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Ersatzwahl

Sie wollen nicht: Die Grünen verzichten auf eine Bundesratskandidatur – und brechen damit mit einer langen Tradition

Der Angriff auf die SVP bleibt aus: Die Grünen machen der Volkspartei ihren zweiten Sitz in der Landesregierung nicht streitig. Die offizielle Begründung: Die Partei wolle ihre «Energie nicht mit einem solchen Politik-Theater verschwenden».

Demonstrieren Kampfgeist: Fraktionschefin Aline Trede und Parteipräsident Balthasar Glättli wollen alle Kraft in die eidgenössischen Wahlen 2023 stecken.
Bild: Peter Schneider / keystone

Sie haben keine Lust und wollen ihre Energie «lieber in die Bewältigung der Klimakrise stecken». Die Grünen verzichten darauf, den frei werdenden SVP-Sitz im Bundesrat anzugreifen. Das hat die Fraktion am Dienstagnachmittag nach einer dreistündigen Sitzung beschlossen.

Vor den Medien begründete Fraktionschefin Aline Trede den Entscheid damit, dass «sich die aktuellen Regierungsparteien ihre Macht mit einem abgekarteten Spiel sichern» würden und in diesem Spiel die Würfel schon längst gefallen seien.

Zumindest mit letzterem dürfte die Berner Nationalrätin recht haben: Selbst wenn die Grünen einen Kandidaten oder eine Kandidatin ins Rennen um den Bundesratssitz geschickt hätten, wären sie chancenlos geblieben. Denn sämtliche bürgerliche Parteien inklusive der GLP haben jüngst den konkordanzbedingten Anspruch der SVP auf zwei Sitze in der Regierung bekräftigt.

«Pseudodemokratisches Spiel»

Diese Haltung stösst den Grünen sauer auf. «Wir sind die viertstärkste Partei im Parlament und haben Anspruch auf einen Bundesratssitz. Doch die anderen Fraktionen waren nicht zu Gesprächen bereit», sagt Grünen-Präsident Balthasar Glättli. Es sei nicht so, dass seine Partei die Herausforderung scheue, doch: «Wir suchen die echte Verantwortung und wollen nicht einfach eine vorab verteilte Rolle spielen in einem pseudodemokratischen Spiel», so der Zürcher Nationalrat weiter.

Die Genfer Ständerätin Lisa Mazzone ist Vize-Fraktionschefin der Grünen.
Bild: keystone

Parteikollegin und Vize-Fraktionschefin Lisa Mazzone bekräftigt Glättlis Haltung: «In unserer aktuellen Regierung sind nur etwas mehr als zwei Drittel der Wählerschaft repräsentiert.» Deshalb brauche es «zwingend einen grünen Vertreter oder eine grüne Vertreterin im Bundesrat». Doch anstatt diesen Anspruch Vakanz für Vakanz aufs Neue zu erheben, lassen die Grünen die jetzige Chance verstreichen.

Grüne kandidieren seit 35 Jahren

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass die Nicht-Kandidatur der Grünen eine Kehrtwende darstellt. Denn dass die Grünen SVP-Sitze angreifen, hat eine lange Tradition. Das taten sie bereits, als die rechte Partei noch deutlich kleiner war und gemäss alter Zauberformel einen einzigen Sitz für sich in der Regierung beanspruchen konnte. Die erste grüne Bundesratskandidatur geht auf das Jahr 1987 zurück. Damals versuchte die Bernerin Leni Robert der SVP den Platz im Bundesrat abzujagen.

In den Folgejahren hielten die Grünen den Druck auf die SVP aufrecht. Mit den nach der Jahrtausendwende folgenden Kandidaturen von Cécile Bühlmann, Ruth Genner und Luc Recordon protestierten die Grünen weiter gegen die Politik der SVP. Erst 2010 galt der Angriff zum ersten Mal einer anderen Partei. Die Grünen hatten es mit Brigit Wyss auf den FDP-Sitz abgesehen. Sie scheiterte - wie alle anderen zuvor - und musste Johann Schneider-Ammann den Vorrang lassen.

Der letzte grüne Angriff erfolgte mit der Kandidatur der damaligen Parteipräsidentin Regula Rytz nach dem Wahlerfolg der Partei 2019. Zwar erhielt Rytz 82 Stimmen, doch damit lässt sich bekanntlich kein Bundesratssitz erobern.

Wie entscheidend war das Kandidatenproblem?

Die zahlreichen Angriffe der Grünen gegen die bürgerliche Mehrheit in der Landesregierung hatten vor allem symbolischen Charakter. Das wäre auch heuer nicht anders gewesen. Mit einer Kandidatur hätten die Grünen ihren Anspruch weiter bewirtschaften können.

Doch in diesem Fall sei die Nicht-Kandidatur «ein strategischer Entscheid» gewesen, so Trede. So könne sich die Partei voll und ganz «um die wahren Probleme - die Klima- und die Biodiversitätskrise - kümmern» und sich vorbereiten auf die «Klimawahlen 2023», wie sie die Grünen bereits jetzt nennen.

Was Trede verschweigt: Für eine Kandidatur braucht es eine Person aus der Fraktion oder einer Kantonsregierung, die sich zur Verfügung stellt und eine sichere Niederlage verkraften kann. Doch eine solche liess sich offenbar nicht so einfach finden. Bevor die Grünen am Dienstag überhaupt entschieden, ob sie den SVP-Sitz angreifen wollen oder nicht, erteilten erste Vertreter ihrer Partei bereits eine Absage.

So liessen etwa Ständerat Matthias Zopfi sowie Parteipräsident Balthasar Glättli schon früh verlauten, dass sie nicht kandidieren werden. Und auch der Baselbieter Regierungsrat Isaac Reber teilte am Dienstagvormittag mit, dass eine Kandidatur für ihn nicht in Frage komme.

Fraktion wird keinen SVP-Kandidaten wählen

Für die Nachfolge von Ueli Maurer hat der Entscheid der Grünen freilich keine grossen Auswirkungen. Klar ist schon jetzt, dass die Grünen ihre Wahlzettel leer einlegen werden. «Wir haben noch nie und werden auch dieses Jahr nicht die Kandidatur einer Partei unterstützen, die den Klimaschutz torpediert, die europäische Zusammenarbeit blockiert und die Solidarität in unserem Land untergräbt», sagt Trede.

Bei den offiziellen Erneuerungswahlen im kommenden Jahr will die Partei dann wieder eine Kandidatur stellen und endlich als staatstragende Partei wahrgenommen werden. Die Grünen hoffen deshalb, bei den eidgenössischen Wahlen im Herbst 2023 noch einmal deutlich zulegen zu können. Ob das gelingt, hängt mitunter davon ab, ob die Parteibasis die defensive Haltung ihrer Bundesparlamentarier goutiert oder nicht.