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Kurz erklärt

So funktioniert die US-Wahl

«Electoral College», «Swing States», «Winner takes all»: Das sind die wichtigsten Begriffe und Prozesse im amerikanischen Wahlkampf.
Wer in den USA bei einer Präsidentschaftswahl abstimmt, stimmt eigentlich für die Wahlleute, nicht die Kandidatin oder den Kandidaten.
Bild: Jim Lo Scalzo / EPA

Eine Regierung «des Volkes, durch das Volk und für das Volk» – so hat der legendäre Präsident Abraham Lincoln einst die amerikanische Republik definiert. Ganz so einfach funktioniert das System heute aber nicht. Das merkt das amerikanische Stimmvolk spätestens alle vier Jahre, wenn es einen neuen Präsidenten wählen muss.

Das ist in wenigen Tagen der Fall. Wer darf überhaupt wählen? Werden Demokraten wirklich vom System benachteiligt, und was hat es mit den Swing States auf sich? Eine kurze Erklärung des US-Wahlsystems in sechs Schritten:

Schritt : Wer darf überhaupt wählen?

Grundsätzlich alle US-Bürgerinnen und -Bürger über 18 Jahre, unabhängig von ihrem Wohnsitz. Vom Wählen ausgeschlossen sind einzig Personen, die eine Haftstrafe absitzen oder wegen einer Straftat verurteilt wurden. Bürgerrechtsgruppen zufolge haben deshalb über 5 Millionen Menschen ihr Wahlrecht verloren. Die Einwohnerinnen und Einwohner der US-Territorien (zum Beispiel Puerto Rico oder Guam) dürfen sich ebenfalls nicht an der Präsidentenwahl beteiligen.

Schritt: Für wen stimmen US-Bürgerinnen und Bürger ab?

Die beiden prominentesten Parteien im Land sind die Demokraten und die Republikaner. Das Präsidentschaftsrennen entscheidet sich zwischen den Kandidaten der zwei Grossparteien. Aber: In den USA wird der Präsident indirekt gewählt, über das Electoral College. Wenn eine Stimmbürgerin oder ein Stimmbürger sich also entscheidet, geht die Stimme in Wahrheit nicht direkt an den Präsidentschaftskandidaten, sondern an die bevorzugten Wahlleute («electors») der jeweiligen Partei im jeweiligen Bundesstaat. Die Wahlleute bilden das Electoral College.

Schritt: Was ist das Electoral College?

Das Electoral College besteht insgesamt aus 538 Wahlmännern und Wahlfrauen aus den 50 Bundesstaaten und dem Hauptstadtbezirk District of Columbia. Dabei gilt die Regel: Je grösser der Staat, desto mehr Wahlleute stellt er. Dieses komplizierte System war ein Kompromiss der Verfassungsväter, die zwar keine direkte Volkswahl wollten, aber auch der Meinung waren, dass der Staatschef nicht vom Kongress bestimmt werden sollte.

Schritt: Wann hat ein Kandidat die Wahl gewonnen?

Um das Präsidentschaftsrennen für sich zu entscheiden, benötigen die Kandidaten die Stimmen von mindestens 270 Wahlmännern. Dies geschieht meist im «Winner takes all»-Prinzip. Das bedeutet: Wenn sich in einem Bundesstaat die Mehrheit der Abstimmenden für einen Kandidaten entscheidet, dann entfallen alle Wahlleute für diesen Kandidaten - mit Ausnahme von zwei Bundesstaaten (Maine und Nebraska). Dabei spielt es keine Rolle, ob der Vorsprung auf den politischen Gegner zwei oder zwanzig oder zweihunderttausend Stimmen beträgt.

Schritt: Wo wird die Wahl entschieden?

In den Swing States. Das sind die Bundesstaaten, in denen noch nicht klar ist, welcher Kandidat obenausschwingen wird. Derzeit gibt es vielleicht sieben Staaten, auf die diese Definition zutrifft. In alphabetischer Reihenfolge: Arizona, Georgia, Michigan, Nevada, North Carolina, Pennsylvania und Wisconsin. Swing States sind nicht in Beton gegossen. Früher galt New York als politisch umkämpft; heute ist der Staat eine Hochburg der Demokraten. Umgekehrt scheinen die Republikaner nun in Florida einen unüberwindbaren Vorsprung auf den politischen Gegner zu besitzen, nachdem der Staat lange ein wichtiger Swing State war.

Schritt: Was passiert, wenn es im Electoral College ein Patt gibt?

Sollten Kamala Harris und Donald Trump je 269 Wahlmänner-Stimmen gewinnen und damit die notwendige absolute Mehrheit von 270 verfehlen, würde der neu gewählte Kongress im Januar 2025 die Staatsspitze bestimmen. Das Repräsentantenhaus hätte die Aufgabe, den Präsidenten zu wählen – wobei jeder der 50 Bundesstaaten jeweils eine Stimme abgeben würde. Die grösseren Delegationen – Kalifornien stellt sich 52 Abgeordnete, Florida 28 – müssten sich intern also zuerst auf einen Kandidaten verständigen. Der Senat würde die Aufgabe fassen, den Vizepräsidenten zu bestimmen. In der kleinen Kammer hätte jeder Senator eine Stimme. Theoretisch könnte es also sein, dass in dem Fall Donald Trump Präsident und der Demokrat Tim Walz Vizepräsident würde - oder Kamala Harris Präsidentin und Republikaner JD Vance Vizepräsident.

Gut zu wissen: Was ist der «Electoral Bias»?

Heute, fast 250 Jahre nachdem das Electoral College eingeführt wurde, ist das System höchst umstritten. Einer der Gründe: Das Electoral College bildet das Ergebnis der Volkswahl nicht mehr punktgenau ab. 2016 gewann Trump die Mehrheit der Wahlmännerstimmen, obwohl seine demokratische Kontrahentin Hillary Clinton fast 2,9 Millionen Stimmen (2,1 Prozentpunkte) mehr auf sich vereint hatte. Und 2020 gewann Joe Biden mit einem Vorsprung von 4,5 Punkten auf Trump; die alles entscheidenden Swing States gewann er aber nur mit einem Vorsprung von weniger als 1 Prozentpunkt.

Eine Erklärung dafür: Mit dem «Winner takes all»-Prinzip gehen mehr demokratische als republikanische Stimmen «verloren». Die einfachste Erklärung für dieses Phänomen: Die Demokraten siegen in ihren blauen Hochburgen mit einem höheren Stimmenplus als die Republikaner in den roten Staaten. Gewinnen die Republikaner in einem grossen Staat wie Texas knapp und die Demokraten in einem grossen Staat wie Kalifornien deutlich, «verschwenden» die Demokraten also mehr Stimmen. Ob dieser Effekt zugunsten der Republikaner, der «Electoral College bias», immer noch anhält, ist unter Wahlanalysten umstritten.

Schauen Sie sich dazu auch unser Erklärvideo an