Verwaltungsratsmitglied. Doch die Delegierten machten ihm im Mai einen Strich durch die Rechnung: Er wurde von den Delegierten derart knapp in den Verwaltungsrat gewählt, dass er darauf hin bekannt gab, aufs Präsidium verzichten zu wollen.
Allerdings haben sich die Delegierten nicht nur am schnellen Wechsel vom CEO zum Präsidenten gestört, sondern vor allem daran, dass sich Hongler kurz zuvor bereits das Präsidium der Luzerner Kantonalbank geschnappt hatte. Man befürchtete Interessenskonflikte , so sind etwa Kantonalbank und die Mobiliar-Partnerin Raiffeisen scharfe Konkurrentinnen auf dem Luzerner Hypothekarmarkt.
Auch das Doppelmandat kommt in der Schweiz immer wieder vor
Wie bei der Mobiliar hat auch bei Nestlé der Wechsel vom einen Gremium ins andere quasi Tradition: Auch der amtierende Verwaltungsratspräsident Paul Bulcke war zuvor Konzernchef. Aufs Doppelmandat hingegen verzichten die Nestlé-Oberen nun. Der letzte, der 2005 darauf beharrte, war Peter Brabeck.
Andere Firmen und Wirtschaftslenker sind noch nicht so weit: So war etwa Albert Baehny - wenigstens für eine Übergangsperiode von ein paar Jahren - beides gleichzeitig, CEO und Verwaltungsratspräsident. Und das gar zweimal: zuerst bei Geberit, später bei Lonza, als er als Verwaltungsratspräsident den Chefposten von November 2019 bis Oktober 2020 übernahm. König des Doppelmandats ist Lindt&Sprüngli-Lenker Ernst Tanner, mittlerweile nur noch «exekutiver Verwaltungsratspräsident».
Bei Economiesuisse sähe man zwar generell lieber eine Doppelspitze als Doppelmandate, aber ruft der vom Wirtschaftsdachverband ausgearbeitete «swiss code of best practice for corporate governance» den Verwaltungsrat nur dazu auf, darauf hinzuwirken, «dass sein Vorsitz und die Spitze der Geschäftsleitung zwei Personen anvertraut werden».
In der Schweiz zelebriert, in Grossbritannien verboten
Schön ist das nicht, wenn der Chef zum Präsidenten aufsteigt: Denn wie soll ein Nachfolger eigene Akzente setzen, wenn der Vorgänger noch immer da ist und ihn überwacht? Auch deshalb müssen in Deutschland und Österreich Konzernchefs mindestens zwei Jahre warten, bis sie sich überhaupt in den Verwaltungsrat wählen lassen dürfen. In Grossbritannien ist dieser Wechsel gar ganz verboten.
Aber nicht in der Schweiz. Hierzulande mucken nicht einmal die institutionellen Stimmrechtsberater auf. Im Gegenteil: Ethos-Geschäftsführer Vincent Kaufmann etwa sieht kein Problem im direkten Wechsel vom Chefposten an die Verwaltungsratsspitze: «Das kommt in der Schweiz regelmässig vor. Oft ist es auch sinnvoll.» Wichtig sei es, dass die Personalrochaden frühzeitig kommuniziert werde, so dass sich die Person auf ihre neue Rolle vorbereiten und die Nachfolge geplant werden könne. Dann verstosse es nicht gegen die Richtlinien, nach welchen Ethos die Good Governance von Unternehmen bewertet. Kaufmann betont aber, dass es bei einem solchen Wechsel zwingend sei, dass der Vizepräsident des Verwaltungsrats und die Mehrheit des Verwaltungsrats unabhängig sind. «Sonst kann es problematisch werden.»
Musterschüler - beim Staat und den Grossbanken
Doch man muss nicht alles machen, was erlaubt ist. Besonders bedacht, diesbezüglich alles richtig zu machen, ist der Bund bei seinen Staatsbetrieben: Als der langjährige Post-Chef Ulrich Gygi ins Präsidium nachrücken wollte, stellte sich der zuständige Bundesrat Moritz Leuenberger quer. Gygi musste sich mit dem SBB-Präsidium zufrieden geben, für die Post wurde in der Person von Claude Béglé ein externer Kandidat gefunden, was sich dann aber eher als eine unglückliche Wahl herausstellte.
Aber auch in der Privatwirtschaft gibt es sie, die Musterschüler: UBS-Präsident Axel Weber, der sich dem deutschen Modell verpflichtet fühlt, hätte es nie zugelassen, dass sein langjährige Grossbankchef Sergio Ermotti ohne zweijährige «Cooling off»-Periode ins Präsidium aufrückt. Ermotti musste sich ein anderes Präsidium suchen, das er nun bei der Swiss Re gefunden hat.