Die Chancen für die "Lex USA" schwinden. Der Nationalrat hat am Dienstag mit 126 zu 67 Stimmen bei 2 Enthaltungen beschlossen, nicht auf die Vorlage einzutreten. Das Gesetz zur Beilegung des Steuerstreits mit den USA ist damit praktisch gescheitert.
Die Vorlage geht nun zurück an den Ständerat, der sie vergangene Woche gutgeheissen hatte. Bleibt die kleine Kammer bei ihrem Entscheid, ist wieder der Nationalrat am Zug. Tritt er ein zweites Mal nicht ein, ist das Gesetz definitiv gescheitert.
Im Nationalrat blieben die SP, die FDP und die SVP bei ihrem angekündigten Nein. Abweichler gab es nur wenige. Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf warnte vergeblich vor den möglichen Folgen eines Neins für die Volkswirtschaft, sollten mehrere Banken in den USA angeklagt werden.
"Unüberblickbare Situation"
Ohne Gesetz bestehe eine "echte Gefahr", dass es zu einer Eskalation komme, sagte die Finanzministerin. Die Banken könnten die Anforderungen des US-Programms nicht vollumfänglich erfüllen. So wäre eine Herausgabe von Personendaten nur mit Einwilligung der Betroffenen oder bei überwiegendem öffentlichen Interesse möglich. Dieser Meinung seien sämtliche Rechtsexperten.
Im Falle einer Ablehnung wäre die Situation "unüberblickbar", sagte Widmer-Schlumpf. Es sei möglich, dass die Schweiz sich dann mit der Auflösung von Banken befassen müsse. Bei einem Nein werde der Bundesrat selbstverständlich im Rahmen des geltenden Rechts tätig werden. Darüber hinaus gehen werde er aber nicht. "Kommen Sie dann nicht in zwei Monaten und sagen, jetzt solle der Staat handeln", sagte sie. "Der Staat kann nicht und will auch nicht."
Angst vor Präjudiz
Im Rat überwog jedoch die Skepsis. Die Gegnerinnen und Gegner des Gesetzes befürchten, dass andere Länder bei einem Ja Ähnliches fordern könnten. Und sie sehen rechtsstaatliche Prinzipien verletzt.
Ferner kritisieren sie, dass der Inhalt des US-Programms für die Schweizer Banken nicht bekannt ist. Der Bundesrat hatte zwar die Eckwerte bekannt gegeben. Vieles blieb aber - wie von den USA verlangt - geheim. So ist unbekannt, wie hoch die Bussen sind, die den einzelnen Banken drohen.
Mitarbeiterdaten und Abschleicherlisten
Das Gesetz würde es den Banken ermöglichen, mit den US-Behörden zu kooperieren, ohne sich in der Schweiz strafbar zu machen. Während eines Jahres wäre der Datenschutz gegenüber den USA eingeschränkt.
Insbesondere dürften die Banken Informationen zu Geschäftsbeziehungen mit US-Kunden liefern, darunter auch die Namen von Bankangestellten, Treuhändern und Anwälten. Weiter erhielten die US-Behörden Abschleicherlisten mit dem Namen jener Banken, die abgewanderte US-Kunden aufnahmen.
Bussen je nach Vergehen
Im Gegenzug könnten die Banken an einem Programm der US-Behörden teilnehmen, um einer Strafverfolgung in den USA zu entgehen. Dieses würde Bussen in unterschiedlicher Höhe beinhalten, abhängig vom Umfang des Geschäfts mit unversteuerten Geldern.
Der Ständerat hatte das Gesetz in einigen Punkten ergänzt. So verankerte er explizit einen verstärkten Schutz für Vermögensverwalter, Treuhänder und Anwälte. Diese sollen gegen eine Auslieferung ihrer Daten an die USA Klage erheben können.
