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Drohnen über Polen

Alarmstufe Rot: Aktiviert Polen den Nato-Bündnisfall? Was wir wissen

Russische Drohnen über Polen schrecken nicht nur das osteuropäische Land auf. Die Nato berät das weitere Vorgehen. Was wir wissen.

Was ist passiert?

In der Nacht auf Mittwoch waren während eines massiven russischen Angriffs auf die Ukraine mehrere Drohnen in den polnischen Luftraum eingedrungen. Nach Angaben von Tusk handelte es sich um russische Drohnen. Insgesamt seien mindestens 19 Verletzungen des polnischen Luftraums in der Zeit zwischen 23.30 Uhr und 6.30 Uhr festgestellt worden. Viele der unbemannten Flugobjekte seien direkt aus dem Nachbarland Belarus gekommen. Belarus ist ein enger Verbündeter Russlands im Ukraine-Krieg.

Nach Angaben des Innenministeriums sind bisher sieben Drohnen oder Trümmerteile von Drohnen gefunden worden. Fünf Drohnen seien in der ostpolnischen Wojwodschaft Lublin gefunden worden, sagte eine Sprecherin. Eine Drohne sei über der Wojwodschaft Lodz in Zentralpolen abgestürzt, eine weitere über der nordöstlichen Wojwodschaft Masuren-Ermland. Außerdem seien Trümmer eines Geschosses unbekannter Herkunft gefunden worden.

Armeekräfte inspizieren den Absturtzort abgeschossener Drohnen in Wyryki, Ostpolen.
Bild: WOJTEK JARGILO

Gibt es Schäden?

Bisher gibt es keine Berichte über Verletzte. Im ostpolnischen Dorf Wyriki wurde das Dach eines Wohnhauses von Trümmern einer abgeschossenen Drohne getroffen. Weitere Trümmerteile wurden in der Nähe des ostpolnischen Biala Podlaska gefunden. Polizei und Militär sind weiterhin auf der Suche nach Drohnen oder Drohnenteilen. Der Generalstab rief die Bevölkerung auf, sich gefundenen Trümmerteilen nicht zu nähern, sondern den Notruf zu wählen und die Polizei über den Fund zu informieren.

Polnische Feuerwehrleute bei einer abgeschossenen Drohne in Czosnówka. Sie sichern die Wrackteile.
Bild: Piotr Pyrkosz

Wie hat Polen reagiert?

Nach dem Eindringen von mehreren Drohnen in den polnischen Luftraum hat die Regierung in Warschau Konsultationen nach Artikel 4 des Nato-Vertrags mit den Verbündeten beantragt. Das sagte Regierungschef Donald Tusk im Parlament in Warschau. «Wir erwarten deutlich mehr Unterstützung bei der Verteidigung des polnischen Luftraums», betonte Tusk. Diese Provokation überschreite die bisherigen Grenzen.

Der Artikel 4 des Nato-Vertrags sieht Beratungen vor, wenn sich ein Nato-Staat von außen gefährdet sieht. Konkret heißt es darin: «Die Parteien werden einander konsultieren, wenn nach Auffassung einer von ihnen die Unversehrtheit des Gebiets, die politische Unabhängigkeit oder die Sicherheit einer der Parteien bedroht ist.» Konkrete Konsequenzen müssen die Konsultation der Artikel-4-Beratungen nicht haben. Theoretisch könnte aber etwa in Folge die Luftraumüberwachung über die Nato verstärkt werden.

Polens Premier Donald Tusk an einer Sitzung der Regierung zu den Drohnen über Polen.
Bild: KEYSTONE

Der Artikel wurde seit Gründung des Bündnisses 1949 sieben Mal in Anspruch genommen - zuletzt am 24. Februar 2022, dem Tag des russischen Überfalls auf die Ukraine. Beantragt wurde das damals von Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien, Tschechien und der Slowakei.

Wird Polen den Nato-Bündnisfall aktivieren?

