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USA

Neuer US-Kongress tritt zusammen

Bei der konstituierenden Sitzung des neuen US-Kongresses steht ein ungewöhnlicher Wahlkrimi um den mächtigsten Posten im amerikanischen Parlament bevor.
Bild: Keystone/AP/J. Scott Applewhite

Nach den Parlamentswahlen im November kommt der Kongress am Dienstag (12 Uhr Ortszeit, 18 Uhr MEZ) erstmals in neuer Konstellation zusammen. Die Republikaner übernehmen dann die Kontrolle im Repräsentantenhaus - im Senat, der zweiten Parlamentskammer, haben die Demokraten von Präsident Joe Biden weiter eine knappe Mehrheit. Der Start der neuen Legislaturperiode wird überschattet von einem Machtkampf der Republikaner um die Führung im Repräsentantenhaus.

Der Fraktionschef der Partei, Kevin McCarthy, will sich zum Vorsitzenden der Kammer wählen lassen. Der Posten, den in den vergangenen Jahren die Demokratin Nancy Pelosi besetzte, steht in der staatlichen Rangfolge der USA an dritter Stelle nach dem Präsidenten und dessen Vize. Mehrere Parteikollegen lehnten sich aber gegen McCarthy auf - und angesichts einer knappen Mehrheit der Republikaner hatte er bis zuletzt allergrösste Mühe, sich in den eigenen Reihen genug Stimmen für die Wahl zu sichern. Die Rebellion gegen ihn könnte das übliche Prozedere verzögern oder womöglich ins Chaos stürzen.

Das Problem

Die Republikanische Fraktion im Repräsentantenhaus ist wie die gesamte Partei zerrissen zwischen rechtsgerichteten Anhängern des Ex-Präsidenten Donald Trump und moderateren Parteimitgliedern. Angesichts der nur knappen Mehrheit muss McCarthy die verschiedenen Flügel hinter sich vereinen und selbst Mitglieder vom äussersten Rand seiner Fraktion für sich gewinnen. Fünf Republikaner haben aber öffentlich angekündigt, McCarthy ihre Stimme zu verweigern. Auch andere liessen Widerstand erkennen. Doch McCarthy kann sich angesichts der Mehrheitsverhältnisse kaum Abweichler leisten.

In den vergangenen Wochen versuchte er daher, interne Kritiker durch allerlei Zugeständnisse zu besänftigen. Zuletzt liess er sich sogar darauf ein, die Hürden für eine mögliche Abberufung des Vorsitzenden im Repräsentantenhaus deutlich zu senken, wie mehrere US-Medien übereinstimmend unter Berufung auf interne Gespräche in der Fraktion berichteten. Das könnte als ständiges Druckmittel gegen ihn verwendet werden - doch selbst trotz dieses Entgegenkommens war bis zuletzt keine Mehrheit für McCarthy gesichert.

Die Zahlen

Bei der Kongresswahl Anfang November waren alle 435 Sitze im Repräsentantenhaus sowie 35 der 100 Sitze im Senat neu vergeben worden. Beide Kammern tagen an diesem Dienstag erstmals in neuer Besetzung. Bidens Demokraten hatten bei der Wahl deutlich stärker abgeschnitten als erwartet. Eine vorausgesagte Erfolgswelle für die Republikaner blieb aus. Ihnen gelang es nicht, die Kontrolle im Senat zu erobern, und im Repräsentantenhaus erreichten sie lediglich eine knappe Mehrheit von 222 Sitzen. 212 Sitze stellen die Demokraten. Ein Sitz ist noch offen, nachdem ein Abgeordneter kurz nach der Wahl starb. Maximal 434 Stimmen sind also zu vergeben.

Für die Wahl zum Vorsitzenden der Kammer ist im einfachsten Szenario eine Mehrheit von 218 Stimmen nötig - falls alle 434 neu gewählten Parlamentarier anwesend sind und einem Kandidaten ihre Stimme geben. Sollten sich einige von ihnen enthalten, wäre die nötige Mehrheit entsprechend kleiner.

Das Prozedere

Nach wenigen formalen Schritten ist die Wahl zum Vorsitzenden des Repräsentantenhauses der erste grosse Tagesordnungspunkt der konstituierenden Sitzung. Bis der Vorsitz geklärt ist, geht gar nichts: Die Kongresskammer kann nicht ihre Arbeit aufnehmen, es können nicht mal die neuen Abgeordneten vereidigt werden. Falls McCarthy im ersten Wahlgang durchfallen sollte und weitere Wahlgänge nötig wären, käme das einer kleinen Sensation gleich.

Üblicherweise ist die Wahl eine Formalie. Es ist hundert Jahre her, dass ein Kandidat bei der Abstimmung zum Vorsitz im Repräsentantenhaus nicht im ersten Wahlgang die nötige Mehrheit erreichte: 1923 waren neun Wahlgänge nötig, um einen Vorsitzenden zu bestimmen. Damals dauerte es mehrere Tage. Schon die Zitterpartie für McCarthy im Vorfeld sticht heraus und schwächt ihn, selbst wenn er am Ende erfolgreich sein sollte bei der Abstimmung.

Das grosse Ganze

Mit den veränderten Mehrheitsverhältnissen und ihrer neuen Stärke im Repräsentantenhaus können die Republikaner künftig Biden das Leben schwer machen. Sie haben bereits parlamentarische Untersuchungen gegen den Präsidenten und andere Regierungsmitglieder angekündigt, und sie können nach Belieben Gesetzgebungsvorhaben blockieren. (sda/dpa)