Hier der Liveticker:
11:09 Uhr: Der Nationalrat tritt nicht auf die "Lex USA" ein. 126 Nationalräte stimmen gegen Eintreten, 67 dafür, 2 enthalten sich. Das Geschäft geht nun zurück an den Ständerat.
11:08 Uhr: Jetzt wird abgestimmt.
11.03 Uhr: Vor der Abstimmung erläutern Nationalrat Ruedi Noser (FDP/ZH) und Nationalrätin Ada Marra (SP/VD) noch einmal, warum die Mehrheit der vorberatenden Kommission nicht auf die "Lex USA" eintreten will.
10.51 Uhr: Widmer-Schlumpf sagt, ihr wäre es auch lieber gewesen, wenn der Bundesrat den Steuerdeal in eigener Regie hätte durchwinken können. Aber das sei rechtlich nicht möglich gewesen.
10.42 Uhr: "Der Bundesrat hat seine politische Verantwortung wahrgenommen", sagt die Finanzministerin. Das weitere Vorgehen im Fall eines Neins umreisst sie grob: "Bei einem Nichteintreten wird selbstverständlich der Bundesrat im Rahmen des Rechts tätig werden. Aber Sie können nicht erwarten, dass der Bundesrat über das geltende Recht hinausgeht."
10.33 Uhr: Widmer-Schlumpf: "Wenn wir zuwarten, besteht ein echtes Risiko, dass es zu einer Eskalation kommt."
10.30 Uhr: Sie betont: "Es ist ein ordentliches gesetzliches Verfahren. So seriös und so intensiv werden nicht alle Gesetzesvorlagen vorbereitet."
10.28 Uhr: Widmer-Schlumpf erklärt noch einmal die rechtlichen Rahmenbedingungen des Steuerdeals. Sie sagt, es brauche eine formelle gesetzliche Grundlage, um den Steuerstreit mit den USA zu lösen - darin seien sich alle Experten einig.
10.26 Uhr: "Wir haben jetzt die Möglichkeit, zu einem Rechtsfrieden zu kommen - ohne Notrecht und Rückwirkung", sagt Widmer-Schlumpf. Sie wisse nicht, wie man ein Problem rechtsstaatlich besser lösen könne.
10.21 Uhr: Widmer-Schlumpf dementiert, dass der Bundesrat - wie von SP und FDP gefordert - gestützt auf Artikel 271 des Strafgesetzbuches die Banken zur Kooperation mit den USA ermächtigen könne.
10.17 Uhr: Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf beginnt ihr Votum. Sie wiederholt ihre frühere Warnung: "Sämtliche Banken, die amerikanisches Recht verletzt werden, können angeklagt werden." Sie betont, das unilaterale Programm der USA sei ein Angebot der amerikanischen Justiz an die Schweizer Banken - "nicht an den Schweizer Staat".
10:10 Uhr: Der Zürcher Grünliberalen-Nationalrat Thomas Maier lobt die "Lex USA" als "faire Lösung". Zur Angst vor analogen Begehrlichkeiten aus der EU sagt er, Länder wie Italien und Frankreich hätten gegenüber der Schweiz weniger Druckmöglichkeiten als die Amerikaner. "Fakt ist, dass wir alle relevanten auf dem Tisch haben. Die exakten Bussenhöhen müssen wir nicht kennen", so Maier. Im Fall eines Neins komme es schlimmstenfalls zu Bankencrashs, dem Verlust von Zehntausenden Arbeitsplätzen und weniger Steuereinnahmen. Die Grünliberalen beantragen Eintreten.
10.00 Uhr: Ein Ja zur "Lex USA" wäre laut Blocher "ein ungeheures Präjudiz" für andere Staaten. "Wenn Deutschland, Frankreich und Italien das gleiche Gesetz wollen, sind die Banken gar nicht in der Lage, das zu bezahlen." Im Namen der SVP beantragt er, nicht auf den dringlichen Bundesbeschluss einzutreten. Die Probleme seien mit einem Nein zwar auch nicht gelöst, aber immerhin schaffe das Parlament damit kein Präjudiz.
