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US-Wahlen

Rückblick: Der schmutzigste Wahlkampf der US-Geschichte ist vorbei

Morgen ist der Spuk zu Ende: Der schmutzigste Wahlkampf der US-Geschichte ist vorbei. Dann erwacht Amerika aus seinem politischen Fiebertraum mit einem neuen Präsidenten. Ein Rückblick.

Ein weisses Zelt steht an der schottischen Küste, draussen heftiger Wind und Regen, drinnen Gedränge. Inmitten des Gedränges thront ein grosser Mann mit schwarzem Mantel. Er zeigt auf eine junge, hübsche Frau und sagt zu einem anderen Mann neben sich: «Wow, schau sie dir an. Sehr hübsch. Schau sie dir mal an. Gib ihr einen Job, im Marketing oder so, da können wir sie brauchen. Sehr hübsch.» Die junge Frau lächelt verlegen. Dann dreht sich der grosse Mann weg und verschwindet irgendwo hinten im Zelt.

Der grosse Mann ist Donald Trump, die junge Frau die einstige Miss Schottland. Die Begegnung fand 2011 statt. Aufgenommen hat sie der Brite Anthony Baxter, der damals einen Dokumentarfilm über einen von Trumps Golfplätzen in Schottland drehte. Und wäre der amerikanische Präsidentschaftswahlkampf 2016 ein normales Rennen ums Weisse Haus gewesen, dann hätte die Filmszene den republikanischen Kandidaten Donald Trump wohl die politische Haut gekostet. Man stelle sich einmal vor, es wäre 2012 ein Video aufgetaucht, auf dem Obama in Macho-Pose eine junge Frau von unten bis oben mustert, über ihr Äusseres urteilt und ihr dann einen Job anbietet: Obama wäre als Sexist und als machoider Machtmensch abgestempelt und bei seinem zweiten Wahlkampf als Präsidentschaftskandidat wohl kaum wiedergewählt worden.

2016 aber ist alles anders. Die sexistische Szene im weissen Zelt hat Trump nicht im Geringsten geschadet. Schlicht deshalb nicht, weil sie in der gesamten Wahlkampfsaison gar nie ein Thema war. Da waren zu viele andere Skandale, zu viele noch wesentlich gröbere Schnitzer, die die Öffentlichkeit beschäftigten, als dass man sich mit frauenverachtenden Trump-Kommentaren von vor fünf Jahren hätte auseinandersetzen wollen. Der Wahlkampf – nicht nur, aber vor allem – von Trump war ein Auswuchs diffamierenden Getöses.

513 Tage lang musste sich die Welt die Beleidigungen von Präsidentschaftskandidat Trump anhören. So lange ist es her, seit der New Yorker Multimilliardär seinen Anspruch aufs Weisse Haus bekannt gab. 282 Personen, Firmen und Ortschaften hat Trump seither direkt beleidigt. Die «New York Times» hat das nachgezählt. Morgen wird der dreckige Wahlkampf endlich vorbei und der neue Präsident (oder die neue Präsidentin) gewählt sein. Die einen werden feiern, die anderen sich verkrümeln, wie das immer ist nach solchen Wahlen. Zurückbleiben wird ein bedauernswertes Opfer: die bisher stets mehr oder minder gesittete amerikanische Demokratie. Sie wälzt sich fiebrig am Boden, ringt nach Luft und hofft, dass die «trumpitis hillarys», die über sie hereinbrach, nicht allzu lange schmerzlich nachwirkt.

Nach den Ursachen dieser politischen Krankheit werden Politologen, Journalisten und Kommentatoren noch lange suchen. Der weltweit aufkeimende Populismus wird verantwortlich gemacht werden, die Boulevardisierung der Fernsehdebatten und wahrscheinlich auch die sozialen Medien, die den Präsidentschaftskandidaten eine digitale Bühne gaben, um ihre Giftpfeile ungefiltert und rund um die Uhr aufeinander abzufeuern.

Die USA sind nicht mehr so cool

Auch wenn die Ursachen der «trumpitis hillarys» noch nicht klar sind: Die Symptome der Krankheit kennen wir inzwischen. Erstens: Millionen von Amerikanern (rund die Hälfte der 163 Millionen, die heute wählen gehen dürfen) liegen sich in den Haaren, während die andere Hälfte desillusioniert oder mindestens desinteressiert zu Hause sitzen bleibt. Zweitens: Der internationale Ruf Amerikas, der sich unter Obamas Führung in den vergangenen acht Jahre wieder verbessert hatte, ging flöten. Die USA sind 2016 ganz und gar nicht mehr so cool, wie sie es in den «Yes, we can!»-Jahren 2008 und 2012 waren. Man lächelt, ja, man lacht über die «grossartigste Nation der Erde». Und drittens: Die beiden grössten Parteien im Land – die Demokraten und die Republikaner – sind tief verunsichert über das Prozedere, mit dem sie ihre Kandidaten auserkoren. «163 Millionen mündige Bürger – und wir kommen auf die zwei hier?» Diese Frage hörte man immer wieder, wenn man mit Amerikanern über die Präsidentschaftswahl sprach.

