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Bundesstrafgericht

Messerstecher von Morges vor Gericht verwirrt und reuig: «Ich wollte die Schweiz bestrafen»

Vor Bundesstrafgericht hat der Prozess gegen den 29-jährigen Mann begonnen, der in Morges VD einen Portugiesen niedergestochen hat – aus mutmasslich dschihadistischen Motiven.

Der gegen den mutmasslichen Attentäter von Morges ist auf drei Tage angesetzt. 
Bild: Keystone

Der Beschuldigte erschien zum Prozessauftakt am Montag in einem orangen Pullover. Diese Farbe sollte offenbar eine Anspielung auf die Gefangenen von Guantanamo sein, weil er selbst 820 Tage Einzelhaft hinter sich hat. Er trug Handschellen, sass stets vornübergebeugt.

Nur selten blickte er zu den drei Richtern auf, nur wenige Momente, in denen sein vollbärtiges Gesicht auf dem Monitor im Pressesaal zu sehen war. Er sprach gegen den Boden und leise, beantwortete aber durchgängig die Fragen des vorsitzenden Richters. Zwei Polizisten der Tessiner Kantonspolizei bewachten ihn.

Die Vorwürfe gegen den 29-jährigen türkisch-schweizerischen Doppelbürger aus Prilly VD sind happig. Er muss sich wegen Mordes, vorsätzlicher Tötung, versuchter vorsätzlicher Tötung, einfacher Körperverletzung, versuchter Brandstiftung und Verursachung einer Explosion, der Widerhandlung gegen das Al-Kaida-/IS-Gesetz sowie weiterer Delikte verantworten.

Widersprüchliche Aussagen

Am gravierendsten ist der Anklagepunkt, am 12. September 2020 einen damals 29-jährigen Portugiesen in einem Kebab-Restaurant in Morges VD getötet zu haben. Während er abends um 21.10 Uhr mit einem Küchenmesser auf sein Opfer einstach, soll er laut Anklageschrift «Allahu akbar» (Allah ist der Grösste) gerufen haben.

Vor dem Angriff soll er elfmal am Lokal vorbeigelaufen sein. Das Opfer, das mit seiner Familie in dem Lokal an diesem Samstagabend eingekehrt war, verstarb noch am Tatort. Der Täter flüchtete, konnte aber am Tag danach verhaftet werden. Es soll sich um die erste in der Schweiz begangene Messerattacke mit tödlichem Ausgang auf dschihadistischem Hintergrund handeln.

Die Bundesanwaltschaft wirft O.A.* vor, sich in den Jahren vor der Attacke radikalisiert zu haben. Er wies dies zurück. Allerdings erschien er verwirrt und seine Aussagen waren teils widersprüchlich. «Islam bedeutet Frieden», sagte er in lupenreinem Französisch. Er entdecke diese Religion nach wie vor.

Da er sich noch in dieser Entdeckungsphase befinde, könne er seine eigene Entwicklung nicht als «Radikalisierung» bezeichnen. Er bete als gläubiger Sunnit fünfmal täglich. Er distanziere sich auch von Gewalt und von Attentaten mit Schusswaffen. Er sagte, dem IS nicht beigetreten zu sein, aber die Idee eines Kalifats zu unterstützen.

«Ich wollte den Propheten rächen»

In Bezug auf den Messerangriff erklärte er, er habe damals diejenigen bestrafen wollen, die Krieg gegen den Islamischen Staat führten, darunter die Schweiz: «Ich wollte den Propheten rächen. Ich wählte mein Opfer willkürlich aus. Es musste ein Erwachsener sein - ein Mann». Im Gefängnis habe er inzwischen eingesehen, sich geirrt zu haben. «Es tut mir sehr leid - heute bin ich traurig für die Familie des Opfers», so der Beschuldigte.

Der Fall mit dem tödlichen Attentat ist schockierend. Problematisch ist allerdings auch die Tatsache, dass der Beschuldigte O.A. den Ermittlungsbehörden schon vor der Messerattacke gut bekannt war und auf einer Gefährderliste stand. Im April 2019 wurde er festgenommen, nachdem er versucht hatte, eine Tankstelle in Prilly in die Luft gehen zu lassen.

Zwischen April 2019 und dem 13. Juli 2020 sass er in Untersuchungshaft, war dann unter hohen Auflagen auf freien Fuss gesetzt worden. Genau zwei Monate später verübte er in Morges das tödliche Attentat.

Erinnerung an Messerattacke von Lugano

Ein Freund des Opfers erlitt durch den Angriff einen schweren Schock und muss seither psychisch behandelt werden. Die Familie hat sich als Privatpartei konstituiert und einige portugiesische Familienmitglieder sind zum Prozessauftakt nach Bellinzona gekommen.

Zu Lasten des Beschuldigten fallen auch tätliche Angriffe, die er teils während der Untersuchungshaft verübt hat, etwa gegen eine Person des Aufsichtspersonals sowie gegen einen Bundespolizisten. Der Prozess ist auf drei Tage angesetzt, kann allenfalls bis Ende Woche verlängert werden. Die Urteilseröffnung soll am 10. Januar 2023 erfolgen.

Der Fall um den mutmasslichen Attentäter von Morges weckt Erinnerungen an die Messerattacke, welche im November 2020 im Warenhaus Manor von Lugano verübt worden war . Eine 29-jährige Tessinerin hatte auf zwei zufällig ausgewählte Opfer eingestochen und eine Frau schwer verletzt.

Das Bundesstrafgericht in Bellinzona verurteilte die Täterin in diesem September wegen versuchten Mordes und Widerhandlung gegen das IS-/Al-Kaida-Gesetz zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren. Vor Antritt der Gefängnisstrafe wird sie wegen ihrer psychischen Störungen stationär in einer geschlossenen Einrichtung behandelt. Im Gegensatz zum Mann, der jetzt vor Bundesstrafgericht steht, hat sie ihre Tat nie bereut.

* Name der Redaktion bekannt.