Dass Polen nach dem Vorfall um militärische Unterstützung der Allianz nach Artikel 5 bittet, galt als sehr unwahrscheinlich - auch weil dies ein erhebliches Eskalationsrisiko bergen würden. Artikel 5 des Nato-Vertrags regelt die Beistandsverpflichtung in der Allianz und besagt, dass ein bewaffneter Angriff gegen einen oder mehrere Alliierte als ein Angriff gegen alle angesehen wird.

Der polnische Präsident Karol Nawrocki (Mitte), der Chef des nationalen Sicherheitsbüros Slawomir Cenckiewicz (links) und Generalmajor Adam Rzeczkowski vom nationalen Sicherheitsbüro (rechts) anlässlich einer Medienkonferenz am Mittwoch.
Bild: LESZEK SZYMANSKI

Was will Russland mit dieser Aktion erreichen?

Der Vorfall ereignet sich in einer Zeit weiter zunehmender Spannungen, erklärt Osteuropa-Kenner Marcel Hirsiger gegenüber diesem Portal. So habe Russland in den vergangenen Tagen mehrfach Finnland beschuldigt, Angriffe zu planen, was natürlich kompletter Unsinn sei. Und am Donnerstag beginnt offiziell eine grossangelegte russisch-weissrussische Militärübung unter dem Namen «Zapad 2025» («Westen 2025»). Schliesslich sei Europa durch zahlreiche innenpolitische Krisen in seiner Handlungsfähigkeit eingeschränkt, aktuell insbesondere in Frankreich.

Von den abgeschossenen Drohnen ging gemäss Hirsiger wohl kaum eine direkte Gefahr aus; es sei nicht anzunehmen, dass Russland gezielt Infrastruktur angreifen wollte. Vielmehr bestehe die Absicht darin, die Reaktionsfähigkeit Polens wie auch der Nato zu testen. Russland gehe davon aus, dass der Westen nicht zu einer angemessenen Antwort fähig sei. Genau dies gelte es nun zu zeigen.

Wie reagiert die Nato?

Nato-Generalsekretär Mark Rutte hat sich an einer Medienkonferenz zum Abschuss der russischen Drohnen in Polen geäussert. «Unsere Luftverteidigung wurde aktiviert und hat erfolgreich die Verteidigung von Nato-Territorium sichergestellt», sagte der Niederländer. Laut Rutte waren neben polnischen und niederländischen Kampfjets auch italienische Awacs-Flugzeuge und deutsche Patriot-Flugabwehrraketensysteme an der Verteidigung des Nato-Luftraums beteiligt. «Wir werden jeden Zoll Nato-Territorium verteidigen», sagte Rutte.

Wie rechtfertigt sich Russland?

Ein russischer Diplomat hat den Vorwurf einer Luftraumverletzung Polens durch Drohnen seines Landes zurückgewiesen. «Wir halten die Vorwürfe für haltlos. Es wurden keine Beweise vorgelegt, dass diese Drohnen russischen Ursprungs sind», sagte Andrej Ordasch, der Geschäftsträger der Botschaft Russlands in Warschau, der staatlichen Nachrichtenagentur Ria Nowosti zufolge. Er verwies darauf, dass ein ähnlicher Vorwurf in der Vergangenheit sich am Ende als falsch herausgestellt habe.

Russland sei absolut nicht an einer Eskalation der Beziehungen zu Polen interessiert, sagte der Diplomat. Leider werde dies aufgrund der «russenfeindlichen Stimmung» von der polnischen Regierung ignoriert, fügte er hinzu.

Der Vorfall, auf den sich Ordasch mit seiner Aussage über einen früher fälschlich erhobenen Vorwurf bezieht, liegt knapp drei Jahre zurück. Ende 2022 kamen in Polen nahe der Grenze zur Ukraine zwei Menschen durch den Einschlag einer Rakete ums Leben. Russland hatte zu der Zeit einen grossen Luftangriff auf den Westen der Ukraine gestartet. Soweit bisher bekannt, war das in Polen abgestürzte Flugobjekt damals eine verirrte ukrainische Flugabwehrrakete. (dpa/fan/fho)

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