Die Evakuierung musste schnell gehen. «Wir konnten nicht einmal mehr unsere Sachen zusammenpacken», sagte ein Schüler der Zeitung «La Regione». Die Gemeindepolizei von Bellinzona rückte mit Unterstützung der Tessiner Kantonspolizei zur kantonalen Handelsschule in Bellinzona aus. Weshalb kam es zum Grosseinsatz?
Kurz nach elf Uhr alarmierte die Schulleitung die Polizei, eine Lehrerin werde von einem Schüler bedroht, möglicherweise trage er eine Waffe auf sich. Die ausgerückten Polizisten beorderten alle Schülerinnen und Schüler und Lehrpersonen in und vor eine Turnhalle. Um 11.30 Uhr war der Spuk vorbei. Verletzte gab es keine, wie die Polizei am frühen Nachmittag mitteilte.
Am späteren Nachmittag ergänzte die Polizei ihre Angaben. Sie nahm einen 15- und einen 16-jährigen Schüler fest. Beide sind Schweizer und wohnen im Raum Bellinzona. Der jüngere habe die Lehrerin bedroht mit einer unter der Hose verstecktem Waffe, der ältere habe sie in ein Versteck ausserhalb des Gebäudes geführt, so die Polizei. Die Jugendanwaltschaft ermittelt gegen den 15-Jährigen wegen Drohung und Verstosses gegen das Waffengesetz, gegen den 16-Jährigen ebenfalls wegen Waffendelikten. Die Polizei stellte eine Pistole sicher; sie war nicht schussbereit.
Weitere Details gab die Tessiner Kantonspolizei keine bekannt. Gemäss diversen Medienberichten herrschte keine Panik, aber einige Jugendliche waren verängstigt und verunsichert. Zum Motiv des Drohers machte die Polizei keine Angaben. Gegenüber dem «Corriere del Ticino» berichtete der Vater einer Schülerin, ein involvierter Jugendlicher müsse ein Schuljahr wiederholen, was er schlecht verdaut habe.
Die Geschichte weckt Erinnerungen an einen Vorfall, den die gleiche Schule im Mai 2018 erschütterte. Ein damals 19-jähriger Schweizer Schüler plante ein Massaker an Schülern und Lehrpersonen. Er hortete zu Hause haufenweise Munition und Waffen, darunter eine Kalaschnikow. Schülerinnen und Lehrer stellten auf Social Media auffälliges Verhalten fest, alarmierten die Polizei und bewahrten die Handelsschule so womöglich vor einem Blutbad. Der verhinderte Attentäter wurde zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt. Er sitzt die Strafe nicht in einem normalen Gefängnis ab, sondern muss sich einer psychiatrischen Behandlung unterziehen.
15 Prozent der Lehrpersonen von physischer Gewalt betroffen
Von Amokläufen an Schulen blieb die Schweiz bis jetzt verschont. Unter Gewalt leiden Lehrpersonen indes auch hierzulande. Im Januar 2023 präsentierte der Verband der Schweizer Lehrerinnen und Lehrer die Resultate einer repräsentativen Umfrage. Demnach wurden in den letzten fünf Jahren 15 Prozent aller Lehrpersonen physisch angegriffen. Ein Prozent aller Lehrpersonen musste sich danach in Spitalpflege begeben. Mit einer Waffe wurden weniger als ein Prozent bedroht.