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Wohnen

Die schleichende Enteignung von Herrn und Frau Schweizer - schon fast die Hälfte des Wohnraums im Land gehört Renditefirmen

Wohnen wird immer teurer. Das hängt auch damit zusammen, dass renditeorientierte Firmen einen immer grösseren Anteil des Gesamtwohnraums besitzen. Die SP-Städtekonferenz sucht Auswege.
Protest gegen Masskündigung bei den Zürchern Sugus-Häusern.
Bild: Keystone

507 Millionen Franken an Grundsteuern nahm die Stadt Zürich letztes Jahr ein. Ein neuer Rekord. Bis vor 20 Jahren pendelte dieser Wert noch um die 100 Millionen jährlich. Die Steuern werden auf den amtlichen Wert einer Liegenschaft erhoben.

Der Geldsegen hat eine Schattenseite. Die Grundsteuern reflektieren auch die gestiegenen Preise für Wohnraum und Mieten. Schon 2022 zeigte eine Erhebung der Stadt Zürich: Die Wohnungsmieten waren seit dem Jahr 2000 im Schnitt um 40 Prozent gestiegen.

Dabei macht es einen enormen Unterschied, ob die Wohnung einer gemeinnützigen Genossenschaft oder einer renditeorientierten Immobilienfirma gehört. Letztere sind in Zürich praktisch doppelt so teuer wie die aktuellsten Zahlen zur Mietpreiserhebung der Stadt zeigen.

2024 kostete in der Stadt Zürich eine Dreizimmerwohnung in einem bis zwei Jahre alten Neubau im Schnitt 1565 Franken, sofern sie einer gemeinnützigen Trägerschaft gehörte. Gehörte sie einer renditeorientierten Immobilienfirma, kostete die Wohnung 3050 Franken.

Renditefirmen steigerten Anteil um 54 Prozent

Aber günstigeres Wohnen ist nicht in Sicht, im Gegenteil. Denn immer mehr Wohnraum in der Schweiz gehört renditeorientierten Firmen. Innert 25 Jahren steigerten diese ihren Anteil am Gesamtwohnraum in der Schweiz um 54 Prozent. Im Jahr 2000 gehörten noch 28,7 Prozent des Wohnraums renditeorientierten Firmen. 2024 betrug dieser Anteil bereits 44,4 Prozent. Dies zeigen Zahlen des Bundesamts für Statistik, welche die SP am Wochenende in Zürich an ihrer jährlichen Städtekonferenz präsentierte (siehe Grafik).

Handkehrum: Besassen Privatpersonen vor 25 Jahren noch 57 Prozent des Wohnraums, so waren es letztes Jahr noch 43 Prozent.

«Herr und Frau Schweizer verlieren am meisten»

Tobias Langenegger, Zürcher SP-Kantonsrat und Ökonom, stellt fest: «Die natürlichen Personen, also Herr und Frau Schweizer, sind die, die am meisten verlieren.» Ein Problem ist laut Langenegger: Erbengemeinschaften können sich oft nicht einigen, eine Liegenschaft zu behalten. Fast immer sei einer da, der Geld wolle und die anderen zum Verkauf zwinge. Geht die Entwicklung so weiter, gehört in einigen Jahrzehnten praktisch die ganze Schweiz den Immobilienfirmen. «Und die wollen naturgemäss möglichst hohe Renditen erzielen», sagt Langenegger.

Immer mehr dubiose Firmen mit Geld unklarer Herkunft

Wenn das nur die bekannten grossen, in der Regel seriösen Firmen wären. Aber ein weiteres Problem kommt dazu: Immer mehr drängten auch kleinere, dubiose Immobilienfirmen auf den Markt, beobachtet Kantonsrat Langenegger. Woher das Geld komme, sei dabei oft nicht so klar. Und nicht nur das: Oft würden Grundstücke verkauft, ohne dass die Gemeinde dies zunächst mitbekomme. Also brauche es mehr Transparenz und mehr Kompetenzen für die Gemeinden, damit diese bei Bedarf eingreifen können. Bisweilen wechselten halbe Dörfer die Hand, bevor es jemand merke.

