Kurz nach 10 Uhr liess in Muttenz Roland Hofmann, Präsident der ausserordentlichen Berufungskammer des Bundesstrafgerichts, das Urteil im Betrugsprozess gegen Sepp Blatter, 89, und Michel Platini, 69, durch die Gerichtsschreiberin verlesen.
Das Verdikt: Erneuter Freispruch auf der ganzen Linie vom Vorwurf, den Weltfussballverband um zwei Millionen Franken betrogen zu haben. Blatter und Platini, jeweils neben ihren Anwälten sitzend, nahmen den erneuten Freispruch äusserlich gelassen entgegen, ohne eine Miene zu verziehen. Der Spruch war der, den sie erwartet und erhofft hatten. Beide zeigten sich im Anschluss vor den internationalen Medien erleichtert.
«Das Leben geht weiter, und jetzt geht es etwas leichter weiter», sagte Sepp Blatter in die Mikrofone.
Der frühere französische Top-Fussball Michel Platini sagte scheinbar ungerührt: «Wir wollten gewinnen, und wir haben gewonnen.»
Interessant zu beobachten war: Gemeinsam traten die beiden während der beiden Prozesse nie auf. Platini blieb immer auf Distanz zu Blatter.
Auch das Berufungsgericht in Muttenz kam zum Schluss, dass es der Bundesanwaltschaft nicht gelang zu beweisen, dass die Millionenzahlung nicht geschuldet war. Blatter und Platini hätten im Kern unabhängig von einander immer gleichlautende Aussage gemacht, so Richter Hofmann: Demnach sei unmittelbar nach Blatters Wahl an die Fifa-Spitze mündlich vereinbart worden, dass Platini sein Berater werde und pro Jahr eine Million von der Fifa erhalten solle.
Weil die Fifa damals aber finanziell schwach auf der Brust war, erhielt Platini zunächst nur 300'000 Franken pro Jahr. Blatter versprach, den Rest später zu zahlen. 2011 forderte Platini die Schuld ein, nachdem er merkte, dass die Fifa an anderes Personal Abfindungen in Millionenhöhe gezahlt hatte.
Für die Bundesanwaltschaft beziehungsweise den Staatsanwalt des Bundes Thomas Hildbrand heisst es: Ausser weiteren Spesen nichts gewesen. Das Gleiche gilt für die Fifa, die Treiberin hinter dem Verfahren war und Millionen von Platini zurückforderte. Auch das lehnte das Gericht ab.
Das Gericht bestätigte auch den Entscheid der Vorinstanz, die gut zwei Millionen Franken an Platini freizugeben, die auf einem Konto der eidgenössischen Finanzverwaltung blockiert sind.
Das war wohl der Schlussakt in diesem Stück
Zwar teilte die Bundesanwaltschaft mit, sie wolle die schriftliche Urteilsbegründung abwarten und dann über eine Weiterzug entscheiden. Aber die Verhandlung in Muttenz dürfte der Schlussakt des seit fast zehn Jahren laufenden Verfahrens gewesen sein. Dass die unter Ressourcenmangel leidende Bundesanwaltschaft den Fall vor Bundesgericht weiterzieht, ist schwer vorstellbar. Und Treiber im Verfahren war, neben der Fifa, Staatsanwalt Hildbrand, ein mit Blatter verschwägerter Walliser. Dieser wird im April 70 Jahre alt, scheidet damit endgültig aus dem Bundesdienst aus. Dass Bundesanwalt Stefan Blättler weitere Energie auf diesen Fall verwendet und neue Leute darauf ansetzt, gilt als ausgeschlossen.
Das Urteil kommt nicht überraschend, nachdem die ausserordentliche Berufungskammer im Unterschied zur ersten Instanz kaum Zeugen befragt und die Hauptverhandlung zügig durchgezogen hatte. Die Berufungskammer fällte ihren Spruch praktisch ausschliesslich aufgrund der Akten aus der ersten Instanz.
Die Kosten der Verfahren gehen zulasten der Eidgenossenschaft, so das Gericht. Jetzt kommen auch noch Kosten des zweiten Verfahrens dazu.
Gericht überwälzt Teil der Kosten an Fifa und Beschuldigte
Je einen Zehntel der Kosten des Berufungsverfahrens müssen neu je auch die Fifa und die Beschuldigten tragen. Die Fifa muss zudem einen Teil der Parteikosten der Beschuldigten tragen: Je 1500 Franken an Blatter und Platini.
Blatter wird zudem, im Unterschied zum ersten Urteil, keine Genugtuung zugesprochen.
Auch Platini erhält keine Genugtuung. Eine solche hatte er erst für das zweite Verfahren geltend gemacht.
