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Rebellion gegen einen Superbahnhof

Grossdemonstrationen gegen Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofs weiten sich aus. Stararchitekt distanziert sich von «Stuttgart 21»: Zu gefährlich, zu teuer. Studie warnt vor geologischen Risiken, die ganze Häuserzeilen und ihre Bewohner gefährden könnten.

Berlin. Immer mehr Menschen protestieren in Stuttgart gegen den Abriss des historischen Hauptbahnhofs und dessen Umwandlung in einen achtgleisigen unterirdischen Durchgangsbahnhof. Auch der Stararchitekt Frei Otto warnt vor unkalkulierbaren Gefahren und einem Projekt, das Milliarden Euro verbrennen werde. Eine von der Deutschen Bahn in Auftrag gegebene Studie bestätigt das.

Geologisch ungeeigneter Grund

«Aus moralischer Verantwortung heraus kann ich nicht anders handeln», sagte letzte Woche in einem «Stern»-Interview einer der Väter des grössten Bahnprojekts in der Geschichte der Bundesrepublik: Der Eisenbahnknotenpunkt Stuttgart soll neu organisiert werden, umgewandelt von einem 17gleisigen oberirdischen Kopfbahnhof in einen achtgleisigen unterirdischen Durchgangsbahnhof.

Ursprünglich rechneten die Städteplaner mit Kosten von etwa 2,5 Milliarden Euro, aber mittlerweile geht man von sieben Milliarden aus, und die Gegner des Projekts prophezeien ein Milliarden-Euro-Grab. Stararchitekt Frei Otto warnt seit einem Jahr vor unkalkulierbaren Risiken seines ursprünglich eigenen Plans. Dabei stützt er sich auf neuere Erkenntnisse über eine Stuttgarter Erde, in der sich nicht einfach buddeln lässt.

Weil diese Erde voller Wasser ist, aber auch voller Gipsschichten mit vielen Mineralien, die aufquellen können, befürchtet der Architekt eine Überschwemmung des neuen Bahnhofs.

«Löchrig wie ein Käse»

Zu einem ähnlichen, wenn auch nüchternen Befund kommt die Zürcher Firma SMA, die von der Deutschen Bahn beauftragt wurde, eine Studie zum Projekt «Stuttgart 21» zu machen – so geschehen. Nur hielt die Deutsche Bahn deren Ergebnisse bislang fast geheim.

Lediglich ein kleiner Personenkreis war darüber informiert, dass das renommierte Ingenieurbüro Smoltczyk & Partner den Stuttgarter Untergrund für löchrig wie ein Käse hält, voller Dolinen und Hohlräume – was die Bauarbeiten auf diesem Grund «enorm schwierig» mache. Die geologischen Verhältnisse seien so, dass niemand sagen könne, wie lange die Bauarbeiten am Stuttgarter Hauptbahnhof-Projekt dauern werden. Entsprechend unkalkulierbar seien die Kosten.

«Mit dem Wissen von heute» – so Architekt Frei Otto – «kann ich dieses Projekt nicht mehr verantworten.»

Der Tübinger Geologe Jakob Sierich auch nicht. Er hat das Gutachten analysiert mit dem Fazit: «Bei <Stuttgart 21» geht es nicht um mögliche Risse in Häusern, es geht um mögliche Krater, in denen Häuser verschwinden können. Es geht um Menschenleben.»

Katalog der Vorteile

Jenen Tausenden von Menschen, die seit Wochen gegen den neuen unterirdischen Hauptbahnhof protestieren, geht es überdies um die Tatsache, dass der historische alte Bahnhof (1922 eröffnet) teilweise abgerissen werden soll, und überdies die Umwelt durch das ambitionierte Bahnprojekt arg in Mitleidenschaft geraten würde: So sollen etwa im Schlossgarten alte Bäume gefällt werden, die weichen müssen, sollen sich die Verheissungen der Umbau-Befürworter erfüllen: Mit der

Verlegung der Gleise unter die Erde, so die Städteplaner, könnten 11 000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden und ebenso viele neue Wohnungen. Fahrzeiten nach München oder zum Flughafen würden verkürzt, und insgesamt eröffne der geplante neue Hauptbahnhof neben der Neubaustrecke Wendlingen–Ulm auch andere verkehrspolitisch wichtige Optionen.

Das erwähnte Zürcher Ingenieurbüro, das laut «Spiegel Online» eines der wenigen Ingenieurbüros weltweit ist, das die komplexen Strukturen eines Fahrbetriebs überhaupt genau berechnen kann, kommt zu gegenteiligen Schlüssen. Mit «Stuttgart 21» würden «Infrastruktur-Engpässe» entstehen. Die neue Strecke Hauptbahnhof–Flughafen sei «nicht kompatibel mit den angenommenen Fernverkehrszügen in Stuttgart». Logische Folge sei, dass es zu Fahrzeitverlängerungen kommen würde und eine Fahrplangestaltung «nur in geringem Masse möglich» sei.

Vernichtende Befunde einer 60seitigen Studie, die erst letzte Woche einer breiteren Öffentlichkeit bekanntgemacht wurde.

«Ziviler Ungehorsam»

Die überwiegende Mehrheit der Stuttgarter will den neuen Hauptbahnhof nicht. Polizeisprecher Olaf Petersen kommentiert den Widerstand in der «Bild»-Zeitung so: «Die Proteste haben ihren friedlichen Charakter verloren und die Grenzen des zivilen Ungehorsams überschritten.» Gemeint sind Sitzblockaden und Barrikaden, errichtet von Hunderten Gegnern des neuen Bahnhofs.

Im Schwabenland proben die Bürgerinnen und Bürger den Aufstand, und noch scheint der Zenit des Widerstands nicht erreicht.