Eigentlich hätte der niederländische Premierminister Dick Schoof in Budapest beim EU-Gipfeltreffen über die Auswirkungen der US-Wahl sprechen wollen. Aber dann braute sich zu Hause eine politische Krise zusammen, die seine ungeteilte Aufmerksamkeit forderte. «Ich schäme mich zutiefst darüber, was in den Niederlanden passiert ist», sagte der Premier in die Mikrofone der internationalen Journalisten-Schaar. Um was geht es?
In der Nacht auf Freitag kam es nach dem Fussball-Spiel Maccabi Tel Aviv gegen Ajax Amsterdam zu hässlichen Szenen, die weit über die üblichen Fussballkrawalle hinausgingen. Vermummte Männergruppen jagten die israelischen Fans durch die Strassen und prügelten auf sie ein. Videos in den sozialen Medien zeigten, wie am Boden liegende Fans mit Fusstritten und Faustschlägen traktiert wurden. Mindestens ein Mann landete in einem Kanal, ein anderer wurde gezielt mit dem Auto angefahren.
Die Angreifer schrien anti-israelische Parolen und waren als pro-palästinensische Aktivisten erkennbar, weshalb Schoof von einem «gezielt antisemitischen Angriff» sprach. In einem Gespräch versprach er dem israelischen Premier Benjamin Netanyahu, die Angreifer nicht straflos davonkommen zu lassen.
Die Bilanz: Bis 30 Menschen wurden gemäss Polizeiangaben verletzt. Fünf mussten vorübergehend in Spitalpflege. Die Amsterdamer Bürgermeisterin Femke Halsema sprach von einer «tiefschwarzen Nacht» und einer «Schande für Amsterdam». 62 Personen wurden festgenommen. 10 befanden sich am Freitagabend noch in Haft, darunter zwei Minderjährige.
In Israel gingen die Wogen am Freitag hoch. Die Szenen aus Amsterdam dominierten Nachrichtensendungen. Israels Präsident Isaac Herzog sprach von einem «antisemitischen Pogrom im Herzen Amsterdams». Die Wortwahl wiegt umso schwerer, da der Gedenktag der Reichskristallnacht ansteht. Bei den vom Nazi-Regime gelenkten Novemberpogromen wurden 1938 in Deutschland Hunderte Jüdinnen und Juden ermordet und gegen 1400 Synagogen sowie Tausende jüdische Geschäfte und Wohnungen angezündet oder verwüstet. Der niederländische König Willem-Alexander teilte Herzog in einem Telefonat seine Bestürzung mit.
Aber auch am EU-Gipfel in Budapest sorgten die antisemitischen Hetzjagden für Reaktionen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schrieb auf X, sie sei «wütend» und dass Antisemitismus «absolut keinen Platz in Europa» habe. Bundeskanzler Olaf Scholz verurteilte die Attacke ebenfalls und rief dazu auf, Antisemitismus nicht hinzunehmen. Der Schweizer Botschafter in Israel Simon Geissbühler teilte eine Botschaft der Solidarität und fragte rhetorisch: «Wann ist genug genug?»
Organisierte Jagd auf jüdische Fussballfans
Wie konnte es so weit kommen? Immerhin waren rund 800 Beamte im Einsatz, da Spiele von israelischen Mannschaften stets mit erhöhtem Risiko behaftet sind.
Laut der Polizei seien die Mobs «aktiv auf die Suche gegangen nach israelischen Fans, um sie anzugreifen und zu misshandeln». Demnach kam es auf das ganze Zentrum verteilt zu gleichzeitigen und offenbar koordinierten Angriffen durch verschiedene Gruppen. Die jungen bis sehr jungen Täter waren auch auf Motorrädern unterwegs, um die Israelis auszumachen.
Berichte, wonach Taxifahrer bei der Koordinierung der Angriffe eine Rolle gespielt haben sollen, konnte die Polizei bis Freitagabend nicht bestätigen. Der Leiter der grössten Taxiunternehmens Amsterdams stritt eine Beteiligung seiner Chauffeure ab. Falls es sich aber als anders herausstellen sollte, kündigte er Konsequenzen an.
Polizei schützt Israelis und begleitet sie in Hotels
Gemäss der Polizei soll es schon am Abend vor dem Fussballspiel zu Zusammenstössen zwischen Maccabi-Anhängern und pro-palästinensischen Aktivisten gekommen sein. Gewisse Fans von Tel Aviv hätten randaliert und provoziert. So hätten sie palästinensische Flaggen verbrannt sowie beleidigende antiarabische Parolen gerufen. Die Amsterdamer Bürgermeisterin betont, das sei aber in keinerlei Hinsicht eine Entschuldigung für die antisemitischen Attacken vom Folgetag.
Nachdem viele israelische Fans sich am Freitag unsicher fühlten, wurden sie von der Polizei mit einem Grossaufgebot an den Flughafen begleitet. Die israelische Airline El Al stellte mehrere Zusatzflüge zur Verfügung.
Der radikal-rechte Populist Geert Wilders forderte auf X einschneidende Konsequenzen. Die Verurteilung der «Judenjagd »reiche nicht aus. Die Täter müssten zudem das Land verlassen. Ausserdem forderte Wilders den sofortigen Rücktritt der Amsterdamer Bürgermeisterin und eine Dringlichkeitsdebatte. Auch die Chefs sämtlicher anderer Parteien verurteilten den antisemitischen Angriff mit scharfen Worten. Premierminister Schoof appellierte an die israelischen Bürgerinnen und Bürger, weiterhin in die Niederlande zu kommen: «Wir tun alles, damit Sie sich hier fühlen können.»
Mit Material der DPA.