Es gebe keinen Grund, Genugtuungen zu zahlen. Die mediale Berichterstattung habe keine persönlichkeitsverletztenden Ausmasse angenommen.
In erster Instanz war Blatter eine Entschädigung von gut 82'000 Franken und eine Genugtuung von 20'000 Franken zugesprochen worden. Platini, der auf eine Genugtuung verzichtete, wurde eine Entschädigung von knapp 143'000 Franken für seine Parteikosten zugesprochen. Zudem wurde die Freigabe der bei Platini einst beschlagnahmten 2,3 Millionen Franken, verfügt, die seit Jahren auf einem Konto der Finanzverwaltung des Bundes lagern.
Die Bundesanwaltschaft, vertreten durch Staatsanwalt Thomas Hildbrand, legte den beiden Funktionären zur Last, die Fifa vor fast 15 Jahren um zwei Millionen Franken betrogen zu haben. Das war eine Zahlung, die 2011 die Fifa unter Blatter an Platini zahlte. Als nachträgliche Abgeltung für Beratungsdienste während vier Jahren, so die Beschuldigten. Die Vorwürfe der Bundesanwaltschaft lauteten wie schon in der ersten Instanz auf Betrug, allenfalls Veruntreuung oder ungetreue Geschäftsbesorgung sowie Urkundenfälschung.
Infantino als grosser Profiteur
Ausgelöst worden war das Verfahren im Herbst 2015 durch eine Strafanzeige der Fifa. Diese war insbesondere für Michel Platini fatal, weil er damals vom Weltfussballverband postwendend gesperrt wurde. So konnte er Anfang 2016, als der Nachfolger von Blatter gewählt wurde, nicht antreten, obwohl er als Top-Favorit galt.
Der grosse Profiteur des Verfahrens war ein mit allen Wassern gewaschener Italo-Schweizer: Dank Platinis Sperre war die Bahn frei für Gianni Infantino.
Infantino war bis dahin Angestellter von Platini: Nämlich Generalsekretär beim europäischen Fussballverband Uefa - dem Platini als Präsident vorstand. «Man hat mich getötet», sagt Platini wiederholt in Anspielung auf diese Geschehnisse.
Und, so sieht es aus, der Franzose will diese Sache nicht so stehen lassen. Er will die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen. Sein Berner Anwalt Dominic Nellen drückte sich nach der Urteilsverkündung so aus: «Die Verteidigung wird nach dem Scheitern des Strafverfahrens nun analysieren, wie rechtlich gegen die Verursacher des Strafverfahrens vorgegangen wird.» Denn dieses Verfahren hätte nie geführt werden dürfen, es sei nicht gerechtfertigt gewesen.
Das heisst, dass der Franzose Platini Wege sucht, rechtlich gegen Personen vorzugehen, die 2015 auf das Auslösen des Strafverfahrens hinwirkten. Sobald das Strafverfahren vom Tisch ist, hat er diesbezüglich mehr Handlungsspielraum als in den letzten zehn Jahren.
Das Urteil von Muttenz fällte eine ausserordentliche Berufungskammer des Bundesstrafgerichts unter dem Vorsitz des Baselbieter Oberrichters Roland Hofmann. Die per Losentscheid aus drei Präsidenten von Kantonsgerichten zusammengesetzte Kammer musste einspringen, weil die ordentliche Berufungskammer vom Bundesgericht in den Ausstand geschickt wurde. Grund: Der Präsident der Berufungskammer, Olivier Thormann, war selbst in das höchst umstrittene Verfahren verwickelt: Er hatte es, damals noch Staatsanwalt des Bundes, unter nie genau geklärten Umständen selbst eröffnet.
Vollumfänglicher Freispruch in Bellinzona
In erster Instanz wurden Blatter und Platini im Juni 2022 vom Bundesstrafgericht in Bellinzona vollumfänglich freigesprochen : Die strittige Zahlung sein rechtens gewesen. Obwohl es nur einen mündlichen Vertrag gab. Die Bundesanwaltschaft legte vollumfänglich Berufung ein, die Fifa hängte sich mit einer vollumfänglichen Anschlussberufung hinten an.
Zur Berufungsverhandlung im Muttenz erschien die Fifa dann aber nicht - ohne Angabe von Gründen. Schlechten Stil legt die Fifa unter Infantino auch im Umgang mit Medien an den Tag. Anfragen zur Sache blieben unbeantwortet.
Im Fall der Anschlussberufung im Betrugsprozess zog das Strafgericht in Muttenz bereits am ersten Prozesstag Anfang März die Konsequenzen: Es schloss Infantinos Fifa auch noch formell vom Verfahren aus. Durch ihr Verhalten habe die Fifa ihre Anschlussberufung faktisch zurückgezogen.