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Krankenkasse

«Skandalös»: Hohe Löhne der Groupe-Mutuel-Chefs sorgen für Empörung

Krankenversicherer Politiker, Konsumenten- und Branchenvertreter kritisieren die Führung der Walliser Krankenkasse für ihre Bezüge. Auch viele Leser sagen: «Hätten ich das gewusst, hätte ich für die Einheitskasse gestimmt.» Nur wird Transparenz gefor

Ein Leser beschwerte sich am Telefon. «Hätte ich dies gewusst, hätte ich für die Einheitskasse gestimmt», sagte er zum gestern publizierten Artikel der «Nordwestschweiz» über die Löhne der Chefs der Groupe Mutuel (GM).

Einer schrieb per Mail: «Saläre von über einer halben Million werden bei Krankenkassen mit Sicherheit nicht ‹verdient›, sondern ‹bezogen›.»

Reihum sorgen die Bezüge der Ende September zurückgetretenen Mitglieder des Vorstandsausschusses des Walliser Krankenversicherers für Empörung. Nach 2010 erhielt der «geschäftsführende Präsident», Pierre-Marcel Revaz, 2,2 Millionen Franken. Daniel Overney kam auf 1,2 bis 1,35, Pierre-Angel Piasenta auf 1,1 Millionen pro Jahr. GM-Sprecher Yves Seydoux sagte dazu: «Gerüchte zu angeblichen Zahlen und Fakten kommentieren wir nicht.»

Die Aargauer FDP-Ständerätin Christine Egerszegi hält die Bezüge «für jenseits von Gut und Böse».

Der Thurgauer SVP-Ständerat Roland Eberle ist eines der sechs Ende September neu gewählten Vorstandsmitglieder der Groupe Mutuel. Er sagt zu den Löhnen der Ex-Chefs: «Das sind Geschichten, die vor meiner Zeit stattgefunden haben. Wir schauen nach vorwärts.» Er räumt ein, dass man durch «das schnelle Wachstum der Gesellschaft» gewissen Aspekten der Corporate Governance in der Vergangenheit zu wenig Beachtung geschenkt habe: «Daher ist die Neubestellung des Vorstands der Groupe Mutuel auch ein Signal: Wir wollen das nun korrigieren und die Strukturen entsprechend anpassen.»

Die Aufsicht funktioniert

Eine Verbesserung der Corporate Governance, mehr Transparenz und ein im Branchenschnitt vertretbares Entschädigungssystem für die Chefs tut not. So kritisiert Patrik Hasler-Olbrych, Sprecher des Krankenversicherers Agrisano in Brugg: «Solch exorbitante Entschädigungen sind anstössig und sicherlich nicht förderlich.» Er sei aber überzeugt, dass die Prämienzahler differenzieren könnten: «Denn hier geht es um eine Kasse, deren Manager sich offensichtlich hemmungslos auf Kosten der Krankenversicherten bereichern. Ein klarer Missstand, den es zu bekämpfen gilt.» Das von der Finma eingeleitete Verfahren zeige aber auch, dass die Aufsicht funktionierte.

Vor der Abstimmung über die Einheitskasse behaupteten Befürworter, Chefs grosser Krankenversicherer verdienten eine Million Franken. Das sei übertrieben, habe es geheissen, sagt SP-Nationalrat Jean-François Steiert: «Verrückt ist: Jetzt ist es das doppelte. Wer so sorglos mit Geldern von Versicherten umgeht, agiert am gesetzlichen Auftrag vorbei.»

Nötig sei mehr Transparenz

Der Berner Regierungsrat und Präsident der Gesundheitsdirektorenkonferenz, Philippe Perrenoud, sagt: «Diese hohen Bezüge sowie die Verflechtungen zwischen den Funktionen des Verwaltungsrats und der Geschäftsleitung sind nicht vertrauensbildend für einen Anbieter der obligatorischen Grundversicherung.»

Er moniert, die Einführung der neuen Spitalfinanzierung mit Fallpauschalen entlaste die Zusatzversicherung um 1,3 Milliarden Franken. Dies zahle der Steuerzahler: «Es kann nicht sein, dass diese Gelder dazu dienen, solche Cheflöhne der Anbieter von Zusatzversicherungen zu finanzieren.»

Für Sara Stalder, Geschäftsleiterin der Stiftung für Konsumentenschutz, sind die Löhne der GM-Chefs «unanständig»: «Was sich die Groupe Mutuel erlaubt, ist skandalös. Dieser Dienstleister ist ein chronischer Sünder.»

Wenn deren Chefs das Wohl der Kunden im Auge hätten, würden sie endlich transparent darlegen, wie hoch die Löhne seien und wer im Verwaltungsrat und in der Geschäftsleitung welche Funktion wahrnimmt. Transparenz fordert auch Christine Egerszegi: «Ich habe bei der Beratung des Krankenversicherungsaufsichtsgesetzes (KVAG) darum gekämpft, dass die Löhne offengelegt werden müssen.» Dem Kompromiss, dass nur die Gesamtsumme der Entschädigungen von Verwaltungsrat und Geschäftsleitung sowie der höchste Löhne ohne Namensnennung veröffentlicht werden, habe sie deshalb zugestimmt: «Im Wissen darum, dass das umgangen werden kann.»

Zurzeit könne das Bundesamt für Gesundheit (BAG) nur prüfen, ob Krankenversicherer «die gesamten Verwaltungskosten auf das für eine wirtschaftliche Geschäftsführung erforderliche Mass» beschränken, sagt Sprecherin Michaela Kozelka. Mit dem KVAG, das voraussichtlich 2016 in Kraft tritt, werde sich dies ändern. Dann müssen die Versicherer im Geschäftsbericht das Entschädigungssystem offenlegen. Als Entschädigungen gelten Honorare, Löhne, Bonifikationen, Gutschriften, Antritts- und Abgangsentschädigungen sowie sämtliche Leistungen für zusätzliche Arbeiten, sagt Michaela Kozelka: «Die künftige Offenlegung führt zu mehr Transparenz und damit zu einer Kontrolle durch die Öffentlichkeit.»