«Not in my name» und «InteErKvinna» («Nicht eure Frau»): Das waren gestern Montag in Schweden die am meisten verwendeten Stichworte in den sozialen Medien. Tausende Schwedinnen schlossen sich einer Kampagne an, die sich gegen die rechtsextremen Angriffe auf Ausländer in der Stockholmer Innenstadt richtete.
Rund hundert Vermummte hatten dort am Freitagabend Jagd auf Dunkelhäutige gemacht. Am Samstag kam es nach einer rechtsnationalen Demonstration erneut zu Übergriffen. Die Polizei nahm mit einem Grossaufgebot einzelne Personen fest. Diese ordnete sie der Stockholmer Hooligan-Szene zu. Eine Neonazi-Gruppe bekannte sich im Nachhinein zu den Attacken.
Auf Flugblättern war unter dem Titel «Jetzt ist genug» zu Angriffen gegen alleinreisende, minderjährige Flüchtlinge, namentlich nordafrikanische, aufgerufen worden. Diese würden die Innenstadt verunstalten, hiess es. Deshalb solle «gesäubert werden» und ihnen «eine gerechte Strafe» erteilt werden. Ausserdem gehe es darum, «schwedische Frauen» zu beschützen – eine Aufgabe, der die Behörden nicht gewachsen seien.
Auch frauenverachtende Sprüche
Doch viele Frauen in Schweden wollen sich nicht derart instrumentalisieren lassen und konfrontieren nun Neonazi-Gruppen offen im Internet. «Bin kein Alibi für einen rassistischen Pöbel, der Kinder misshandelt», schreibt etwa Linda Lundquist auf Twitter. «Keine Gewalt in meinem Namen», eine andere schwedische Nutzerin, und jemand wird sarkastisch: «Als hilflose weisse Schwedin frage ich mich, wer mich vor einem faschistischen Mob beschützt?»
Die Debatte zieht allerdings auch die im Internet sehr aktive rechtsextreme schwedische Szene an. Paulina Forslund, aktiv in der Neonazi-Gruppe «Nordische Widerstandsbewegung», schreibt angesichts der Kampagne, das Frauenstimmrecht sei wohl doch eine schlechte Idee gewesen. Andere benutzen «InteErKvinna» für frauenverachtende Sprüche.
Schweden hat im vergangenen Jahr 160 000 Flüchtlinge registriert. Gemessen an der Einwohnerzahl sind das mehr als in jedem anderen EU-Land.
Aktenzeichen R291: Schwedens Polizei vertuscht Ausländerkriminalität
von André Anwar, Stockholm
Die schwedische Polizei hat rund 5000 Zwischenfälle verheimlicht, in die Flüchtlinge als Opfer oder Täter involviert waren. Von Einzelfällen abgesehen waren bislang keine Zwischenfälle – etwa in Asylheimen – bekannt. Das liegt an einer Geheimhaltungsverordnung der Polizei, aber auch an den in Schweden politisch korrekten Medien.
Nach der Ermordung einer 22-jährigen Helferin in einem Asylbewerberheim durch einen Flüchtling in der vergangenen Woche enthüllte nun das «Svenska Dagbladet», dass die Polizei alle Vorfälle mit Flüchtlingen geheim hält. Unter dem im Oktober eingeführten Sammelaktenzeichen R291 wurden gut 5000 Vorfälle mit Flüchtlingsbeteiligung geheim gehalten. Die schwedischen Medien berichten, wenn überhaupt, nur kurz über besonders aufsehenerregende Fälle. Erst nach den Silvester-Zwischenfällen in Köln wurde bekannt, dass es auch sexuelle Massenübergriffe auf Mädchen bei einem Jugendfestival in Stockholm im Sommer 2014 und 2015 gab, die aber von Polizei und Veranstalter vertuscht wurden.
«Es handelt sich um deutlich mehr Vorfälle als die 5000 in der Akte. Das kann ich sagen. Die Herausforderungen, vor allem in den Flüchtlingsheimen, sind riesig», sagte Tomas Wallberg von der operativen Polizeieinheit Noa, die das Vorgehen bei allen Zwischenfälle mit Flüchtlingen landesweit koordiniert. In Flüchtlingsheimen herrsche eine extrem angespannte Stimmung, die sich bei kleinsten Zwischenfällen entzünde, so Wallberg. Wegen des Andrangs mussten die bereits geringen Mindestwohnstandards reduziert werden. Psychische Erkrankungen seien häufig und die Angst sei gross, ausgewiesen zu werden, so Wallberg. Schweden will bis zu 80 000 abgelehnte Asylbewerber notfalls zwangsausweisen. Hinzu kommen Bedrohungen durch Rassisten. «In den Heimen häufen sich Konflikte», so Wallberg.
«Die Situation wird immer schwieriger», warnte nun erstmals auch offen Schwedens Reichspolizeichef Dan Elliasson. Er sei «sehr bekümmert» über die steigende Anzahl von Vorfällen rund um Flüchtlingsheime. «Die Wohnsituation ist schlimm, es ist eng, man hat manchmal traumatisierende Erlebnisse im Gepäck. Es kann Gegensätze zwischen Gruppen geben», sagte er der Zeitung «SVD». Am wichtigsten sei es, die Asylverfahren zu beschleunigen, die heute bis zu neun Monate dauern können, damit die Menschen nicht so lange unter so schlechten Bedingungen in Zwischenlagern leben müssen, so der Reichspolizeichef. Am 19. Februar will die Polizei erstmals in einem Bericht alles offenlegen.