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Deutschland

Olaf Scholz’ Überraschungscoup: Warum Boris Pistorius als Verteidigungsminister ein guter Griff sein könnte

Der deutsche Kanzler benennt einen Regionalpolitiker, dessen Name keiner auf der Rechnung hatte. Die Grünen stören sich daran, dass Scholz keine Frau nominiert hat; andere werfen Pistorius vor, sich in der Vergangenheit russlandfreundlich geäussert zu haben. 
Der Sozialdemokrat Boris Pistorius soll laut Medienberichten neuer deutscher Verteidigungsminister werden. 
Bild: Bild: Julian Stratenschulte / dpa

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz gilt als eigenwilliger Regierungschef, der sich nur ungern dreinreden lässt. Diesem Ruf hat er am Dienstag Ehre gemacht, als er verkündete, dass Boris Pistorius neuer deutscher Verteidigungsminister werden soll. Seit Freitagabend, als der Abgang der bisherigen Amtsinhaberin Christine Lambrecht bekannt geworden war, hatten die Medien über mögliche Nachfolger spekuliert . Pistorius’ Name hatte niemand auf der Rechnung.

Das hat auch damit zu tun, dass der Sozialdemokrat bis jetzt vor allem auf regionaler Ebene aktiv war: Seit 2013 ist er Innenminister des Bundeslandes Niedersachsen. Eine gewisse deutschlandweite Prominenz erlangte der verwitwete Vater zweier Töchter dadurch, dass er von 2016 bis 2022 mit Doris Schröder-Köpf liiert war, der Ex-Frau des früheren Kanzlers Gerhard Schröder.

Christine Lambrecht hat am Montag ihren Rücktritt als Verteidigungsministerin Deutschlands bekannt gegeben.
Bild: Bild: Filip Singer / EPA

Bundespolitische Ambitionen zeigte Pistorius immer wieder einmal. Dabei verschaffte ihm sein robustes Vorgehen gegen Islamisten ebenso Aufmerksamkeit wie seine letztlich erfolglose Kandidatur für das Amt des SPD-Chefs, bei der er 2019 unter anderem gegen Olaf Scholz antrat.

In der Tradition Helmut Schmidts

Als Militärpolitiker fiel Pistorius bisher nicht auf. Ein Makel muss dies nicht sein, passt er sonst doch gut ins Anforderungsprofil: Innerhalb der SPD gilt er eher als Konservativer, womit er in einer Traditionslinie populärer sozialdemokratischer Verteidigungsminister wie Helmut Schmidt oder Peter Struck steht. Zudem werden ihm Führungserfahrung und eine rasche Auffassungsgabe bescheinigt.

Für Pistorius spricht auch seine relativ lange Erfahrung als Regierungspolitiker. Dass sich der Jurist mit 62 Jahren dem Rentenalter nähert, könnte eher ein Vorteil sein: Das Amt des deutschen Verteidigungsministers gilt als äusserst undankbar; es mit einem Politiker zu besetzen, der relativ wenig zu verlieren hat, könnte vor diesem Hintergrund ein kluger Schachzug Scholz’ sein.

Dass Deutschland mit Pistorius wieder einen Verteidigungsminister bekommt, der selbst Wehrdienst geleistet hat, dürfte demgegenüber keine grosse Rolle gespielt haben, auch wenn konservative Deutsche dies eher mit Wohlgefallen betrachten dürften.

Bald wird er sich mit der Panzerfrage beschäftigen müssen

Die Grünen, die Scholz’ Koalition angehören, kritisierten, mit Pistorius’ Ernennung bestehe in der Regierung keine Geschlechterparität mehr. Ein Kabinett, in dem genauso viele Frauen wie Männer sässen, sei wichtig, sagte die grüne Fraktionschefin Katharina Dröge. Politiker der oppositionellen Union bemängelten, Pistorius sei als Minister zweite Wahl.

Deutsche Medien monierten, 2018 habe sich Pistorius noch für eine Aufhebung der westlichen Sanktionen gegen Russland ausgesprochen. Diese schadeten der Bundesrepublik und nützten Putin, hatte er damals erklärt. Im Bundesrat, der deutschen Länderkammer, war der SPD-Politiker zeitweise Mitglied einer deutsch-russischen Freundschaftsgruppe. Zum Kern des russlandfreundlichen Hannoveraner Netzwerks um Schröder soll Pistorius aber nie gehört haben.

Der neue Minister steht vor einem Berg von Aufgaben. Deutschland hat sein Militär über Jahrzehnte vernachlässigt; seit dem russischen Einmarsch in der Ukraine soll es mit Milliardeninvestitionen ertüchtigt werden, die nach Ansicht von Kritikern allerdings längst nicht hoch genug sind.

Am Freitag steht für Pistorius bereits eine erste Bewährungsprobe an: Dann findet ein Treffen im sogenannten Ramstein-Format statt, bei dem er mit ausländischen Amtskollegen über mögliche Panzerlieferungen an die Ukraine reden wird. Dabei steht Deutschland zunehmend unter Druck, weil es Kiew nach wie vor keine Leopard-2-Kampfpanzer überlassen will .