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Gastkommentar

Das Unwesen der Mediensprecher: Statt Rickli reden jetzt namenlose «Gangos»

Wer als Journalist eine Antwort sucht, bekommt sie selten von den Verantwortlichen selbst. Statt Politikern und Chefinnen reden immer öfter ihre Kommunikationsbeauftragten – und filtern, was ans Licht darf.
Fragen von Journalisten werden immer häufiger nur noch an Pressekonferenzen von den Protagonisten beantwortet.
Bild: Ennio Leanza / Keystone

Mit Christoph Blocher bin ich nicht immer gleicher Meinung. Aber in diesem Punkt hatte er im Prinzip recht. Er bezeichnete einmal die sprunghaft steigende Zahl der Mediensprecherinnen und -sprecher als «Leichenschminker und Fassadenreiniger.»

Das Ungerechte an diesem Pauschalurteil voraus: Die Zahl der auskunftheischenden Medien hat sprunghaft zugenommen, nicht nur wegen der Privatradios und -Fernsehsender und den sogenannten sozialen Medien. Auch alle Zeitungen, die überleben wollen, konzentrieren sich auf eigene Recherchen. Da Journalistinnen und Journalisten meist von dem, was sie beschreiben, wenig bis nichts verstehen, müssen sie Fachleute finden, die die immer komplizierter werdenden, öffentlich interessierenden Dinge erklären können.

Dazu kommt seit 2006 die heilsame Wirkung des Öffentlichkeitsgesetzes. Alle Personen erhalten danach grundsätzlich Zugang zu jeder Information und jedem Dokument der Bundesverwaltung. Dies gilt nur dann nicht, wenn die Privatsphäre Dritter verletzt oder die Sicherheit der Schweiz gefährdet werden könnte.

Zu den Grundgesetzen des anständigen Journalismus gehört, dass man sich an den besten erreichbaren Quellen informiert. Der unvergessliche Werner Wollenberger hat mir einmal gesagt: «Wenn du über die katholische Kirche etwas wissen willst, musst du den Papst anrufen!» Ich habe es (mit einer Klasse der Ringier-Journalistenschule) einmal probiert. Wir sind immerhin innert einer Stunde telefonisch bis ins Vorzimmer vorgedrungen. Aber das Prinzip gilt noch immer: Wir wollen den zitierbaren Text vom Schmid hören und nicht vom Schmidli!

Die gewählten und verantwortlichen Schmiede in den öffentlichen Verwaltungen sind heute in der Regel nicht oder allenfalls vor den Wahlen erreichbar – oder wenn sie ein Thema lancieren wollen. Dann rufen sie biegsame Presseleute herbei. Für den Alltagsbetrieb halten sie sich die weisungsgebundenen Schmidlis.

Um fair zu sein: Eine beträchtliche Zahl dieser beamteten Informationsfachleute ist loyal und hilfreich bei der Beschaffung und Beurteilung von Informationen, Hintergrundmaterial und bei der Herstellung von Kontakten. Doch immer häufiger merkt man, dass diese Schmidlis, meist ehemalige Kolleginnen und Kollegen, aus Angst vor der gefürchteten 50er-Altersgrenze Zuflucht im Staatsbetrieb gesucht haben. Manche verstehen sich – je nach Stil und Willen des Chefs oder der Chefin – als Mitglieder des Werkschutzes.

Ganz heikel wird es, wenn der anfragende Pressemensch mit dem fachlich zuständigen, weil informierten Chefbeamten direkt sprechen will. In der Mehrheit der Fälle, die ich erlebt habe, war dies nur durch den Filter des Mediensprechers möglich, der in der Sache ebenso ahnungslos war wie ich. Mit anderen Worten: Sein Chef will die Kontrolle über die ausgehenden Informationen behalten. Das verzögert die Recherche – und filtert häufig unangenehme, aber wissenswerte Tatsachen aus.

Kürzlich, als es um die Aufnahme von zwanzig (zwanzig!) versehrten palästinensischen Kindern in der Schweiz ging, wurde verkündet, die Zürcher Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli sei gegen eine Beteiligung des Kantons Zürich an dieser Aktion. Verkündet wurde die Nachricht nicht etwa von der gewählten und dem Volk rechenschaftspflichtigen Magistratin, sondern von deren beamtetem Mediensprecher. Mehr als ein Journalist oder eine Journalistin hätte wohl den Wunsch gehabt, mit Frau Rickli über die Gründe ihrer Opposition zu sprechen. Keine Chance!

War sie in den Ferien? Wären ihr – und wenn es von den Malediven aus gewesen wäre – nicht einige Telefongespräche zuzumuten gewesen? Bis jetzt hat sich Natalie Rickli durch hervorragenden politischen Instinkt ausgezeichnet, dem sie ihre erstaunliche Karriere verdankt. Warum schickt sie in einem solch emotionalen Thema einen namenlosen «Gango» vor?

Das Sprecherunwesen nimmt überhand und wuchert auch in allen möglichen Institutionen. Dass die Polizei so eine Verbindungsstelle zu den Medien braucht, ist klar. Aber warum muss etwa das Kunsthaus Zürich über einen (häufig namenlosen) Sprecher kommunizieren? Und braucht das Tiefbau- und Entsorgungsdepartement der Stadt Zürich vier Personen allein für die Medienstelle?

Karl Lüönd war Reporter, Mitglied der Redaktionsleitung des «Blick», Chefredaktor («Züri Leu», «Züri Woche»). Seit 1999 hat er rund 80 Sachbücher, teils aus eigenem Antrieb, teils im Auftrag von Firmen und Körperschaften veröffentlicht