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Abgeschrieben

«Sehr unangenehm»: Oberster Kantons-Politiker der Schweiz schreibt Plagiat in Zeitung

Der Präsident der Kantonsregierungen, Christian Rathgeb, veröffentlicht in der NZZ einen Beitrag, der mehrere abgeschriebene Textstellen enthält. Die Geschichte ist kurios.

Vielen wird der Name Christian Rathgeb nicht viel sagen. Dabei hat der Mann allerlei Wichtiges zu tun, wie der «Tagesanzeiger» berichtet: Der 52-Jährige ist Finanzdirektor des Kantons Graubünden und Präsident der Kantonsregierungen (KdK), was ihn zum obersten Kantons-Politiker der Schweiz macht. Dazu kommen noch diverse Funktionen in interkantonalen Gremien und die üblichen Lobby-Geschichten.

Dem Bündner Regierungsrat ist die Situation «sehr unangenehm».
Bild: Marcel Bieri / Keystone

Nebst diesem Haufen an Aufgaben textet Rathgeb aber auch gern. Immer wieder publiziert das «Bündner Tagblatt» einen Gastartikel unter dem Namen des FDP-Politikers. Zudem erscheinen gelegentlich auch Beiträge des Dr. iur. in nationalen Medien wie der «NZZ».

Was ist passiert?

Rathgebs jüngster Gastkommentar in der «NZZ am Sonntag», «Lasst den Föderalismus in Ruhe, er kann nichts dafür», enthält nun mehrere Passagen, die 1:1 übernommen sind. Von einem anderen NZZ-Gastkommentar. So was kann man sich doch nicht ausdenken.

«Dass die Gliedstaaten mit angemessenem Gewicht an landesweit verbindlichen Entscheidungen partizipieren können, ist für den Föderalismus nämlich ebenso essenziell wie deren Autonomie, über ihre innere Organisation zu bestimmen, eigene Steuern zu erheben oder Bundesgesetze den örtlichen Verhältnissen angepasst umzusetzen. Nur wo den nachgeordneten Entitäten wirkmächtige Teilhabeinstitute an die Hand gegeben sind, um die Bundespolitik mitzuprägen, bleibt die föderale Machtbalance im Lot.»
Gastartikel von Rahel Freiburghaus, NZZ, 23.08.2021

Diesen Text schrieb die Berner Politologin und Föderalismus-Expertin Rahel Freiburghaus vor rund einem Jahr in der NZZ. Rathgeb hat sich offensichtlich davon inspirieren lassen: Es wurden zwar einige Worte ersetzt; manche Stellen sind jedoch tatsächlich kopiert:

«Dass die Gliedstaaten mit angemessenem Gewicht an landesweit verbindlichen Entscheidungen partizipieren können, ist für den Föderalismus nämlich ebenso essenziell wie deren Autonomie, über ihre innere Organisation zu bestimmen, eigene Steuern zu erheben oder Bundesgesetze den örtlichen Verhältnissen angepasst umzusetzen. Nur wo den nachgeordneten Entitäten wirkmächtige Teilhabeinstitute an die Hand gegeben sind, um die Bundespolitik mitzuprägen, bleibt die föderale Machtbalance im Lot.»
Gastartikel von Christian Rathgeb, NZZ am Sonntag, 06.11.2022

Dazu kommen noch zwei weiter plagiierte Textausschnitte, welche von der deutschen Website «Verfassungsblog.de» stammen. Der betroffene Artikel wurde von einer weiteren Föderalismus-Expertin, Prof. Sabine Kropp, verfasst.

Wie sieht das rechtlich aus?

Beide Autorinnen haben das Recht, gegen Rathgeb zu klagen, denn er hat gegen das Urheberrecht verstossen. Der spezialisierte Zürcher Rechtsanwalt Martin Steiger verweist gegenüber dem «Tagesanzeiger» auf ein Urteil des Zürcher Handelsgerichts im Januar 2022: Eine Blick-Autorin musste ihren Artikel auf der Website löschen, weil sie Passagen von einem anderen Text übernommen hatte.

Das Gericht argumentierte, dass, bei bestehendem Text, die teilweise Übernahme sowie das Hinzufügen, Umschreiben und Ergänzen auch zu einer Verletzung des Urheberrechts führe. Wichtig: das Urheberrecht wird aber nur dann verletzt, wenn die Originalquelle nicht angegeben wird. Beim besagten Blick-Urteil und bei Rathgeb war dies eben der Fall.

Was sagt Rathgeb dazu?

Am Donnerstag wird der Bündner mit dem Plagiatsvorwurf konfrontiert. Unerwartet taucht nur Minuten später ein «Deus Ex Machina» auf: Eine Mitarbeiterin des KdK ruft an und nimmt die Schuld auf sich, wie der Tagesanzeiger schreibt. Ja, es klingt sonderbar.

In einem Hin und Her zwischen ihr und Rathgeb sei das Malheur passiert. Er habe ihr während seiner Sommerferien einen groben Entwurf des Gastkommentars zur Weiterverarbeitung gesendet. Der Text habe man dann im Pingpong-Verfahren immer wieder angepasst und retour geschickt. Zum Schluss sei dann in einer letzten Kürzungsaktion der Verweis auf den Originaltext von Freiburghaus «am Tablet verloren gegangen.» Die Mitarbeiterin entschuldigt sich bei Rathgeb, dass sie ihn in so eine Bredouille geritten habe.

Diesem ist die Situation offensichtlich peinlich: «Die fehlende Quellenangabe ist mir sehr unangenehm, und ich entschuldige mich hierfür in aller Form.» Er betont allerdings, dass er die volle Verantwortung für den Fehler übernehme, sein Name stehe ja unter dem Artikel. (cpf/watson)