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Deutschland

«Sie haben Angst vor uns»: Wagenknecht und Schwarzer mobilisieren in Berlin deutlich mehr Demonstranten als die Unterstützer der Ukraine

Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer luden zur Kundgebung und Tausende kamen. Eine Parteigründung, die manche nun von den beiden erwarten, hätte allerdings ungewisse Erfolgsaussichten.
Für Verhandlungen und ein Ende der westlichen Waffenlieferungen: Alice Schwarzer (l.) und Sahra Wagenknecht am Samstag in Berlin. 
Bild: Hannibal Hanschke/EPA

Wäre die Teilnehmerschaft der beiden Kundgebungen, die am Wochenende in Berlin stattfanden, repräsentativ für die deutsche Bevölkerung, sähe es für die Unterstützer der Ukraine nicht gut aus: Einige Tausend Leute versammelten sich am Freitagabend vor der russischen Botschaft, einem gewaltigen Repräsentationsbau der Stalin-Ära. «Slawa Ukraini!», riefen die Teilnehmer. «Deutsche Waffen retten Leben», sagte der ukrainische Botschafter Olexij Makejew in seiner Rede.

Die Zahl jener, die am Samstag vor dem Brandenburger Tor zusammenkamen, war um ein Mehrfaches grösser, auch wenn unklar blieb, wie viele tatsächlich gekommen waren: Von 13’000 sprach die Polizei; die Veranstalter redeten von über 50’000. Eingeladen hatten die linke Politikerin Sahra Wagenknecht und die feministische Publizistin Alice Schwarzer. «Aufschrei für den Frieden» lautete das Motto.

Baerbock ist für Wagenknecht ein «Elefant im Porzellanladen»

Wagenknecht und Schwarzer werden dem linken Spektrum zugerechnet, doch stösst ihre Forderung nach Friedensgesprächen und einem Ende westlicher Waffenlieferungen an die Ukraine auch rechts auf Sympathie.

Zwar hatten die Initiantinnen potenzielle Teilnehmer darum gebeten, auf rechtsextreme Symbole zu verzichten, doch entsprechende Codes waren zumindest vereinzelt zu sehen: So gab es ein Transparent, auf dem Friedensgespräche zwischen Deutschland und den Alliierten des Zweiten Weltkriegs gefordert wurden. Solches hört man seit einigen Jahren von «Reichsbürgern», die der Bundesrepublik die Legitimität absprechen.

Zahlreiche Demonstranten folgten Wagenknechts und Schwarzers Aufruf. Die Veranstalter sprechen von 50’000 Teilnehmern. 
Bild: Christophe Gateau/DPA

Einige Demonstranten zeigten offenbar das «Z», durch das in Russland Unterstützung für Putins Krieg signalisiert wird. Allerdings gab es auch Ordner, die das Ausrollen bestimmter Transparente unterbanden und versuchten, Jürgen Elsässer, den Chefredaktor der rechtsextremen Zeitschrift «Compact», von einer Teilnahme abzuhalten. Elsässers Umarmung abzuwehren ist eine Aufgabe, die Wagenknecht seit einiger Zeit beschäftigt: Letztes Jahr hat er sie als «beste Kanzlerin» ausgerufen; am Samstag erklärte sie mit Blick auf einen ihrer Parteikollegen, wer «Compact» ein Interview gebe, habe «nicht alle Tassen im Schrank».

In ihrer Rede nannte Wagenknecht die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock einen «Elefanten im Porzellanladen». Die Kundgebung sieht sie als Beginn einer neuen Friedensbewegung. «Sie haben Angst vor uns», sagte Wagenknecht mit Blick auf die etablierten Parteien. Schwarzer analysierte den Konflikt anhand bekannter Erklärungsmuster: Die USA liessen einen Stellvertreterkrieg führen. «Verbrecherisch» handle, wer den Ukrainern einrede, sie könnten die Russen in die Knie zwingen.

Was hielte eine neue Partei auf Dauer zusammen?

Bereits spekulieren deutsche Medien, ob Wagenknecht und Schwarzer eine eigene Partei gründen könnten. Hinter den Forderungen, die sie in ihrem «Manifest für den Frieden» stellen, stehen laut Umfragen immerhin 40 Prozent der Deutschen; 650’000 haben das Manifest unterzeichnet.

Allerdings würde eine neue politische Kraft sowohl mit der Linkspartei, der Wagenknecht bisher angehört, als auch mit der rechten AfD konkurrieren. So könnte das sogenannte Friedenslager am Ende gespalten und damit eher schwächer dastehen. Vor allem aber handelt es sich bei Wagenknechts und Schwarzers informeller Vereinigung bisher um eine Ein-Themen-Bewegung. Was ihre Anhänger zusammenhalten könnte, sollte die Ukraine-Frage einmal in den Hintergrund treten, ist völlig offen.