notifications
Gastkolumne

Meine Albaner und der Klassenkampf

In dieser Gastkolumne schreibt Publizist Peter Hartmeier über seine Erfahrungen und ein Erlebnis mit albanischstämmigen Schweizern.

In der Schweiz leben viele Albanerinnen und Albaner. Die wenigsten davon kommen aber aus dem Staat Albanien. Die meisten sind kosovarische oder nordmazedonische Staatsangehörige.
Bild: Jean-Christophe Bott / KEYSTONE

Kürzlich behauptete Cédric Wermuth, die Schweiz sei eine «Klassengesellschaft»: Wenn seine These stimmt, würden also Familien und Verwandtschaften über Aufstieg und Fall der nachwachsenden Generationen bestimmen.

Ausgerechnet ein Fest bot mir einen Kontrapunkt zu Wermuths Trübsal: ich war Gast des Zürcher «Swissalb-Ball» – einem Anlass, an dem sich die albanische Community aus der ganzen Schweiz trifft und jeweils einen Unternehmer mit albanischen Wurzeln durch eine Preisverleihung ehrt. Obwohl ich um den Integrations- und Leistungswillen der albanischstämmigen Schweizer und Schweizerinnen wusste, staunte ich über diese fröhlich tafelnden, tanzenden und redenden Menschen.

Meine Bekanntschaft mit der albanisch-schweizerischen Community begann mit einem Hotelier, der mittlerweile zu einem Freund geworden ist: Als noch nicht 40-jähriger Gastronom führt er ein traditionsreiches Hotel in den Schweizer Alpen; seine beiden Schwestern sind Juristinnen – die eine arbeitet als Staatsanwältin, die andere als Rechtsanwältin in einer Bank. Der jüngste Bruder leidet an Schwerhörigkeit, geht aber jeden Tag zu seiner Arbeit. Die Familie flüchtete während des Balkan-Krieges als Sans-Papiers nach Westeuropa und gelangte in die Schweiz, wo sie sich niederlassen konnten und Doppelbürger wurden.

Am «Swissalb-Ball» trifft sich die Community aus der ganzen Schweiz und freut sich über ihre Erfolge und zeichnet eine Unternehmerin oder einen Unternehmer mit albanischen Wurzeln durch eine Preisverleihung aus. Der Unternehmer Giorgio Behr hielt dieses Jahr die Festansprache: er rief die Ballbesucher auf, ihr unternehmerisches Gen zu hegen und zu pflegen, und erntete dafür stürmischen Applaus.

Den ganzen Abend über sprachen wir Schweizerdeutsch: Integration über die Beherrschung der Sprache schien den albanischstämmigen Schweizern selbstverständlich zu sein. Neben ihren sprachlichen Fähigkeiten – Dialekt, Hochdeutsch, Englisch, Französisch – fällt mir ihre Liebe zur Schweiz und ihr Leistungswille auf: sie wollen sich einbringen, auch politisch. Die Tatsache, dass die FDP der Stadt Zürich von einem Mann namens Perparim Avdili geführt wird, ist kein Zufall.

Und schliesslich berührten mich die Bekenntnisse zur Migrationsgeschichte: In jeder Rede an diesem Abend wurde der Eltern erinnert, die als Flüchtlinge oder Saisonniers eingewandert waren. Die tief empfundene Dankbarkeit den Vorfahren gegenüber beeinflusste die Stimmung des Festes.

Die Dankbarkeit der albanischstämmigen Schweizer ist die eine Seite der Medaille – die Dankbarkeit von uns Alteingesessenen die andere. Unser Land gehört, weil eben nur wenige Klassen-Barrikaden den Aufstieg für Neuankömmlinge behindern, zu den Gewinnern der zurzeit gefährdeten Globalisierung. Unser Wohlstand beruht zu einem wesentlichen Teil auf dem internationalen Handel und der grenzüberschreitenden Migration. Die tüchtigen Einwanderer aus Albanien sind dafür ein ­Beispiel .

In einem Punkt muss ich mich noch korrigieren: Als wir gegen Mitternacht zum Tanz aufgefordert wurden, entwickelte sich das Fest zum albanischen Happening; wir hielten uns an den Schultern und bewegten uns rhythmisch und ausgelassen in langen Reihen zu albanischer Musik. Grenzen begannen plötzlich zu zerfliessen: ich mutierte zum Doppelbürger…

Ich hätte dem Klassenkämpfer Wermuth diese Erfahrung gegönnt.