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Wochenkommentar

Trump ist Trump, nicht Hitler oder Mussolini

Der Republikaner sei ein Faschist, sagen Kamala Harris und ihre Unterstützer. Doch wer allzu rasch auf historische Schlagworte zurückgreift, verstellt sich oft den Blick auf die Gegenwart.
«Eine verarmte und einfache Sprache»: Donald Trump, hier am 18. September auf einer Kundgebung in Uniondale im Bundesstaat New York.
Bild: Alex Brandon/AP

«Ist es richtig, Donald Trump einen Faschisten zu nennen?», lautete der Titel einer Umfrage, die das «Times Literary Supplement» («TLS») im November 2018, zwei Jahre nach der Wahl des Republikaners zum amerikanischen Präsidenten, unter führenden angelsächsischen Historikern veranstaltete.

Heute, sechs Jahre später, da sich Trump womöglich anschickt, erneut ins Weisse Haus einzuziehen, könnte die Frage kaum aktueller sein: Dass der republikanische Kandidat ein Faschist sei, ist mittlerweile eines der Hauptargumente seiner demokratischen Kontrahentin Kamala Harris.

Die Althistorikerin Mary Beard griff bei der Beantwortung der «TLS»-Umfrage auf die Merkmale des Ur-Faschismus zurück, die Umberto Eco 1995 definiert hatte. Jedes dieser Anzeichen finde sich in Trumps Zielen und Methoden wieder.

Tatsächlich erscheinen die Parallelen schlagend: «Keine Kritik annehmen, Angst vor dem Andersartigen, Appell an frustrierte Mittelklassen und an Fremdenfeindlichkeit, Feinde gleichzeitig als schwach und als stark ansehen, Machismo, eine verarmte und einfache Sprache, um das kritische und komplexe Denken auszuschalten» – all das kann man Trump mit Recht vorwerfen.

In Amerikas Nachbarländer wird Trump kaum einmarschieren

Freilich war Eco kein Historiker, sondern Semiotiker und Autor von Romanen. Seine Definition beschränkt sich nicht zufällig auf Weltanschauung, Stil und Rhetorik der Faschisten. Der ebenfalls befragte Richard J. Evans, ein bedeutender Erforscher des Dritten Reiches, sah Trump zwar gleichfalls kritisch, verwies aber auch auf Unterschiede: Hitler und Mussolini hätten paramilitärische Bewegungen befehligt, um ihre Gegner einzuschüchtern. Nachdem die Nationalsozialisten die Macht übernommen hätten, hätten sie Sturmtruppen gegen Sozialdemokraten und Kommunisten mobilisiert, um diese festzunehmen und zu foltern.

Vergleichbares ist von Trump bis heute nicht bekannt, auch wenn der Sturm auf das Capitol im Januar 2021 entfernt an die frühen Dreissigerjahre erinnern mag.

Der Militärstratege Edward Luttwak verwies auf einen Unterschied zwischen Trump und Diktatoren wie Hitler und Mussolini, der für die Welt ausserhalb der Vereinigten Staaten der entscheidende sein dürfte: Während Hitler Krieg geführt habe, um Lebensraum im Osten zu gewinnen, und Mussolini in Äthiopien einmarschiert sei, um Italiens Kolonialreich zu erweitern, lehne Trump militärischen Expansionismus ab.

Tatsächlich hat der Republikaner in seiner Präsidentschaft keinen Krieg begonnen. Trumps Isolationismus wirft andere Probleme auf – würde er erneut Präsident, würde er die Ukraine womöglich Putin überlassen –, doch mit Hitlers und Mussolinis Aussenpolitik weist sein Ansatz kaum Ähnlichkeiten auf.

Wer nicht für Harris ist, soll wenigstens gegen Trump stimmen

Ein wenig erinnern jene, die Trump einen Faschisten nennen, an Sahra Wagenknechts deutsche Kritiker, die dieser stalinistische Methoden vorhalten oder sie als Kommunistin bezeichnen: Man greift auf historische Schlagworte zurück, weil einem das analytische Besteck fehlt, um neuartige politische Phänomene zu verstehen. Dadurch verstellt man sich den Blick auf die Gegenwart.

An Wagenknechts nachsichtiger Haltung gegenüber Putins Russland gibt es einiges zu kritisieren, doch deutet nichts darauf hin, dass sie die Marktwirtschaft oder das Privateigentum abschaffen will. Die Wähler wissen das – und reagieren schulterzuckend auf allzu schrille und überzogene Anschuldigungen.

Ähnlich verhält es sich mit dem Faschismus-Vorwurf gegen Trump. Indem sie ihn erheben, versuchen Harris und ihre Unterstützer, zu verschleiern, dass es der Demokratin an einer eigenen, positiven Erzählung darüber fehlt, was sie mit den USA vorhat. Wenn sich die Amerikaner schon nicht für Harris erwärmen mögen, so das Kalkül, sollen sie wenigstens aus Angst vor Trump für sie stimmen.

Diese Strategie könnte am Ende aufgehen, doch könnte es sich auch rächen, dass die Demokraten nicht auf eine Kandidatin oder einen Kandidaten gesetzt haben, die oder der die Amerikaner aus eigener Kraft zu überzeugen vermag.