notifications
Deutschland

Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer laden zur grossen Friedenskundgebung nach Berlin ein – kommen auch Rechtsradikale? 

Zehntausende könnten heute in der deutschen Hauptstadt für Verhandlungen mit Russland und gegen Waffenlieferungen an die Ukraine demonstrieren. Kritiker befürchten die Entstehung einer «Querfront» aus linken und rechten Radikalen. 
Darauf, wer mit ihnen demonstriert, haben sie nur begrenzt Einfluss: Sahra Wagenknecht (l.) und Alice Schwarzer, hier am 9. Februar in Köln.
Bild: Rolf Vennenbernd / dpa

In Deutschland ist eine neue Friedensbewegung entstanden. Für den heutigen Samstag hat sie zu ihrer ersten grossen Kundgebung vor das Brandenburger Tor im Zentrum Berlins eingeladen; erwartet werden bis zu 50’000 Teilnehmer aus dem ganzen Land.

Zu den Initiatoren zählen die linke Politikerin Sahra Wagenknecht und die feministische Publizistin Alice Schwarzer, aber auch Brigadegeneral Erich Vad, der während Angela Merkels Kanzlerschaft zu den Beratern der Christdemokratin gehörte. Was die Bewegung eint, sind die Forderung nach baldigen Verhandlungen im Konflikt zwischen Kiew und Moskau sowie die Ablehnung westlicher Waffenlieferungen an die Ukraine.

Liess sich die alte Friedensbewegung, die während des Kalten Krieges entstanden war, noch eindeutig ins linke Spektrum einordnen, stellt sich die Lage heute verworrener dar: Die Grünen, die einst als Friedenspartei schlechthin galten, rufen heute am lautesten nach militärischer Unterstützung für die Ukraine. Umgekehrt zählt die rechte Alternative für Deutschland (AfD) zu denjenigen Kräften, die für eine rasche Verständigung mit Moskau werben und dabei auch keine Bedenken haben, über ukrainische Interessen hinwegzugehen.

Widersprüche einer linken Weltsicht

Repräsentanten der AfD haben ebenfalls zur Teilnahme an der Berliner Demonstration aufgerufen und die Organisatoren damit in Verlegenheit gebracht. «Die Unterstützung von Militarismus und Krieg» sei «seit ewigen Zeiten Kennzeichen rechter Politik», versuchte sich Wagenknecht zu distanzieren. Andererseits hat sie erklärt, jeder sei auf der Demonstration willkommen. Die Linkspartei, der die Politikerin angehört, hat dazu aufgerufen, der Kundgebung fernzubleiben: «Namhafte Nazis und rechte Organisationen» unterstützten den Aufruf, erklärte die Parteiführung.

Der Aufruf, den die Linkspartei der geplanten Grosskundgebung entgegensetzt, wirkt allerdings ähnlich widersprüchlich wie das «Manifest für den Frieden», das Wagenknecht und Schwarzer Anfang Februar veröffentlich haben: So fordert Die Linke zwar den Abzug der russischen Truppen aus der Ukraine, gleichzeitig verlangt sie aber auch von der deutschen Regierung, «anstatt aufzurüsten endlich die Eskalationsspirale zu durchbrechen». Wie der russische Präsident Wladimir Putin ohne militärische Stärke zum Einlenken gebracht werden soll, bleibt das Geheimnis der Parteiideologen.

An Sahra Wagenknecht scheiden sich innerhalb der Linken seit langem die Geister: Während viele einfache Parteimitglieder mit der 53-Jährigen sympathisieren, werfen andere ihr vor, die Bildung einer «Querfront» aus linken und rechten Radikalen wenn nicht zu forcieren, so doch mindestens in Kauf zu nehmen. Bestätigt fühlen dürfen sich Wagenknechts linke Gegner durch die Aussage des AfD-Chefs Tino Chrupalla, zu den Unterzeichnern des «Manifests» zu gehören.

Naiver Pazifismus und sentimentale Nostalgie

Darauf, wer sich vor dem Brandenburger Tor einfinden wird, haben Wagenknecht und Schwarzer naturgemäss nur begrenzt Einfluss. Ostdeutsche werden sicher überproportional vertreten sein, und dies nicht nur, weil sie eine relativ kurze Anreise haben: Sympathie für die russische Seite ist im Osten der Bundesrepublik relativ weit verbreitet. Im linken Spektrum speist sie sich aus einem naiven Pazifismus und sentimentaler DDR-Nostalgie, unter den Rechten aus der Sehnsucht nach einem starken Mann, den man in Putin zu erkennen glaubt.

Neben Teilnehmern vom rechten und vom linken Rand werden wohl auch zahlreiche Demonstranten aus jenem Segment kommen, das gern als «Mitte der Gesellschaft» bezeichnet wird: Laut einer Umfrage stimmen knapp 40 Prozent der Deutschen dem «Friedensmanifest» zu. Das ist deutlich mehr als AfD und Linkspartei zusammen Anhänger haben. Mit der Grünen-Politikerin Antje Vollmer, dem Christsozialen Peter Gauweiler und dem Sozialdemokraten Günter Verheugen befinden sich auch Vertreter anderer Parteien unter den Unterzeichnern, auch wenn es wohl kein Zufall ist, dass alle drei nicht mehr in der ersten Reihe politisch aktiv sind.