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Klimawandel

Patentlösung oder Schnellschuss? Wie der Ständerat Klima- und Energiekrise zugleich anpacken will

Der Ständerat sollte über den indirekten Gegenvorschlag zur Gletscher-Initiative beraten. Das grosse Thema war dann aber die Solaroffensive, die der Ständerat möglichst schnell durchpauken will – mit zweifelhaften Methoden, wie manche finden.

Der Ständerat hat am Donnerstagmorgen über den indirekten Gegenvorschlag zur Gletscher-Initiative entschieden.
Bild: Keystone

Eigentlich geht es in der Gletscher-Initiative um Klimaschutz und CO2-Reduktionsziele. Doch der Ständerat hat in den indirekten Gegenschlag auch noch die Energiekrise hineingepackt. In der Debatte am Donnerstagmorgen wurde folglich ein ambitioniertes, womöglich gar vermessenes Ziel verfolgt: Mit einem massiven Solarausbau soll sowohl die Energiekrise entschärft als auch die Abhängigkeit von fossilen Energien reduziert werden. Das klingt eigentlich zu gut, um wahr zu sein. Doch von Anfang an.

Bis 2050 soll die Schweiz klimaneutral werden. Das Parlament will das Netto-Null-Ziel in Gesetz schreiben – so sieht es der indirekte Gegenvorschlag zur Gletscher-Initiative vor. Falls dieser durchkommt, werden die Initiantinnen und Initianten der Gletscher-Initiative ihr Anliegen zurückziehen. Doch nur unter einer Bedingung: Das Parlament darf den Gesetzesentwurf, wie ihn der Nationalrat in der Sommersession verabschiedet hat, nicht entschärfen.

Ständerat spricht 2 Milliarden Franken für Gebäudesanierungen

Der Nationalrat will zwei Milliarden Franken investieren, um klimaschädliche Heizungen auszutauschen. Während die vorberatende Kommission des Ständerats diese Summe halbieren wollte, folgte der Ständerat nun der grossen Kammer. Der Entscheid fiel mit 23 zu 21 Stimmen knapp aus. Geht es nach dem Ständerat, soll das Geld jedoch nicht nur in Heizungen, sondern generell in Gebäudesanierungen fliessen, um die Energieeffizienz zu verbessern.

Energie-Turbos wollen diverse Begehrlichkeiten in die Vorlage packen

Noch mehr zu reden gab ein anderes Thema. Kurzerhand hat der Ständerat beschlossen, die Vorlage zu nutzen, um die viel diskutierte Solaroffensive so schnell wie möglich voranzutreiben. Vorgesehen ist eine Solarpflicht auf Neubauten. Ausnahmen können die Kantone unter bestimmten Bedingungen gewähren. Auch Gebäude und Infrastrukturen des Bundes sollen optimal für die Solarstromproduktion genutzt werden.

Daneben geht es um Riesenprojekte in den Alpen, für die Umweltschutzbestimmungen gelockert werden müssen. Bei Umwelt- und Landschaftsschützern stösst der Vorschlag deshalb auf grossen Widerstand. Denn die grossflächigen Solaranlagen dürften gemäss ständerätlichem Vorschlag ohne vorgängige Umweltverträglichkeitsprüfungen gebaut werden.

Dafür braucht es eine Änderung des Energiegesetzes. Auf Antrag von Beat Rieder (Mitte/VS) soll dieser Teil aber nach der Beratung vom Gegenvorschlag zur Gletscher-Initiative abgekoppelt und als dringlich erklärt werden. Die ständerätlichen Energieturbos wollen ihre wichtigsten Begehrlichkeiten in der Vorlage zusammenpacken, um sie möglichst schnell durch die Räte zu schleusen, wie Rieder selbst in der Debatte zugab.

Beat Rieder (Mitte/VS) will Hindernisse für alpine Solaranlagen möglichst schnell aus dem Weg räumen.
Bild: Keystone

Der Vorschlag sei ein Türöffner für zusätzliche Stromproduktion. «Bei entsprechenden Projekten sind wir seit Jahren stehengeblieben», betonte Rieder. Er rechnet mit zwei Terrawattstunden Solarstrom – genau so viel, wie zum Schliessen der Stromlücke im Winter nötig ist. Für Rieder eine Chance auf dem Silbertablett: «Wir möchten bis Ende September ein dringliches Bundesgesetz, das uns erlaubt, zwei Terrawattstunden Strom kurzfristig zu realisieren.»

Die kleine Kammer nahm einen Antrag von Benedikt Würth (Mitte/SG) deutlich an, wonach bereits Anlagen ab einer Leistung von 10 und nicht erst 20 Gigawattstunden gefördert werden. Diese müssen mindestens 45 Prozent des Stroms im Winter liefern.

Auch Bundesrätin Simonetta Sommaruga begrüsste den beschleunigten Ansatz. Dabei ist sie auch zu gewissen Zugeständnissen bereit:

«Es geht darum, die Versorgungssicherheit für den nächsten Winter zu sichern – nicht um Projekte, die einen klimapolitischen Schönheitspreis gewinnen.»

Es soll also schnell gehen, sehr schnell. Das ist im Ständerat nicht allen geheuer. Warnende Stimmen erhoben sich aus entgegengesetzten politischen Lagern. Roberto Zanetti (SP/SO) rief dazu auf, die Vorlage nicht zu überladen: «Wenn wir mit diesen Leuchtturmprojekten übertreiben, riskieren wir einen Rohrkrepierer.»

Auch Othmar Reichmuth (Mitte/SZ) äusserte Unverständnis über die Verknüpfung der Solaroffensive mit der Gletscher-Initiative. Genau das sei in einer Woche im Rahmen des Gesetzes über eine sichere Stromversorgung zu beraten. Reichmuth warnte vor unabsehbaren Folgen: «Wenn wir das nun auseinandernehmen, übersteuern wir auch kantonale Gesetzgebungen.»

Auch die SVP stellte die thematische Vermischung in Frage. Jakob Stark (SVP/TG) sprach von verschiedenen «Doppelspurigkeiten». Das erwecke den Eindruck einer Salamitaktik, kritisierte Stark:

«Wenn wir alles gleichzeitig machen wollen, werden wir nichts rechtzeitig tun.»

Trotz der Bedenken überwog am Ende die Dringlichkeit der Energiekrise. Ohne Gegenstimme sagte der Ständerat am Schluss Ja zum Antrag Rieder, die Solaroffensive abzukoppeln. Ob das Gesetz als dringlich erklärt wird, wird sich erst nach der Beratung durch den Nationalrat zeigen.

Schon nächste Woche geht die Beratung im Nationalrat weiter

Gemäss Berechnungen des Bundes würde der Gegenvorschlag zur Gletscher-Initiative, wie vom Nationalrat vorgeschlagen, jährlich rund 400 Millionen Franken kosten. Mit der Reduktion des Betrags für Gebäudesanierungen, die der Ständerat beschlossen hat, wären es noch rund 300 Millionen Franken pro Jahr.

Der indirekte Gegenvorschlag zur Gletscher-Initiative geht nun zurück in den Nationalrat. Das Geschäft steht schon nächste Woche auf dem Programm.