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Machtpolitik

Switzerland first: Das ist «in diesen Zeiten» kein falscher Reflex

Eine neue Ernsthaftigkeit macht sich breit. Man will wieder vermehrt zu sich selber schauen. Das könnte Folgen für die nächsten Abstimmungen haben.

Für einen Journalisten ist es nicht alltäglich, dass er auf der Strasse wegen eines Artikels angesprochen wird. Mir ist das diese Woche passiert. Auslöser war ein kritischer Kommentar über die SBB. Diese haben den Grossauftrag für 116 S-Bahn-Züge an Siemens in Deutschland und nicht an Stadler Rail im Thurgau vergeben, trotz praktisch gleichem Preis.

Die Auftragsvergabe ins Ausland gehe wirklich nicht, sagte ein Leser und fügte hinzu: «In diesen Zeiten.» Auch in einem E-Mail fanden sich die Worte: «In diesen Zeiten.» Die Wendung wurde nicht weiter erklärt, und doch ist sie sofort verständlich. Sie drückt eine gewisse Ernsthaftigkeit aus. Die Schweiz steht unter Druck.

Bild: Illustration CHM

Trumps Zoll-Willkür hat veranschaulicht, wie verletzlich die kleine Schweiz in einer Welt ist, wo das Recht des Stärkeren zählt. Dass die 39 Prozent nun auf 15 Prozent runtergehen, ist zu begrüssen. Aber was es dafür brauchte, war zum Teil demütigend. Unsere Wirtschaftschefin Florence Vuichard schreibt, es habe etwas Unwürdiges, wie Schweizer Wirtschaftsführer und Bundesräte vor dem «König von Washington» den Kotau machten.

In dieser Gemengenlage sagen sich viele Schweizerinnen und Schweizer: Dort, wo wir es noch selber in der Hand haben, sollten wir für uns schauen.
Das ist kein ungesunder Reflex. Er dürfte dazu beitragen, dass am 30. November die populistische Erbschaftssteuer-Initiative der Juso abgelehnt wird. Natürlich ist es für viele verlockend, den «Superreichen» eins auszuwischen. Aber will man sich «in diesen Zeiten» wirklich selber schaden? Und in Kauf nehmen, dass Unternehmer abwandern und am Ende der Mittelstand die Steuer-Zeche bezahlen muss?

Es ist klug, gute Beziehungen zu pflegen

Auch den Bruch mit dem wichtigsten Handelspartner, der EU, wird man «in diesen Zeiten» kaum ernsthaft riskieren wollen. Aus wirtschaftlichen Gründen, aber auch wegen der militärischen Sicherheit: Die Bedrohung, die russischen Drohnen über Europa, führen vor Augen, dass es klug ist, mit dem Nato-Umland in guten Verhältnissen zu leben.

«Diese Zeiten» sind nicht geeignet für Experimente, die Wohlstand und Sicherheit gefährden.