von Thomas Röthlin
Selten bietet sich dem Stimmbürger in einem grossen Dorf so wenig Auswahl bei den Gemeindewahlen wie Ende September in Suhr. Das ist nicht personell gemeint, sondern politisch: Sämtliche lokale Sektionen und die meisten Parteilosen unter den 35 Kandidierenden haben sich einem der beiden Bündnisse angeschlossen: 19 FDP- und SVP-Mitglieder sowie Parteilose der IG echt Suhr - 14 CVP-, EVP-, SP-Mitglieder, Grüne und Parteilose «Zukunft Suhr». Ein Gedränge gibts um die je 5 Sitze in Gemeinderat (7 Kandidierende), Schulpflege (6) und Finanzkommission (7).
Zukunft Suhr verbuchte vor vier Jahren mit 8 (von 9) gewählten Kandidaten, davon 2 Gemeinderäte, einen Erfolg. Heute schreibt man sich Errungenschaften wie Altersleitbild, Blockzeiten, Schulsozialarbeit und Muki-Deutsch auf die Fahne. Und bemängelt «blockierende Machtdemonstrationen der ‹echten Suhrer› im Gemeinderat».
Richten solls unter anderem ein Zugezogener. Marco Genoni kam vor sechs Jahren vom Tessin via Zürich und Aarau nach Suhr und wurde 2005 in die Finanzkommission gewählt, «weil ich politisch interessiert bin und das nötige Fachwissen habe», wie er sagt. Jetzt kandidiert der Dozent für Agrarwirtschaft und Hausmann für den Gemeinderat. Dass «Zukunft Suhr» damals so gut gestartet sei, erklärt sich Genoni mit dem Wachstum des Dorfs Richtung Aarau: Die Öffnung der Gruppierung gegenüber Parteilosen, zu denen Genoni selber gehört, habe die Dominanz der Bürgerlichen relativiert. Dass diese nun mit einem eigenen Bündnis reagierten, sei verständlich: «Auf Gemeindeebene wird eher mit Programmen statt mit Parteien politisiert.»
Ganz anders als bei der Konkurrenz tönts bei der kürzlich gegründeten IG echt Suhr. Die Exponenten, darunter der wieder kandidierende und konkurrenzlose Gemeindeammann Beat Rüetschi, wollen vor allem eins: eine Fusion mit Aarau verhindern. Man gibt sich «stark genug für die Eigenständigkeit» der Gemeinde mit über 9500 Einwohnern. Begründet wird diese Haltung nicht nur mit gesunden Finanzen, sondern auch mit Mentalitätsunterschieden. So schreibt die IG: «Speziell an öffentlichen Anlässen kann man beobachten, wie sich die einen von den andern abschotten, um in ihrer Eintracht nicht gestört zu werden.»
Eine echte Suhrerin ist zum Beispiel Gemeinderatskandidatin Carmen Suter, Mitglieder der Ortsbürgerkommission, Vizepräsidentin des Gewerbevereins und Mutter. Wird sie gewählt, hofft Suter auf einen «offenen und konstruktiven Dialog, um das Dorf in seiner Eigenständigkeit zu stärken». Obwohl parteilos, könne sie sich deshalb mit der IG echt Suhr identifizieren. Suter glaubt aber nicht, dass sich in Suhr zwei Lager unerbittlich gegenüberstünden. Selbst unter den Ortsbürgern gebe es «Neutrale».
Neben dem politischen Suhr wohnt in der Agglomerationsgemeinde eine grosse schweigende Mehrheit. Zum Beispiel die rund 2900 Ausländer, die 30 Prozent der Dorfbevölkerung ausmachen. Von den Schweizer Stimmberechtigten gehen weit über 90 Prozent nicht an die Gemeindeversammlung. Die Beteiligung an den letzten drei Versammlungen betrug 3 Prozent, 4,1 Prozent und 2,7 Prozent. Auch die Gemeindewahlen seien kaum Thema im Dorf. Das sagt ein Suhrer, der geschäftlich viel in seiner Wohngemeinde unterwegs ist und nicht namentlich genannt werden will.
Spätestens Ende Monat wolle er selber einem der beiden Bündnisse beitreten. Welches die Geschicke von Suhr in den nächsten vier Jahren mehrheitlich leiten wird, zeigt sich am 27. September.