Wer kann den Niedergang des Freisinns stoppen? Das ist die entscheidende Frage, welche die FDP-Spitzen zu beantworten haben, wenn morgen Dienstag die beiden Anwärter für das Parteipräsidium erstmals angehört werden. Heute wird die Genfer Alt-Nationalrätin Martine Brunschwig Graf, Präsidentin der Findungskommission, die Namen in einem Communiqué enthüllen. Recherchen der az zeigen: Es handelt sich um den Aargauer Nationalrat Philipp Müller und den Glarner Ständerat Pankraz Freitag.
Nicht mehr im Vordergrund steht der Zürcher Nationalrat Ruedi Noser. Er gilt vielen als «zu verbandelt» mit dem Finanzplatz. Und auch der Schwyzer Kantonalpräsident Vincenzo Pedrazzini ist aus dem Rennen. Er wäre als kantonaler Politiker so oder so nur eine Notlösung gewesen, wenn auf nationaler Ebene sämtliche Stricke reissen würden.
Der Atomlobbyist
Müllers Name figuriert schon lange auf der Liste der Papabili. Erst seit kurzem aber ist dort jener des 59-jährigen Mathematikers Pankraz Freitag zu finden. Freitag ist gemäss «NZZ am Sonntag» der Wunschkandidat von Wirtschaft und Atomlobby. Der Glarner ist ehemaliger Verwaltungsrat der Axpo und ein klarer Befürworter der Atomenergie.
Offen zitieren lässt sich zum Beispiel Peter Gomez, Präsident der Gönnervereinigung «Freunde der FDP»: «Freitag wäre für uns ein sehr valabler Kandidat.» Er sei ausgeglichen, kompetent und erfahren. Vermutlich ist auch der Zuger Wirtschaftsanwalt Rolf Schweiger eine treibende Kraft hinter der Kandidatur Freitag. Schweiger ist in Bern Freitags Banknachbar, und er hat im Herbst dessen Ständeratswahlkampf unterstützt.
Gut überlegen
Für Freitag wirbt auch Nationalrat Peter Malama: «Freitag ist mein Favorit. Er geniesst in der FDP breite Unterstützung», sagte der Basler Gewerbedirektor der «SonntagsZeitung». Freitag, für die az gestern nicht erreichbar, bestätigte gegenüber der Sonntagspresse, er sei «von verschiedenen Seiten» angegangen worden. Er wolle sich die Sache nun sehr gut überlegen. Für einen Ständerat sei das Parteipräsidium nicht ideal, weil man kantonale Interessen zu vertreten habe.
Eine Überlegung, die Karin Keller-Sutter, St.Galler Ständerätin und einst Wunschkandidatin vieler Freisinnigen fürs Parteipräsidium, bestens nachvollziehen kann. Sie will aus diesem Grund weder fürs Präsidium noch fürs Vizepräsidium kandidieren. «In St.Gallen war das ein Wahlkampfthema», sagt Keller-Sutter auf Anfrage. Gut möglich aber, dass sich die Situation in Glarus anders präsentiere.
Heisssporn gegen Bergler
Freitags Glarner Ständeratskollege This Jenny (SVP) würde sich über einen FDP-Präsidenten aus seinem Kanton jedenfalls «sehr freuen». Für Jenny ist Freitag aber nicht unbedingt ein Mann der Wirtschaft. «Im Gegensatz zu Philipp Müller ist Freitag kein Unternehmer, sondern Akademiker.» Aus seiner Sicht sei das FDP-Präsidium angesichts des Wählerschwunds aber so oder so ein «Himmelfahrtskommando».
Politisch dürfte also die Atomfrage im Zentrum stehen. Atomlobbyist Freitag hier gegen Atomskeptiker Müller da. Zentraler ist aber das Verkaufsargument: Wer ist besser in der Lage, die Menschen in diesem Land wieder für den Freisinn zu begeistern? Ist es der kühle Analytiker aus den Bergen, der magistral auftritt, nie die Contenance verliert und von seinem Werdegang her den klassischen Bildungsfreisinn verkörpert? Oder ist es der gelernte Gipser aus dem Mittelland, der sich zum erfolgreichen Generalunternehmer hochgearbeitet hat und in der Öffentlichkeit als temperamentvoller, gewiefter und kantiger Politiker wahrgenommen wird? Wichtig ist auch, wie die zwei Deutschschweizer in der Romandie ankommen. Dort hatte Müller wegen seiner harten Ausländerpolitik bisher ein Imageproblem. Dem Vernehmen nach will nun aber Alt-Bundesrat Pascal Couchepin die Romands von Müller überzeugen. Die Wahl findet am 21. April statt.