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Kommentar

Macrons Lektion in Sachen Europa: Was die Schweizer Politik aus dem Staatsbesuch lernen sollte

Die Beziehungen zwischen der Schweiz und Frankreich sind hervorragend. Auch mit Blick auf die Gespräche mit Brüssel machte Emmanuel Macron dem Bundesrat Hoffnung. Doch zwischen den Zeilen hatte Macron drei wichtige Botschaften verpackt.
Emmanuel Macron richtet sich beim Galadiner zu seinen Ehren am Mittwochabend im Bernerhof an die Gästeschar.
Bild: Bild: Peter Klaunzer / Keystone

Emmanuel Macron kann ausgesprochen streng sein. Unvergessen die Szene, als ihn ein Jugendlicher am Rande einer Gedenkveranstaltung für die Résistance im Juni 2018 flapsig mit «Ça va, Manu?» begrüsste . Frankreichs Staatspräsident wies den jungen Mann umgehend zurecht. Er werde gefälligst mit «Monsieur» oder «Monsieur le Président de la République» angesprochen.

Doch Emmanuel Macron kann auch ausgesprochen freundlich sein. Das liess sich während seines Staatsbesuchs in der Schweiz feststellen. Die «amitié franco-suisse», die Freundschaft zwischen beiden Ländern, besang Macron in den höchsten Tönen. Die wenigen Streitfragen in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit seien weitgehend gelöst.

Noch erfreulicher: Mit Macron hat ein politisches Schwergewicht der EU die «neue Dynamik» in den Gesprächen zwischen der Schweiz und Brüssel gelobt.

Vor ziemlich genau zweieinhalb Jahre hat der Bundesrat einseitig die Gespräche über ein Rahmenabkommen abgebrochen. Jetzt scheint man auch in Paris zufrieden zu sein mit dem jüngsten Entscheid des Bundesrats, ein neues Verhandlungsmandat auszuarbeiten. Es ist nun Aufgabe der Landesregierung, vor diesem Hintergrund ein innenpolitisch mehrheitsfähiges weiteres Vorgehen zu finden.

Dass dies nicht einfach wird, hat auch mit dem Erstarken der SVP bei den letzten Wahlen zu tun. Auf eine entsprechende Journalistenfrage hin sagte Macron an die Schweizer Bevölkerung gerichtet: «Sie wissen es vielleicht nicht, aber Sie sind bereits Europäer.»

Inlandredaktor Christoph Bernet.
Bild: Bild: san

Bei diesem Satz mag eine gewisse Arroganz des Elitehochschulabgängers Macron mitschwingen. Doch was der Präsident damit im Kern sagen wollte, zeigte sich bei seinen insgesamt drei öffentlichen Auftritten in der Schweiz: vor dem Gesamtbundesrat in der Wandelhalle, an einer Medienkonferenz und vor Studierenden der Universität Lausanne.

Macron betonte mehrmals die dringlich gewordene Notwendigkeit gemeinsamer europäischer Antworten, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der russischen Aggression gegenüber der Ukraine. Und die Schweiz, wenn auch nicht Teil der EU, liegt unzweifelhaft im Herzen dieses Kontinents.

Hört man Macron zu, ist für die Aussenwahrnehmung der Schweiz offenbar die Übernahme der EU-Sanktionen gegen Russland von grosser Bedeutung. Gleichzeitig forderte er bei diesem Thema weitere Anstrengungen ein – der Druck auf die Schweiz bleibt also.

Der Umgang mit und die Umsetzung von Sanktionen ist ein politisches Thema, über das sich trefflich streiten lässt. Doch klar ist: Unter dem Radar kann die Schweiz hier nicht fliegen. Lässt sie allzu viele Schlupflöcher zu, bezahlt sie dafür einen aussenpolitischen Preis.

Zweitens ist die Solidarität der Schweiz mit der leidgeprüften Ukraine von Bedeutung. Die von Aussenminister Ignazio Cassis einberufene Wiederaufbau-Konferenz in Lugano im letzten Jahr war hier ein stark beachtetes Signal. Doch klar ist auch: Das kriegsversehrte Land wird in Zukunft noch viel mehr Geld brauchen. Es wird erwartet, dass die reiche Schweiz ihren Beitrag leistet. Eine weitsichtige Finanzpolitik muss das auch in Zeiten von Verteilkämpfen und Sparrunden beachten.

Und drittens betonte Macron mehrmals, dass sich Europa militärisch selber verteidigen können müsse. Der bis im Mai 2027 amtierende Präsident hat dabei wohl auch das Szenario einer drastisch verringerten Unterstützung durch die USA im Hinterkopf, sollte Donald Trump im Januar 2025 ins Weisse Haus zurückkehren.

Die Einbettung der neutralen Schweiz und ihrer Armee in ein europäisches Verteidigungsdispositiv ist politisch besonders umstritten. Nicht nur bei der SVP. Auch bei Rot-Grün, wo man sich sonst pro-europäisch gibt.

In den in West- und Mitteleuropa weitgehend friedlichen drei Jahrzehnten seit dem Ende des Kalten Krieges liess es sich gut ignorieren – doch in den multiplen Krisen, in denen wir uns heute wiederfinden, merkt die Schweiz: Wir sind Europäer, ob wir es wissen wollten oder nicht.