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TV-Gebühr

«No Billag»-Initiative: Auf Social Media geben sich selbst Wissenschafter aufs Dach

Zwar dauert es bis zum Urnengang vom 4. März noch 122 Tage. Doch bereits jetzt tobt auf den sozialen Medien ein heftiger Streit um die Volksinitiative zur Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren.

Eine typische Twitter-Diskussion sieht aktuell so aus: «Wie dumm und arrogant sind denn die #SRGer?», fragt ein Befürworter der Volksinitiative zur Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren.

Ein paar Minuten später antwortet ein Gegner: «Wie blöd und verlogen sind denn die NoBillager?» Auch wenn es bis zum Urnengang vom 4. März noch 122 Tage dauert, wird der Abstimmungskampf in den sozialen Medien bereits hitzig und nicht selten auf schockierend tiefem Niveau geführt – von beiden Lagern.

An der Debatte beteiligen sich nicht nur Privatpersonen und anonyme Twitter-User, sondern auch Nationalräte sowie Mitarbeiter des Schweizer Radios und Fernsehens. Die meisten tun es reflektiert und vertrauen auf die Kraft ihrer Argumente. Doch nicht alle. So schrieb die Baselbieter CVP-Politikerin Elisabeth Schneider-Schneiter in polemischer Anspielung auf die SVP: «Ich will keine fremden Sender. Keine Überschwemmung von ausländischen Medien. Schweizer sagen Nein zu No Billag.»

Silvan Amberg, Co-Präsident des Initiativkomitees, fragte derweil in egoistischer Manier: «Warum sollen wir für ein Skirennen zahlen, das wir auf einem österreichischen Sender verfolgen können?» Und Peter Schibli, Direktor der SRG-Onlineplattform Swissinfo, erklärte alle Kritiker seines Unternehmens schlicht zu «gewinngeschädigten Verlegern, machtgierigen Nationalisten, unzufriedenen Programmkritikern und Neoliberalen». Da machen sie es sich alle drei doch etwas gar einfach.

«Sieht er sich als SRG-Aktivist?»

Die Initiative, die bei einer Annahme das Ende der SRG herbeiführen dürfte, treibt auch einen Keil in die Wissenschaft. So stritten sich die beiden Kommunikationswissenschafter Vinzenz Wyss und Stephan Russ-Mohl für jedermann einsehbar auf Facebook. Wyss, Professor an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, regte sich darüber auf, dass die «Weltwoche» seinen Kollegen als einzigen SRG-kritischen Kommunikationswissenschafter des Landes dargestellt hatte.

Von der «Nordwestschweiz» auf ihren Disput angesprochen, begraben die beiden Forscher das Kriegsbeil nicht – im Gegenteil. «Mich stört, dass sich mein geschätzter Kollege von der ihm wohlgesinnten ‹Weltwoche› als Heiliger präsentieren lässt und nicht widerspricht, wenn diese implizit allen Wissenschaftern unterstellt, sie seien vom Bundesamt für Kommunikation oder von der SRG geschmiert», sagt Wyss.

Wenn man ihm und vielen Kollegen mangelnde Unabhängigkeit nachsage, müsse man auch erwähnen, dass Russ-Mohl eine Auftragsstudie für den Verlegerverband erstellt habe. Russ-Mohl reagiert konsterniert: «Ich bin erschrocken, wie einem unter Kollegen auf einmal Dinge unterstellt werden, die an den Haaren herbeigezogen sind», sagt der Professor der Universität Lugano.

Zwar kenne er den Autor des «Weltwoche»-Artikels, da dieser auch als Chefredaktor des Branchenmagazins «Schweizer Journalist» amte, für welches er Kolumnen schreibe und das er als Herausgeber verantworte. Doch habe er keinen Einfluss darauf, was dieser in der «Weltwoche» über ihn schreibe. Wyss, mit dem er seit Jahrzehnten befreundet sei, trete «irritierend aggressiv» auf. «Ich frage mich, ob er sich im Abstimmungskampf überhaupt noch als Wissenschafter betrachtet oder nur noch als SRG-Aktivist.»

«Mir gehts um Aufklärung»

Hinter dem Zwist der beiden Forscher verbirgt sich eine spannende Frage: Welche Rolle kommt der Wissenschaft zu? Es sei seine Aufgabe, kritisch zu beobachten, aufzuklären und in Krisensituationen zu vermitteln, sagt Russ-Mohl. «Nicht Abstimmungskampf zu betreiben.» Seine Zunft sei sehr eng mit dem öffentlichen Rundfunk verbandelt. «Sobald es um die SRG geht, verlieren manche Kollegen ihren kritischen Blick. Sie betrachten den öffentlichen Rundfunk als Säulenheiligen.»

Etwas anders interpretiert Wyss seine Funktion. «Ich sehe meine Rolle als Wissenschafter auch darin, Verantwortung zu übernehmen und mich in öffentlichen Debatten einzumischen, wenn aus medienwissenschaftlicher Sicht Falsches behauptet wird», sagt er. Man werfe ihm dann Propaganda für die SRG vor. «Mir hingegen geht es um Aufklärung.» Vor der No-Billag-Initiative warnt er: «Sie ist bloss ein erstes Kapitel im Kampf der Libertären gegen staatstragende Institutionen», sagt er. «Wenn es ihnen gelingt, die SRG zu zerstören, knöpfen sie sich als Nächstes die Kultur und die Wissenschaft vor.»

Zwei weitere prominente Medienwissenschafter stützen eher Wyss’ Berufsauffassung. «Es ist Aufgabe von uns Wissenschaftern, unsere Forschungsergebnisse in Politik und Gesellschaft einzubringen», sagt Manuel Puppis von der Uni Freiburg. «Es ist nicht erstrebenswert, im stillen Kämmerchen zu forschen.» Allerdings sollten die Wortmeldungen stets wissenschaftlich fundiert sein.

Ins gleiche Horn stösst Otfried Jarren von der Uni Zürich. Als Präsident der Eidgenössischen Medienkommission mische er sich nicht in den Abstimmungskampf ein, sagt er. «Als Bürger und Wissenschafter aber werde ich mich in die Debatte einbringen, denn es ist offensichtlich, dass Aufklärungsbedarf über die Finanzierungsprobleme des Journalismus besteht.»

Übrigens: Alle vier Forscher lehnen die No-Billag-Initiative ab – auch Russ-Mohl. Es brauche einen öffentlichen Rundfunk, sagt er. «Doch die SRG muss sich kritische Fragen gefallen lassen.»