09.55 Uhr: Christoph Blocher (SVP/ZH) tritt ans Rednerpult. "Was machen wir hier eigentlich?", fragt er ins Plenum. "Sie haben keine Argumente für dieses Gesetz - sie haben Angst!" Angst dürfe nicht die Triebfeder sein, dem Steuerdeal zuzustimmen.
09.46 Uhr: Meier-Schatz: "Es braucht eine generell-abstrakte Lösung, um einen Flächenbrand zu verhindern." Es liege alleine an den Banken sich zu entscheiden, ob sie sich am unilateralen Programm der USA beteiligen wollten. "Es stehen mehrere Institute, aber auch die Stabilität unseres Finanzsystems auf dem Spiel."
09.45 Uhr: Nationalrätin Lucrezia Meier-Schatz (SG) sagt, warum die CVP auf das Geschäft eintreten will.
09.41 Uhr: Zum Schluss seines Votums kommt Nationalrat Caroni auf seinen Tiervergleich zurück: Wenn es sich in allen Steuerwüsten herumspreche, dass man die Schweiz in die Knie zwinge, wenn man nur laut genug brülle, dann komme bald einmal "ein Rudel EU-Staaten". Er beantragt im Namen der FDP, nicht auf das Gesetz einzutreten.
09.38 Uhr: Caroni spricht von "einem enormen staatspolitischen Schaden", der im Fall einer Annahme der "Lex USA" den Institutionen der Schweiz drohe. Er habe von den Amerikanern mehr Verständnis für die demokratischen Abläufe der Schweiz erwartet.
09.35 Uhr: Der erste Freisinnige spricht: Nationalrat Andrea Caroni (FDP/AR) vergleicht die USA mit einem Löwen, der laut brülle. "Heute stellt sich die Frage, ob wir den Banken in die Höhle des Löwen folgen sollen." Auch er verweist auf Artikel 271 des Strafgesetzbuches, der es dem Bundesrat erlaube, die Banken zur Auslieferung von Daten zu ermächtigen.
09.28 Uhr: Leutenegger Oberholzer geisselt die "Lex USA" als "teuren Blindflug, um das längst eingeleitete Ende des Bankgeheimnisses zu verschleiern". Es sei klar, dass die USA auf der Auslieferung von Daten bestehen würden. Sie plädiert wie die Freisinnigen dafür, dass der Bundesrat die Banken in eigener Regie, gestützt auf Strafgesetzbuchartikel 271, ermächtigt, Daten auszuliefern. Die SP werde nicht auf das Gesetz eintreten.
09.23 Uhr: Eine der Wortführerinnen im Tauziehen um den Steuerdeal tritt ans Podium: Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer (SP/BL) sagt, es sei "rechtsstaatlich pervers", dass der Bundesrat Daten von Bankmitarbeitern ausliefern wolle.
09.22 Uhr: Der Neuenburger SP-Nationalrat Jacques-André Maire kritisiert, das Gesetz schütze Bankkunden besser als Bankmitarbeiter. Die Mehrheit der SP-Fraktion werde nicht für Eintreten stimmen, auch wenn dies einzelne Banken gefährden könne.
09.17 Uhr: Nationalratspräsidentin Maya Graf (Grüne/BL) ermahnt die Nationalräte, ihre Fragen auf die Voten ihrer Kollegen kurz zu halten und persönliche Ausführungen zu unterlassen.
09.12 Uhr: Jetzt spricht Grünen-Fraktionspräsident Antonio Hodgers (GE). Er sagt, man dürfe nicht risikieren, dass die Steuerzahler für die Verfehlungen der Banken geradestehen müssten. Fazit: Die Grünen wollen der "Lex USA" zustimmen, wenn die vom Ständerat eingebrachten Änderungen am Gesetz übernommen werden.
