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Sessionsbilanz

So will das Parlament der Schweiz den Strom der Zukunft sichern

National- und Ständerat haben an der laufenden Session richtungsweisende Entscheide der Schweizer Energiepolitik gefällt. Eine Übersicht. 

Könnte künftig höher werden: Der Grimselsee und das Hotel Grimsel Hospiz, am Sonntag, 10. September 2017. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)
Bild: Peter Klaunzer / KEYSTONE

Von einer Strom-Anbauschlacht war die Rede, von heftigen ideologischen Auseinandersetzungen zwischen Schutz und Nutzen der Natur und der Politik mit dem grossen Portemonnaie. Am Freitag geht die Session zu Ende, in der das Parlament wichtige Pflöcke für die zukünftige Energieversorgung der Schweiz eingeschlagen hat. Zeit, etwas Licht ins Dunkel zu bringen und die wichtigsten Entscheide zusammenzufassen.

Zunächst zum Zeithorizont. Im Winter droht eine Energiemangellage - aber welcher Winter ist damit gemeint?

Auch wenn das Parlament viele Debatten vor dem Hintergrund einer aktuell drohenden Energiekrise geführt hat: Um diesen Winter geht es höchstens am Rande. Etwa, als das Parlament – nachträglich – den Rettungsschirm für die grossen Energieunternehmen aufgespannt hat. Die zentralen Punkte der Energiedebatte sind jedoch in zwei anderen Päckli geschnürt: Das eine ist der indirekte Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative. Gleichzeitig beriet der Ständerat ein neues Energiegesetz, auch bekannt als Mantelerlass Strom. Diese beiden Geschäfte definieren die Schweizer Energieversorgung der nächsten Jahrzehnte, greifen aber frühestens ab 2025 so richtig.

Zuerst zum indirekten Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative: Worum geht’s?

Die Gletscherinitiative verlangt einen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen bis spätestens 2050. Der im Eiltempo durchgepaukte Gegenvorschlag stellt dem Verfassungsartikel aber kurz- bis mittelfristig eine Reihe konkreter Massnahmen entgegen. Nach einem eiligen Hin und Her zwischen National- und Ständerat dürften diese in der Schlussabstimmung am Freitag beschlossen werden. Die Initiantinnen und Initianten sind sehr zufrieden und haben ihren Rückzug angekündigt. Die SVP hingegen will das Referendum ergreifen.

Welche Massnahmen sind konkret geplant?

Das prominenteste Instrument ist ein Gebäudeprogramm. Der Bund unterstützt Hausbesitzerinnen und -besitzer während zehn Jahren mit etwa zehntausend Franken pro Haushalt, wenn sie ihre Öl- oder Gasheizung durch eine Wärmepumpe ersetzen. Daneben sollen neue Technologien gefördert werden. Kostenpunkt: 1,2 Milliarden Franken. Macht zusammengenommen ein Paket von 3,2 Milliarden Franken.

Ist das alles?

Nein. Quasi im Seitenwagen des Gegenvorschlags sind zwei weitere Vorhaben mitgefahren. Umstritten war dabei vor allem eine Schweizer Solaroffensive. Hier tobte ein Kampf zwischen Schutz und Nutzen der Natur. Zwischenzeitlich standen Vorschläge im Raum, die den Umweltschutz verfassungswidrig ausgehebelt hätten. Am Ende hat das Parlament den Bau von grossflächigen Photovoltaikanlagen in den Bergen gutgeheissen, wie sie etwa im Wallis geplant sind. Der Ständerat verlangte zudem eine Solarpflicht bei allen Neubauten. Diese Forderung schwächte der Nationalrat deutlich ab. Er knüpfte die Pflicht an eine Hürde: Die Liegenschaft muss eine Grundfläche von mindestens 300 Quadratkilometer haben. Von den potenziell 9000 Neubauten blieben damit nur 200 übrig. Einfamilienhäuser sind damit von einer Solarpflicht ausgeklammert.

