
Die schlimmsten Befürchtungen des Westens sind im Fernen Osten bittere Realität geworden: Während der russische Präsident Wladimir Putin mit immer heftigerer Brutalität die Ukraine bombardieren lässt, rollt ihm sein chinesischer Amtskollege Xi Jinping den roten Teppich aus.
Bei der Abschlussveranstaltung des Gipfels der «Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit» (SCO) in Tianjin lässt sich bereits beobachten, wie selbstbewusst sich die chinesische Führung als antiwestliche Weltmacht inszeniert. Narendra Modi (Indien), Wladimir Putin (Russland), Massud Peseschkian (Iran) und Shehbaz Sharif (Pakistan) sind allesamt in die Volksrepublik gereist, um der aufstrebenden Weltmacht des Ostens zu huldigen. Dem Westen hingegen bleibt nichts weiter übrig, als von der Ferne aus zuzuschauen.
Das euroatlantische Modell habe sich überlebt, sagte Putin denn auch passenderweise am Abschlusstag des Gipfeltreffens. Die Zukunft hingegen gehöre «einem System, das die Interessen eines maximal grossen Kreises an Ländern berücksichtigt und wahrhaftig ausbalanciert ist».
Damit doppelt er jene Botschaft, die Xi Jinping in die Welt hinaus posaunen will: China repräsentiere laut dem chinesischen Parteivorsitzenden eine «multipolare Weltordnung», die explizit auch die Interessen des Globalen Südens inkludiere. In seiner Abschlussrede hat sich Xi zudem wiederholt gegen Hegemonialdenken und eine Mentalität des Kalten Kriegs ausgesprochen. Und überhaupt: Das SCO-Treffen sei laut dem 72-Jährigen «eine Quelle des Friedens».
Bis vor ein paar Monaten noch unvorstellbar
Was auf dem Papier geradezu idealistisch klingt, kann doch kaum die geopolitische Realität übertünchen: dass nämlich die Volksrepublik mindestens ebenso machiavellistisch tickt, wie einst die Vereinigten Staaten auf dem Zenit ihrer Macht waren.
Doch Washington wirkt unter Präsident Donald Trump derzeit viel eher auf einem absteigenden Ast. Denn die erratischen Handelskriege, die der 79-jährige Republikaner vom Zaun gerissen hat, haben den russlandfreundlichen Block rund um China überhaupt erst möglich gemacht. Dass etwa der indische Premierminister Narendra Modi dieser Tage sich derart an die Fersen Xi Jinpings heftet, wäre noch vor wenigen Monaten geradezu undenkbar erschienen.
Ebenso undenkbar war es für die meisten europäischen Staatschefs auch, dass sich Peking derart deutlich gegen den Westen positioniert. Dass Xi Jinping zum grössten Importeur von russischem Erdöl avanciert und gleichzeitig im grossen Stil die «Dual Use»-Güter liefert, die Putin für seine Kriegsmaschinerie braucht.
Henry Huiyao Wang, Gründer der KP-nahen Denkfabrik Center for China and Globalization, sagte kürzlich unverhohlen in einem Interview mit dem Hongkonger Fernsehen, Putin müsse China «eigentlich zutiefst dankbar sein». Denn, so Wang: «In gewisser Weise ist es die Aufrechterhaltung normaler Handelsbeziehungen zwischen SCO-Ländern wie China und Indien mit Russland, die verhindert hat, dass die russische Wirtschaft unter den westlichen Sanktionen schnell zusammengebrochen ist». Jene Aussagen waren jedoch keineswegs als Selbstkritik intendiert, sondern sollten die Macht der chinesischen Volkswirtschaft unterstreichen.
Militärparade als Höhepunkt des Gipfels
Nun werden die meisten Staatschefs des SCO-Gipfels noch bis Mittwoch in der chinesischen Hauptstadt verweilen, wo Xi Jinping das Ende des Zweiten Weltkriegs, welcher im Reich der Mitte durch die Kapitulation der Japaner besiegelt wurde, mit einer Militärparade begehen wird. Das Publikum kann sich bereits im Vorfeld sicher sein, dass der Aufmarsch der chinesischen Soldaten keineswegs so unbeholfen sein wird wie während jener Parade, die Donald Trump im Juni in Washington angeordnet hat.
Ganz im Gegenteil: Der Gleichschritt der Soldaten, ein sorgfältig orchestrierter Jubel der Volksmassen und auch die Totalüberwachung in der Hauptstadt dürften viel eher an das benachbarte Nordkorea erinnern.

Laut Beobachtern dürfte Xi Jinping die Militärparade auch dafür nutzen, um die Geschichtsschreibung der kommunistischen Parteiführung um ein weiteres Kapitel zu erweitern: So möchte der 72-Jährige vor allem die eigene Rolle der KP im Kampf gegen das faschistische Japan betonen. Tatsächlich waren es jedoch doch vor allem die nationalistischen Truppen unter Militärherrscher Chiang Kai-shek, welche die Japaner zurückgedrängt hatten – jener Herrscher also, der mit der kommunistischen Revolution 1949 ins Exil nach Taiwan floh.
Für Donald Trump dagegen gibt es noch einen weiteren Wermutstropfen: dass nämlich einer seiner engsten Alliierten aus dem indopazifischen Raum nicht nach China reist. Hartnäckig haben die Vertreter Pekings wiederholt darum geworben, dass Südkoreas linker Präsident Lee Jae Myung ebenfalls die Volksrepublik besucht. Doch Lee, der eine Äquidistanz zwischen den zwei Weltmächten Washington und Peking halten will, hat sich – trotz der Trump’schen Strafzölle – für seine Loyalität gegenüber den USA entschieden.