09.06 Uhr: Der Luzerner Nationalrat Louis Schelbert (Grüne) bezeichnet beide Lösungen - ein Ja oder ein Nein - als verantwortungsvoll. Dennoch stimmt die Fraktion dem Steuerdeal zu: "Das Gesetz garantiert einen ordentlichen Ablauf."
08.59 Uhr: BDP-Präsident Martin Landolt ergreift das Wort für den Steuerdeal - und kritisiert seine Ratskollegen scharf: "Sind wir nicht flexibel und agil genug, ein Gesetz im Dringlichkeitsverfahren zu beschliessen?" Für den Fall eines Neins warnt er vor einem "volkswirtschaftlichen Härtetest für das Land". Das Parlament schaffe zusätzliche Probleme, wenn es das Sondergesetz ablehne. "Sämtliche Alternativen sind schlechter. Sie werden die Verantwortung übernehmen müssen."
08.50 Uhr: SVP-Nationalrat Thomas Aeschi (ZG) hält das Minderheitsvotum gegen eine Motion, die ein schärferes Berufsverbot für straffällig gewordene Banker verlangt.
08.44 Uhr: CVP-Nationalrat Dominique de Buman (FR) vertritt die Minderheit, die auf das Geschäft eintreten will: "Das Parlament soll die Bedingungen schaffen, damit sich die Bankenwelt aus dieser Affäre stehlen kann", sagt er.
08.40 Uhr: Die Debatte zum Steuerdeal hat früher als erwartet begonnen. SP-Nationalrätin Ada Marra (VD) apelliert im Namen der Kommissionsmehrheit an den Nationalrat, nicht auf die "Lex USA" einzutreten.
08.36 Uhr: Es tickert für Sie Lorenz Honegger.
Der US-Steuerdeal steht auf der Kippe: Der Ständerat hat der «Lex USA» zwar zugestimmt, doch im Nationalrat stehen die Mehrheitsverhältnisse weit weniger günstig. Die vorberatende Wirtschaftskommission (WAK) der grossen Kammer will nicht auf das Geschäft eintreten. Ab neun Uhr wird sich zeigen, ob der Nationalrat seiner Kommission folgt oder nicht – mit entsprechenden Konsequenzen:
Eintreten. Beschliesst der Nationalrat Eintreten, geht das Geschäft zur Detailberatung zurück in die WAK. Die Kommissionssitzung findet am Dienstagnachmittag statt. Der Nationalrat würde die Detailberatung am Mittwoch durchführen.
Nichteintreten. Entscheidet sich die Mehrheit des Nationalrates für Nichteintreten, ist wieder der Ständerat am Zug. Die kleine Kammer muss erneut über die Eintretensfrage entscheiden. Ändert der Ständerat seine Haltung und tritt nicht mehr auf das Geschäft ein, ist die «Lex USA» am Ende. Bekräftigt der Ständerat hingegen seinen Entscheid, geht das Geschäft zurück in den Nationalrat. Sagt die grosse Kammer ein zweites Mal Nein, ist das Sondergesetz ebenfalls am Ende. Votiert der Nationalrat aber für ein Ja, muss er noch die Detailberatung durchführen und es kommt zu einem normalen Differenzbereinigungsverfahren mit dem Ständerat. Übersteht die «Lex USA» die Gesamtabstimmung in beiden Räten, müssen diese noch über die Dringlichkeit des Bundesgesetzes befinden. Dafür ist das absolute Mehr notwendig: 101 Stimmen im Nationalrat, 24 im Ständerat. Erst dann ist das Gesetz bereit für die Schlussabstimmung.
Da es bei der Beratung der «Lex USA» zahlreiche Unwägbarkeiten gibt, steht der detaillierte Zeitplan noch nicht – an der verfügbaren Zeit wird das Geschäft aber nicht scheitern, versichern die Parlamentsdienste. Der Mittwoch wird für die «Lex USA» wohl zum Schicksalstag: Dann haben beide Räte die Möglichkeit, das Geschäft zu beerdigen. (dk/lhn)