Die Spekulationen begannen, noch bevor US-Senat und -Repräsentantenhaus ihr Plazet zum Budgetabkommen gegeben hatten. Auf 24 Milliarden Dollar schätzte die Rating-Agentur Standard & Poor’s (S&P) die volkswirtschaftlichen Kosten des 16 Tage andauernden Shutdown in Washington. Dies komme einer Reduktion des Wirtschaftswachstums im 4. Quartal 2014 von mindestens 0,6 Prozentpunkten gleich, stellte S&P fest.
Andere Prognosen fielen weniger pessimistisch aus. Moody’s Analytics sprach von 23 Milliarden Dollar, während das Prognose-Institut Macroeconomic Advisers die volkswirtschaftlichen Kosten auf 12 Milliarden Dollar schätzte.
Reine Kaffeesatzleserei
Bei solchen Prognosen handelt es sich aber um reine Kaffeesatzleserei. Denn zum einen wird es noch Wochen – wenn nicht gar Monate – dauern, bis verlässliche wirtschaftliche Indikatoren für das 4. Quartal vorliegen. Zum andern sind Vergleiche mit alternativen Szenarien rein spekulativ: Denn letztlich weiss niemand, wie sich die amerikanische Wirtschaft ohne Shutdown entwickelt hätte.
Auch Boehners Stammlokal litt
Bekannt sind folgende Eckpunkte: Für Hunderttausende von Amerikanern stellte die Krise ein massiver Einschnitt dar. Staatsangestellte mussten auf ihren Lohn verzichten, der ihnen nun vollständig nachbezahlt wird. Zulieferbetriebe der öffentlichen Hand sahen sich mit plötzlichen Umsatzeinbussen konfrontiert.
Gerade im Tourismus hat der Shutdown tiefe Wunden geschlagen: So beklagen sich Hoteliers und Gastronomen im ganzen Land über die schlechte Auslastung der vergangenen Tage. Selbst das Washingtoner Lieblingsrestaurant des Republikaners John Boehner, dem Speaker des Repräsentantenhauses, klagt über ein Loch in der Kasse.
Besonders betroffen waren saisonale Ausflugsziele: Im Nordosten der USA ist der «Indian Summer» angebrochen. Während des Altweibersommers zieht es normalerweise Tausende von Touristen in die Natur. Im Shenandoah National Park in Virginia lassen sich die Herbstfarben besonders gut bestaunen. Doch das war in den vergangenen Tagen nicht möglich, weil der Nationalpark geschlossen war. «Das hat extrem seriöse Konsequenzen für uns», sagt John Robbins, Präsident einer lokalen Handelskammer.
An Thanksgiving wird abgerechnet
Andererseits steht für die US-Volkswirtschaft die grosse Bewährungsprobe erst bevor. Ende November begehen die Amerikaner das Erntedankfest (Thanksgiving) – und die höchst lukrative Festtagssaison startet im ganzen Land mit massiven Aktionen.
Für den einträglichen Detailhandel geht die Rechnung aber nur auf, wenn die amerikanischen Konsumenten bis dann wieder Vertrauen in die Wirtschaft und die Politik schöpfen. Sonst droht ein ähnliches Ergebnis wie im Sommer 2011 – nach der letzten heftigen Budgetkrise in Washington: Damals kam die US-Volkswirtschaft kurzfristig ins Stottern. Im 3. Quartal 2011 betrug das Wachstum des Bruttoinlandprodukts bloss 1,4 Prozent. Drei Monate später aber machte die US-Wirtschaft massiven Boden gut und wuchs um 4,9 Prozent.
Nur eine temporäre Lösung
Einen entscheidenden Einfluss auf das weitere Wirtschaftswachstum wird auch die US-Notenbank haben. Der Offenmarktausschuss der Federal Reserve trifft sich bereits in zwei Wochen zur nächsten Sitzung. Bisher gingen die Auguren davon aus, dass Fed-Chef Ben Bernanke an dieser Zusammenkunft einen Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik einleiten werde. Nun werden die Karten neu gemischt. Denn letztlich handelt es sich bei dem am Mittwoch verabschiedeten Paket bloss um eine temporäre Lösung.