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Gen Z

«Ihr Tod soll nicht umsonst gewesen sein»: Wie Nepals Jugend aus den Protesten politische Hoffnung formt

Die Aufstände der Gen Z im September dieses Jahres kosteten über 70 Menschen das Leben, stürzten die Regierung und inspirierten junge Menschen auf anderen Kontinenten zu ähnlichen Protesten. Was sie in Nepal bewirkt haben.
Feuer im Singha Durbar Palast, einem Regierungs- und Parlamenstsgebäude in Kathmandu, während der Jugendproteste im September 2025.
Bild: Narendra Shrestha

«Ich dachte, es wird ein friedlicher Protest. Wir haben Plakate geschrieben gegen die korrupten Politiker», sagt die 23-jährige Nepalesin Rasu. Zusammen mit Zehntausenden anderen vor allem jungen Menschen ging sie am 8. September auf die Strasse, um für bessere Bedingungen in ihrem Land zu protestieren. Auslöser für die Proteste war ein Verbot der meisten Social-Media-Plattformen. Die jungen Menschen verstanden das als Zensur.

Doch der geplant friedliche Protest eskalierte. Es kam zu Zusammenstössen zwischen Demonstrierenden und der Polizei, 19 unbewaffnete, grösstenteils junge Menschen wurden am 8. September getötet.

Demonstrierte für ein besseres Nepal: Die 23-jährige Rasu (rechts) mit ihrem Freund Udden.
Bild: Britta Gfeller

«Wir konnten unsere Plakate nicht hochhalten, weil mit Tränengas geschossen wurde», erinnert sich Rasu. «Es war alles so chaotisch, wir haben Schüsse gehört, doch wir dachten, es seien Schreckschüsse. Wir hätten nicht damit gerechnet, dass die Polizei auf uns schiesst.»

76 Tote, über 2000 Verletzte

Am nächsten Tag stürmten Menschenmengen das Parlament und brannten unter anderem das Regierungsgebäude und Polizeistationen nieder. Am Ende waren 76 Menschen tot, über 2000 zum Teil schwer verletzt. Die Regierung trat zurück, momentan wird das Land von einer Interims-Regierung geführt.

Die Gen-Z-Proteste in Nepal reihen sich ein in die Liste von Aufständen in Südasien, die auch «Asiatischer Frühling» genannt werden, angelehnt an den «Arabischen Frühling» Anfang der 2010er Jahren. Im Juli und August 2024 protestierte die junge Generation in Bangladesch gegen die Regierung und für Demokratie. Im August dieses Jahres wurde in Indonesien demonstriert.

Ein Demonstrant in Kathmandu mit Ausrüstung, die er zuvor einem Polizisten abgenommen hatte.
Bild: Niranjan Shrestha

Einige Protestierende in Nepal geben an, von diesen Aufständen inspiriert worden zu sein. Doch erst die Proteste in Nepal liessen die Bewegung auch auf andere Kontinente überschwappen: Ab Mitte September demonstrierte die Gen Z auch in Peru, Madagaskar und Marokko.

«Die Proteste in Nepal hatten zwar einen nationalen Kontext, sprachen aber ein universelles Problem an: die Einschränkung des zivilgesellschaftlichen Raums durch digitale Unterdrückung», erklärt Rupak Shrestha. Shrestha ist Nepalese und arbeitet als Assistenzprofessor für International Studies und Global Asia in Vancouver.

Er hat sich intensiv mit den Gen-Z-Protesten befasst. «Jugendliche in anderen Ländern konnten sich mit diesem Kampf identifizieren, da auch sie in Staaten leben, die digitale und zivile Freiheiten als Bedrohung für den Status quo betrachten.»

Shrestha erstaunt es nicht, dass die Gen Z massenweise auf die Strasse geht. «Die Widersprüche unserer Zeit – enorme Ungleichheit, Klimakrisen, Korruption, das Monopol der Elite auf den Staat – machen das tägliche Leben zunehmend unerträglich», sagt er. «Die Generation Z ist wohl die erste Generation, die innerhalb der bestehenden Systeme keinen Weg nach oben sieht: keine sinnvolle Arbeit, keine politische Vertretung und keine Zukunft.» Gleichzeitig verfüge sie über die digitalen Werkzeuge, um zu sehen, wie andere anderswo Widerstand leisten, und um ihre Kämpfe transnational zu vernetzen.

Die alte Elite gewinnt schon wieder an Einfluss

Shrestha ist jedoch unsicher, ob die Aufstände tatsächlich langfristig zu einem Wandel führen werden. «Echte Veränderungen erfordern den Abbau der staatlichen Machtstrukturen, die Ungleichheit aufrechterhalten – Polizeigewalt, Straffreiheit des Militärs und die Kontrolle der Wirtschaft und der politischen Institutionen durch die Elite», sagt er. «Ohne diese Strukturen anzugehen, wird jede Veränderung bestenfalls oberflächlich oder kurzlebig sein.» Dies könne in Nepal bereits beobachtet werden, da die alten Eliten schon wieder an Einfluss gewinnen.

Trotzdem waren die Proteste vom September für viele Nepalis ein Schlüsselerlebnis. Für den 5. März sind Neuwahlen angesetzt. Wer in Nepal an Wahlen teilnehmen will, muss sich einmalig registrieren. Im November waren die Registrierungsbüros offen. Über 837'000 neue Wählerinnen und Wähler haben sich eine Wähler-ID ausstellen lassen.

Darunter die 23-jährige Survi und die 24-jährige Shishuka. Die Proteste haben sie motiviert, sagen sie. «Wir haben so viele junge Menschen verloren. Sie haben für unser Land gekämpft, dafür, dass wir eine Stimme haben», sagen die Freundinnen. «Wir wollen Gerechtigkeit für sie. Ihr Tod soll nicht umsonst gewesen sein.»

Erstwählerinnen: Shishuka (links) und Survi aus Nepal.
Bild: Britta Gfeller

Auch die 35-Jährige Sushma hat sich neu als Wählerin registriert. Davor hatte sie nie Vertrauen in die Kandidierenden, sah keinen Sinn, ihre Stimme abzugeben. Die Gen-Z-Proteste haben sie umgestimmt. «Unsere junge Generation wurde getötet. Mein Herz ist gebrochen», sagt sie. Sie will wählen, um die Gen Z und deren Anliegen zu unterstützen.

Begleitet wird sie von ihrer Freundin, der 39-jährigen Suijana. Sie ist zwar seit drei Jahren als Wählerin registriert, war aber nie wirklich motiviert zu wählen. «Die Gen Z hat uns alle aufgerüttelt. Ich will eine Veränderung», sagt sie. «Diesmal freue ich mich sehr auf die Wahlen.»

Rasu, die am 8. September auf die Strasse gegangen ist, ergänzt: «Die Proteste waren nicht das, was wir wollten. Aber sie waren wichtig. Wir wollen ein neues Nepal aufbauen.»

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