Die Symptome von «trumpitis hillarys» sind also offenkundig. Und auch Therapieansätze sind bereits vorhanden. Mit der heutigen Wahl kann man der Krankheit schon mal einen hemmenden Dämpfer versetzen. Um langfristig fit zu bleiben, wird man sich aber überlegen müssen, das Auswahlverfahren für Präsidentschaftskandidaten neu zu organisieren. Man wird sich über die Funktion politisch kommentierender Medien unterhalten und sich allenfalls sogar fragen müssen, wie sinnvoll das Festhalten am faktischen 2-Parteien-System ist. Erste konkrete Ansätze, um vom 2- auf ein Viel-Parteien-System umzusteigen, gibt es bereits. Der US-Bundesstaat Maine zum Beispiel stimmt heute über die sogenannte «Ranked Choice Voting»-Initiative ab, die die Wahlchancen für Kandidaten von Splitterparteien wie etwa den Grünen oder den Libertariern erhöhen würden.

Tiefpunkte des Polit-Spektakels

Doch das ist noch Zukunftsmusik. Was uns bleibt, ist noch einmal zurückzuschauen, noch einmal einzutauchen in diesen Fiebertraum eines Wahlzyklus, der uns konstant schlechte Laune und pochende Kopfschmerzen bescherte. Morgen ist der Spuk vorbei, deshalb – Achtung! – hier noch einmal die Tiefpunkte der vergangenen anderthalb Jahre amerikanischen Polit-Debakels:

Da waren Trumps Frontalangriffe gegen Mexikaner («Vergewaltiger!», «Drogendealer!»), gegen Hillary Clinton («sehr dumm!», «Lügnerin!», «die sieht nicht mal aus wie eine Präsidentin!»). Gegen den republikanischen Parteihelden John McCain («hat nichts zustande gebracht!», «ein Dummy!», «ein miserabler Versager!»). Und natürlich gegen Präsident Obama («der schlechteste Präsident der Geschichte!»). Weder der Papst («schändlich!») noch Angela Merkel («sie ruiniert Deutschland!»), noch der ehemalige Präsident Bill Clinton («der schlimmste Frauen-Missbraucher der US-Geschichte!», «Rassist!», «überbewertet!») waren sicher vor Trumps Verbal-Attacken.

Nur seine eigene Person nahm Trump von jeglicher Kritik aus. Dass «the Donald» sich selbst als eine Art Übermensch erachtet, für den andere Regeln gelten als für den ganzen Rest, das zeigte sich am deutlichsten in einem elf Jahre alten Video, in dem Trump – ohne es zu merken – dabei gefilmt wurde, wie er einem Reality-Show-Star erzählt, dass er Frauen gegen deren Willen küsse und ihnen sogar «an die Pussy greife». Er könne das, er sei schliesslich «ein Star». Dem gegenüber scheinen die verbalen Entgleisungen von Trumps Widersacherin Hillary Clinton ziemlich harmlos. Das Schlimmste, was Clinton in ihren 577 Wahlkampf-Tagen seit Bekanntgabe ihrer Kandidatur im April 2015 sagte, war, dass die Hälfte aller Trump-Unterstützer «in den Korb der Bedauernswerten» gehörten. Die Aussage sorgte für Aufsehen, weil Clinton damit einen beachtlichen Teil der Amerikaner als bedauernswerte Kreaturen abtat.

Allerdings dürfte die erste Frau, die jemals in der US-Geschichte von einer der beiden grossen Parteien als offizielle Präsidentschaftskandidatin aufgestellt worden ist, vor allem in Erinnerung bleiben für all die Dinge, die sie eben gerade nicht gesagt hat. So blieb sie bis zuletzt eine schlüssige Erklärung schuldig, wieso sie während Jahren als Aussenministerin ihre E-Mails über einen geheimen, privaten Server verschickte und damit gegen die bestehenden Sicherheitsregeln verstiess. Genauso schweigsam war Hillary, wenn es darum ging, Auskunft über die ausländischen Geldgeber für ihre Clinton-Stiftung zu geben. Der Verdacht: Hillary Clinton liess sich als einstige Staatssekretärin von privaten Sponsoren der Clinton-Stiftung beeinflussen.

Clinton und die Schoggi

Ganz generell hat Clinton versucht, so wenig wie möglich mit irgendjemandem über diese vermeintlich heiklen Themen zu sprechen. Besonders Journalisten hielt sie sich vom Hals, in dem sie sich hinter ihren Kommunikationsleuten versteckte und die Anzahl Pressekonferenzen (ganz im Gegensatz zu Trump) auf ein absolutes Minimum beschränkte. Sinnbildlich für ihre Distanz zu den Medienschaffenden war die Szene in der Stadt Reno im August, als sie die Fragen der wartenden Journalisten mit einem verzerrten Lächeln ignorierte und ihnen statt Antworten Schokolade verteilte.

Die USA haben heute also die Wahl zwischen der verheimlichenden Hillary und dem tobenden Trump. Für wen auch immer sich die Amerikaner entscheiden werden: Die Zeiten, in denen ein von der Mehrheit geschätzter und international als Pop-Präsident verehrter Mensch die USA regiert, sind bald vorbei. Damit werden sich die Amerikaner, wenn sie morgen Früh aus ihrem Fiebertraum erwachen, erst einmal abfinden müssen.