Das zeigen auch Recherchen von CH Media im Umfeld unter anderem der kriminellen Strukturen aus dem Balkan, die über ein Luzerner Reisebüro Drogengeld wuschen. Der Clan mit Ableger in der Region Biel kaufte ältere Liegenschaften auf, riss sie ab und stellte Wohn- und Geschäftshäuser auf. Die Konstellation deutet zudem darauf hin, dass Schwarzarbeit im Spiel ist. Alles lief über Immobilienfirmen, die nicht viel mehr sind als Briefkästen. Gleichzeitig vermitteln sie angeblich auch Luxuswohnungen in Dubai, das als Zufluchtsstätte für Kriminelle gilt.

Hunderte Wohnungen zurück auf dem Markt

Dubiose, Schweizer und Ausländer gleichermassen, sind oft dort am Werk, wo schnell möglichst viel Geld mit Immobilien zu machen ist. Oft sind es junge Leute, die aus etwas Geld schnell sehr viel mehr Geld machen wollen, sagen Insider. Auch langjährige Mieter werden aus vergleichsweise günstigem Wohnraum verdrängt, um mit Airbnbs und Business Apartments möglichst viel Geld zu machen. Beispiel Wohnungen in den Sugus-Häusern in Zürich: Sie tauchten plötzlich auf Airbnb auf - zum siebenfachen Preis, wie watson.ch berichtete.

Es gibt Gegenmittel. Die Stimmbevölkerung in Luzern zog als Reaktion auf explodierende Mieten und schwindenden Wohnraum bei den Airbnbs per Anfang 2025 die Schrauben an. Wohnungen dürfen nur noch unter bestimmten Bedingungen und maximal 90 Nächte pro Jahr kurzzeitvermietet werden. Die Anbieter müssen sich zudem registrieren lassen. Seither sei eine dreistellige Anzahl Wohnungen zurück auf den Markt gekommen, sagt David Roth, Luzerner SP-Nationalrat und Promoter der Airbnb-Regulierung. Er sagt: «Es muss gelingen, die Spekulation zu stoppen.»

In Zürich setzt eine breite Mitte-Links-Allianz aus Exekutivpolitikern von Mitte, GLP, EVP, SP, Grünen und Mieterverband unter anderem auf ein Vorkaufsrecht für Gemeinden. Es würde den Gemeinden ermöglichen, einzugreifen, wenn wegen eines Verkaufs an eine Immobilienfirma hohe Mieten drohen. Am 30. November entscheidet das Volk, ob die Gemeinden das Instrument des Vorkaufsrechts einführen dürfen. Gemeinden sollen den gleichen Preis zahlen, den ein Privater zahlen würde und Verkäufe innerhalb der Familie wären vom Vorkaufsrecht ausgenommen. Ziel ist vielmehr, grössere Wohnüberbauungen der Spekulation zu entziehen. Das Instrument ist nicht neu, vor einigen Jahren hat es beispielsweise bereits der Kanton Waadt eingeführt. Die Stadt Luzern wälzt ähnliche Pläne.

Die Lage auf dem Wohnungsmarkt verschärft sich fast überall. Auch der Schweizerische Städteverband zeigt sich zunehmend besorgt. Ein Sozialziel der Schweiz sei es, dass «Wohnungssuchende für sich und ihre Familie eine angemessene Wohnung zu tragbaren Bedingungen finden» könnten. «Für fast ein Sechstel der Schweizer Bevölkerung entspricht dies nicht mehr der Realität», so der Verband letzte Woche in einer Mitteilung.

An der SP-Tagung in Zürich trafen sich am Samstag etwa 80 Vertreterinnen und Vertreter von Städten aus der ganzen Schweiz zum Austausch über Mittel und Wege zur Verbesserung der Wohnsituation. Laut Oliver Heimgartner, Co-Präsident der Zürcher Stadtpartei, stehen neben Vorkaufsrecht und Airbnb-Regulierungen im Vordergrund:  Wohnschutz-Gesetzgebung  wie jene in der Waadt oder in Basel sollen Sanierungen verhindern, bei denen es einzig um Erhöhung der Rendite geht. Immobilienfirmen sollen einen bestimmten Anteil an bezahlbaren Wohnungen schaffen müssen. Mehr Städte sollen Wohnbaustiftungen gründen.

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