Paare mit Kindern trennen sich zu schnell. Sie verhalten sich so, wie dies die Wegwerfgesellschaft vormacht. Was nicht mehr gefällt, wird entsorgt. Der Kick lässt nach, man lebt sich auseinander oder es gibt ständig Streit. Die Leidtragenden sind immer die Kinder. Davon liest man in vielen Medien.
Diese Sichtweise ist trügerisch und nicht objektiv. Eher gilt es zu fragen, ob Trennungen grundsätzlich falsch sind und was dies mit den Kindern macht. Diese wichtige Frage hat mein Kollege Guy Bodenmann, Paarforscher und Professor an der Universität Zürich, untersucht und beantwortet. Das Beste ist nicht, dass Paare nie streiten, sondern wie dies geschieht und ob sie es überhaupt tun.
Es gibt sechs Typen. Manche der Leserinnen und Leser werden sich wahrscheinlich mit einem Typ identifizieren können: mit den Harmoniesüchtigen (lassen sich scheiden, obwohl sie sich nie gestritten haben und sich in Freundschaft sowie zum Wohl der Kinder trennen); mit den Nörglern (kritisieren, schmollen oder meckern aneinander rum); mit den passiv Aggressiven (er schweigt, sie geht weg oder umgekehrt; sie zeigen sich die kalte Schulter); mit den aktiv Aggressiven (laute und hässige gegenseitige Vorwürfe, man macht sich beiderseits lächerlich oder bezeichnet sich selbst als Opfer).
Die gefährlichste Form ist der gewalttätige Typ (manifeste körperliche und verbale Übergriffe). Doch es gibt einen konstruktiven Typ. Solchen Paaren gelingt es, nach einem Streit lösungsorientiert und positiv miteinander zu reden und sich wiederzufinden.
Ein harmonisches Familienklima ist eine wichtige Grundlage für ein gesundes Aufwachsen der Kinder. Doch harmonisch bedeutet nicht, dass es keine Spannungen und Konflikte geben darf und Paare das verschleiern sollen. Kinder sind Seismografen, man kann ihnen wenig vormachen. Auch wenn Mama und Papa nie vor ihnen streiten und so tun, als ob alles bestens sei – der Nachwuchs spürt schnell, dass Eltern Stress miteinander haben.
Welche Ursachen sind die hauptsächlichen Streitpunkte von Paaren? Zunächst ist es relativ einfach. Sobald Kinder da sind, bricht die Dyade weg, der Partner respektive die Partnerin ist neben dem Kind nicht mehr das grosse Liebesobjekt. Dazu kommen Alltagsstress, eine übervolle Agenda und Zeitmangel. Das beinhaltet Potenzial für die Eskalation von Streitereien.
Zudem sind es Uneinigkeiten in der Erziehung: eher achtsam-bedürfnisorientiert, autoritativ oder doch lieber laissez-faire? Genauso wichtig sind unterschiedliche Vorstellungen, wie man als Familie mit den verfügbaren Finanzen umgehen soll – vor allem, wenn die Mama eher den häuslichen Part übernimmt.
Manche Paare pflegen einen wertschätzenden Kommunikationsstil. Doch nicht selten nur so lange, wie sie verliebt und nicht gestresst sind. Trifft dies nicht mehr zu, sehen sie ihr Vorurteil bestätigt: Eine Paarbeziehung sei sowieso ein Selbstläufer, entweder ist die Chemie da, die Beziehung hält oder eben nicht.
Streit zwischen Paaren kann ein Ausdruck von Zuneigung sein
Doch gemäss Guy Bodenmann gibt es eine gute Nachricht. Paarstreitigkeiten haben nicht per se negative Auswirkungen auf die Entwicklung und die Seelen der Kinder. Schädlich sind vor allem destruktive Konflikte (tätliche Wutausbrüche, körperliche oder emotionale Verletzungen). Streit allein ist noch kein Zeichen von Schwäche oder fehlender Liebe – im Gegenteil. Werden Probleme frühzeitig und respektvoll angesprochen, fördern sie Klarheit, Intimität und eine gesunde Beziehung.
So lernen Kinder, dass Streit zwischen Mama und Papa auch Ausdruck von Nähe und Zuneigung sein kann und Lösungen möglich sind. Können Eltern gemeinsame Lösungen finden, sich (freiwillig!) entschuldigen, versöhnen und wieder Zärtlichkeiten austauschen, werden sie zu Verhaltensmodellen und geben dem Nachwuchs eine wichtige Botschaft mit auf den Weg: Streit ist etwas Gesundes – und wir lieben uns trotzdem.
Keine Beziehung ist vor Konflikten gefeit. Doch konstruktiv ausgetragen, können sie Paare stärken und positive Effekte auf ihre Kinder haben. Überwiegen allerdings längerfristig nicht veränderbare Streitereien, ist eine Trennung oder Scheidung möglicherweise angezeigt. Trotzdem muss die Auflösung einer Partnerschaft mit Kindern gut überlegt und nicht vorschnell aufgegeben werden. Die Entwicklungsperspektive sollte immer das halbvolle Glas sein.
*Margrit Stamm ist eine Schweizer Erziehungswissenschaftlerin, Autorin und emeritierte Professorin für Erziehungswissenschaften an der Universität Freiburg.