«Kann er die SPD retten? Schulz stellt Sigmar Gabriel als neuen Kanzlerkandidaten vor», titelte die Satire-Plattform «Postillon» vor einiger Zeit. Eine bitterböse Anspielung auf den abflauenden Hype um den als Heilsbringer gefeierten SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz. Erst im Januar wurde Schulz vom vormaligen und innerparteilich umstrittenen Parteichef Sigmar Gabriel zum neuen SPD-Chef und Gegenspieler von Kanzlerin Merkel ausgerufen.
Nun also wieder zurück zu Gabriel - der «Postillon» spielte auf die Umfragewerte von Martin Schulz an, die inzwischen wieder in jenem bescheidenen Bereich liegen, wie sie die SPD auch unter Gabriel holte. Eine Erhebung von letzter Woche sieht die SPD aktuell bei gerade mal 23 Prozent Stimmenanteil, Merkels Union aus CDU und CSU kommt auf 38 Prozent. Das ist bemerkenswert, lagen SPD und Union im März doch zwischenzeitlich gleichauf.
Angesichts der ungleichen Kräfteverhältnisse könnte man zum Schluss kommen, die Bundestagswahlen seien 100 Tage vor dem Wahltermin bereits entschieden. Allerdings können Stimmungen– gerade in Deutschland – rasch drehen, das hat nicht zuletzt der «Schulz-Hype» gezeigt. Nichtsdestotrotz sieht es danach aus, als müsse Angela Merkel nicht allzu sehr um ihren Verbleib im Kanzleramt fürchten. Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) gibt die Wahl zwar noch nicht verloren, doch es klingt eher nach Durchhalteparole, wenn er sagt: «Das Spiel ist erst zu Ende, wenn der Schiedsrichter gepfiffen hat.»
Union klaut bei der Konkurrenz
Die Kanzlerin hält die besten Trümpfe in der Hand. Der Bundestagswahlkampf wird durch die Innenpolitik bestimmt, und hier bleibt die Union unter Merkel beharrlich ihrer Strategie treu, Themen der Konkurrenz abzugreifen. Die Union hat unter Merkel einen Linksschwenk gemacht, zum Unmut der SPD. Zudem haben Wähler traditionell höheres Vertrauen in konservative Parteien, wenn es um Fragen der inneren Sicherheit geht. Das Thema Terrorismus und Schutz vor islamistischen Extremisten bestimmt auch die politische Agenda in Deutschland. Mit strengeren Abschieberegeln, Vorschlägen zur besseren Überwachung potenzieller Terroristen, Präventivhaft für Gefährder und strengeren Regeln für die erst 2014 eingeführte doppelte Staatsbürgerschaft holt die Union auch Wähler aus dem konservativen Spektrum, welche bis vor wenigen Wochen ihr Kreuzchen noch für die AfD gemacht haben.
SPD-Kandidat Schulz hingegen hat an Anziehungskraft – auch für die Medien - eingebüsst. Die Taktik der Genossen, häppchenweise ein Wahlprogramm zu präsentieren, ist fehlgeschlagen. Gleich zu Beginn mahnte Schulz Reformen für die Arbeitslosenversicherten an, seither warten die Wähler vergebens auf neue Konzepte der SPD – diese sollen erst am 25. Juni auf einem Sonderparteitag definiert werden. Zudem zieht das Thema «Gerechtigkeit» in einem Land, in dem es dem Gros der Menschen besser geht als noch vor vier Jahren und die Wirtschaft floriert, nur bedingt – auch wenn das Thema angesichts der hohen Zahl an Niedriglohnbezügern durchaus von Bedeutung wäre. Erschwerend kommt für die SPD hinzu, dass ihr realistische Machtoptionen fehlen. Die Chance auf ein ohnehin schon schwer zu bewerkstelligendes Bündnis mit Linkspartei und Grünen ist seit dem Wochenende weiter gesunken, nachdem die Linkspartei bei ihrem Bundesparteitag Giftpfeile gegen Martin Schulz und die Politik der Genossen gefeuert haben. Bleibt also noch ein Bündnis mit der Union oder mit Grünen und FDP, das Jamaica-Bündnis. Beide Optionen stehen indes nicht für einen wirklichen Politikwechsel.
Erfahrene Kanzlerin
Merkel profitiert zudem von ihrem Amtsbonus: Sie ist Gegenspielerin von dem in Deutschland höchst unbeliebten US-Präsidenten Donald Trump. Viele Deutsche schenken der aussenpolitisch erfahrenen Kanzlerin in Zeiten internationaler Verwerfungen höheres Vertrauen als Martin Schulz. Schon Anfang Juli, anlässlich des G-20-Gipfels in Hamburg, wird sich Merkel wieder medienwirksam als Vertreterin der freien Welt dem unberechenbaren Donald Trump entgegenstellen. Für Schulz bleibt bloss die Rolle des Zuschauers.