Und was ist das zweite Vorhaben, das an den Gegenvorschlag geknüpft ist?

Das zweite Vorhaben betrifft den Ausbau der Wasserkraft. Kurzfristig ins Gesetz gegossen wurde dafür die Erhöhung der Grimselstaumauer: Sie wurde von der Planungspflicht befreit. Dieses Projekt im Berner Oberland ist seit über 20 Jahren blockiert.

Und was plant das Parlament mittelfristig zur Sicherung des Strombedarfs?

Dazu hat erst der Ständerat getagt, die Vorlage kommt damit erst im Winter oder im Frühling zur Schlussabstimmung. Wichtige Pfeiler sind allerdings jetzt schon bekannt: So enthält das Energiegesetz neu verbindliche Ziele zum Ausbau der einheimischen Kraftwerke mit erneuerbaren Energien. Die Zielwerte sind ehrgeizig: Sie betragen – exklusive Wasserkraft – 35 Terawattstunden bis 2035 und 45 Terawattstunden bis 2050. Die Wasserkraft soll 2035 rund 38 Terawattstunden Strom sichern, respektive 39,2 per 2050. Es ist im Wesentlichen eine Verdoppelung der kurzfristigen Ziele, wie sie der Bundesrat vor der Session angestrebt hatte. Zum Vergleich: Das AKW Leibstadt liefert im Vollbetrieb pro Jahr etwa 9,6 Terawattstunden Strom.

Warum braucht die Schweiz so viel mehr Strom aus Erneuerbaren?

Die Schweiz verfolgt drei Ziele: Sie will grüner sowie autarker werden und gleichzeitig die Atomkraftwerke mittelfristig ersetzen.

Wieso ist der Ausbau der erneuerbaren Energien derart umstritten?

Es stellt sich schnell heraus: Umweltschutz und Erneuerbare sind Zielkonflikte. Etwa, als es darum ging, die Restwassermengen bei Kraftwerken zu reduzieren, das hätte unter anderem Fische, Insekten und Amphibien bedroht. Eine bürgerliche Minderheit wollte der Stromversorgung der Schweiz faktisch alles unterordnen – das Vorhaben erlitt jedoch Schiffbruch, nicht zuletzt dank Stimmen aus der FDP und der SVP. Die Fische können aufatmen, hingegen soll der Naturschutz von Biotopen zugunsten neuer Kraftwerkprojekte aufgeweicht werden.

Ausbau der Kraftwerke ist das eine, aber was ist aber mit dem Verbrauch?

Gestritten wurde auch um Förderung oder Verbote. Im Zweifel entschied sich der Ständerat gegen Verbote, etwa jene von Elektroheizungen. Dennoch formulierte der Ständerat Verbrauchsziele: Bis 2035 soll der gesamte Energieverbrauch einer Durchschnittsperson gegenüber dem Jahr 2000 um 43 Prozent sinken, bis ins Jahr 2050 gar 53 Prozent. Der Grossteil davon soll über die Reduktion fossiler Brennstoffe laufen, aber auch der Stromverbrauch müsse sinken, beschloss der Ständerat.

Was ist mit der Atomenergie?

Atomkraft poppte in jeder Diskussion schnell einmal auf, schliesslich liefern die aktuellen AKW in der Schweiz zuverlässigen Strom. Gleichwohl hat das Volk einen Atomausstieg beschlossen. An diesem wird nicht gerüttelt. Ein Antrag zu Investitionsbeiträgen in die bestehenden AKW blitzte ab.

Der Ausbau der Erneuerbaren klingt gut, aber was kostet das alles?

Die Rechnung ist noch nicht gemacht, da sich erst noch der Nationalrat über die Vorlage beugen muss. Bereits jetzt ist klar, dass die aktuellen Energie-Beschlüsse in die Milliarden gehen. Die genauen Kostenfolgen abschätzen, kann derzeit aber noch niemand.