Felix Straumann
Frau Dr. Borm, mit dem viel beworbenen Medikament Alli ist erstmals eine Abnehmpille ohne Rezept in Apotheken erhältlich. Für wen ist sie gedacht?
Anne Katrin Borm: Für übergewichtige Personen (BMI >28) über 18 Jahre, denen trotz Umstellung ihrer Ernährung auf eine kalorien- und fettreduzierte Kost keine Gewichtsabnahme gelingt, um eine erste Gewichtsabnahme «anzustossen». Eine Mitbetreuung durch eine Ernährungsberatung sollte gewährleistet sein. Personen mit einer Adipositas (Fettsucht) und Begleiterkrankung (Diabetes, Hypertonie) sollten zur dauerhaften Gewichtsabnahme durch einen Arzt betreut werden.
Das klingt nach sehr hohen Anforderungen. Kann dies durch Apotheken überhaupt sichergestellt werden?
Borm: Von gewissenhaften Apothekerinnen oder Apothekern durch sorgfältiges Nachfragen schon.
Was passiert, wenn das Medikament in falsche Hände gelangt?
Borm: Bisher sind wenig wirklich gefährliche Nebenwirkungen bekannt. Wird das Medikament missbräuchlich eingenommen, führt dies aufgrund seines Wirkungsmechanismus voraussichtlich zu Blähungen und Durchfall.
Was heisst in diesem Zusammenhang missbräuchlich?
Borm: Das kann ein Normalgewichtiger sein, der das Medikament einnimmt, oder jemand, der das Medikament in zu hoher Dosierung einnimmt.
Wie viel können Übergewichtige mit Alli abnehmen?
Borm: Eine kalorien- und fettreduzierte Diät und eine regelmässige Tabletteneinnahme vorausgesetzt, konnte in Studien eine Gewichtsabnahme von zirka fünf Prozent beobachtet werden. Allerdings wurde dies auch bei einem Viertel der Personen beobachtet, die ein Placebo eingenommen hatten. Es wird empfohlen, das Medikament maximal sechs Monate lang einzunehmen. Wenn bis dahin nicht die Ernährungs- und Lebensgewohnheiten gründlich umgestellt worden sind, ist mit einer erneuten Gewichtszunahme - einem Jo-Jo-Effekt - zu rechnen.
Alli soll also vor allem Hilfestellung leisten, um die Lebensgewohnheiten umzustellen. Braucht es das Medikament überhaupt dafür?
Borm: Viel wichtiger ist die Erkennung ungünstiger Ernährungsgewohnheiten. Einige Beispiele: Fällt das Frühstück aus? Esse ich erst spät am Abend? Was esse ich alles zwischen den Mahlzeiten? Wie viele Kalorien führe ich mir über Getränke zu? Esse ich aus Langeweile oder aus Frust? Lege ich mir noch eine zweite Portion auf? Nehme ich den Fahrstuhl oder laufe ich die Treppen herauf? Fahre ich mit dem Velo oder mit dem Auto? Wenn diese Angewohnheiten erkannt und umgestellt sind, ist schon viel gewonnen.
Wie wirkt Alli?
Borm: Das Medikament hemmt im Dünndarm ein Enzym, welches Nahrungsfette in kleinere Bestandteile spaltet, die der Darm aufnehmen kann. Ist das Enzym gehemmt, werden vermehrt unverdaute Fette mit dem Stuhlgang ausgeschieden.
Gibt es Nebenwirkungen?
Borm: Unverdaute Fette können zu Blähungen, Durchfall, Bauchschmerzen und öligem Stuhlgang bis zur Inkontinenz führen.
Und die Risiken?
Borm: Personen, die dieses Medikament regelmässig einnehmen, können in gewissen Fällen einen Mangel an fettlöslichen Vitaminen entwickeln. Möglicherweise kann es zu einem Wirkungsverlust anderer Medikamente kommen. Auch Fälle von allergischen Reaktionen und Leberfunktionsstörungen wurden berichtet. In der Schwangerschaft und in der Stillzeit ist die Einnahme von Alli nicht angezeigt.
Alli enthält den gleichen Wirkstoff wie Xenical und andere Medikamente, nur ist die Dosierung halb so gross. Kann, wer will, nicht einfach zwei anstatt nur eine Tablette jedes Mal einnehmen?
Borm: Laut Hersteller wird die Einnahme einer Kapsel à 60 Milligramm zu den Hauptmahlzeiten empfohlen.
Erwarten Sie einen Run auf Alli?
Borm: Aufgrund des Marketings kann es vielleicht am Anfang zu einen Run kommen. Wenn die Menschen den teuren Preis und die zum Teil übelriechenden Nebenwirkungen erfahren haben, kann dieser Run aber auch schnell abflauen.