Herr Schellenberg, Sie sind seit gut 100 Tagen Chef der Luftwaffe. Als Nicht-Pilot hatten Sie in dieser Zeit bestimmt viel zu entdecken.
Aldo C. Schellenberg: Ich komme ursprünglich von der Fliegerabwehr und wusste relativ wenig vom Flugbetrieb. Mein Motto für die ersten 100 Tage lautete: «Luege, Lose, Laufe.» Ich wollte möglichst alle Bereiche der Luftwaffe kennen lernen und jedem Mitarbeiter die Hand schütteln.
Jedem Ihrer rund 1500 Mitarbeiter?
Im übertragenen Sinn (lacht).
Nach Ihrer Ernennung hörte man, die Piloten hätten lieber einen Chef aus den eigenen Reihen.
Dem würde ich widersprechen: Sie wollen nicht primär einen Piloten als Kommandanten, sondern jemanden, dem sie vertrauen können. Das war zu Beginn sicher ein Handicap: Die Piloten kannten mich nicht. Ich war ein Fremder. Das löste Ängste aus. Widerstand spürte ich aber keinen. Mittlerweile bin ich sehr zuversichtlich, dass es gut kommt.
Verstehen Sie die Faszination des Fliegens?
Fragen Sie mal den Piloten, der mit mir kürzlich einen Looping gemacht hat. Ich jauchzte auf dem Rücksitz vor Freude! Ich kann die Leidenschaft für das Fliegen gut nachvollziehen. Man darf aber nicht vergessen: Das Militärpiloten-Metier ist knochenharte Arbeit im Dienste der Sicherheit für unser Land.
Wollen Sie selber die Pilotenlizenz noch machen?
Als Luftwaffenchef muss man nicht Pilot sein. Ich habe wenig Zeit zur Verfügung. Und es ist auch nicht die Idee, dass ich auf Kosten der Steuerzahler die Lizenz mache.
Bis 2011 waren Sie Milizoffizier, seit 2000 sind Sie nicht mehr in der Luftwaffe. Wie haben Sie alle anderen Kandidaten ausgestochen?
Ich habe mich nicht beworben. Ich wurde von Bundesrat Ueli Maurer und Armeechef André Blattmann angefragt.
Und warum wollten sie gerade Sie?
Das müssen Sie die beiden fragen. Man sagte mir ganz einfach, ich sei aufgrund meiner beruflichen und militärischen Erfahrung geeignet. Ich selber habe nicht damit gerechnet, dass ich nur ein Jahr nach meiner Ernennung zum Chef des Armeestabes an die Spitze der Luftwaffe berufen würde.
Sie kennen Armeechef André Blattmann schon lange. Wollte er einen Vertrauten bei der als widerspenstig bekannten Luftwaffe installieren?
Nein. Wir sind keine «Gspusis». Wir sind uns erstmals 1988 in der Kaserne Payerne über den Weg gelaufen und haben aus Versehen Duzis gemacht: Ich glaubte, er verdiene wie ich den Kadi ab, und habe mich mit Aldo vorgestellt. Dabei war er ein Einheitsinstruktor und hierarchisch höher . . . Er hats mit Humor genommen und sich auch gleich mit Vornamen vorgestellt. Bis zu meiner Ernennung als Chef Armeestab haben wir uns weniger als ein Dutzend Mal getroffen.
Was sind die Vorteile eines Luftwaffenchefs, der einen Grossteil seiner Karriere nicht bei der Armee verbracht hat?
Als Aussenstehender bringe ich eine neue Perspektive ein. Nur schon mit der Art und Weise, wie ich Fragen stelle, kann ich viel bewegen. Zudem ist betriebswirtschaftliches Wissen für diese Funktion entscheidend.
Wer führt jetzt Ihre Consulting-Firma?
Meine Frau.
Wie vermeiden Sie Interessenskonflikte?
Ich bin zwar noch Inhaber und einziger Aktionär der Firma, habe aber keine Funktion mehr. Wichtig ist, dass Schellenberg Consulting keine Aufträge mehr annimmt. Meine Frau betreut als Geschäftsführerin und einzige Mitarbeiterin nur noch die Kunden, die sie schon früher hatte. Das ist mit dem Verteidigungsdepartement so abgesprochen.
Schellenberg Consulting ist kein unbeschriebenes Blatt: Im Zusammenhang mit dem Swissair-Prozess kamen Sie in die Schlagzeilen, weil Sie ein Gutachten erstellt hatten, das von allen Seiten zerzaust wurde. War das ein Thema bei Ihrer Anstellung?
Es war ein Thema bei meiner Ernennung zum Brigadekommandanten. Damals habe ich in einem Schreiben an den Bundesrat im Detail offengelegt, was in diesem Prozess meine Rolle war. Das Gutachten wurde übrigens nicht von allen Seiten zerzaust: Es war die Verteidigung, die es kritisierte. Das ist auch die Aufgabe einer Verteidigung. Mir wurde belegbar von verschiedenster Seite attestiert, dass ich fundierte Arbeit geleistet habe.
Themenwechsel: Die Beschaffung des Kampfjets Gripen ist bisher ein Debakel. Die Sicherheitspolitische Kommission des Nationalrates hat die Beratung des Geschäfts erneut verschoben, weil sie mit den Erklärungen des Verteidigungsdepartements nicht zufrieden ist.
Daran sehe ich nichts Falsches. Es ist wichtig, dass das Parlament voll und ganz hinter diesem Flieger steht. Wenn nicht einmal die Politiker überzeugt sind, müssen wir nicht meinen, wir könnten eine Volksabstimmung gewinnen.
Die Forderungen aus dem Parlament sind doch längst bekannt. Warum gibt es immer noch derart viele offene Fragen?
Es ist in der Geschichte der Rüstungsbeschaffungen aussergewöhnlich, dass sich das Parlament so detailliert mit einem Vertrag befasst. Die Sicherheitspolitische Kommission will zuerst den endgültigen Vertrag sehen, bevor sie dem Kauf zustimmt. Dieser Text liegt aber erst Mitte Mai vor.
Einer der grössten Kritiker des Gripen ist SVP-Nationalrat Thomas Hurter – ausgerechnet ein Luftwaffen-Pilot. Stört Sie das nicht?
Nein. Ich hatte auch nie den Eindruck, dass er etwas gegen den Gripen als Flugzeug hat. Er beurteilt das Geschäft rein politisch. Ausserdem ist er mir nur als Milizpilot unterstellt. Was er ausserdienstlich macht, ist ihm – wie allen anderen Mitarbeitern – freigestellt.
Ist Hurter nicht die Speerspitze der Luftwaffen-Piloten, die lieber ein leistungsfähigeres Flugzeug als den Gripen hätten?
Ich kenne keinen einzigen Piloten in der Luftwaffe, der sich gegen den Gripen ausspricht.
Tatsächlich?
Wir sind loyale Soldaten. Im Moment, als der Evaluationsentscheid fiel, sagten wir uns: Gut, setzen wir alles daran, dass Entwicklung und Beschaffung des Gripen zu einem Erfolg werden. Es geht jetzt nicht mehr darum, ob wir den Gripen oder ein leistungsfähigeres Flugzeug beschaffen. Sondern um den Gripen oder gar keines. Das wissen auch unsere Piloten.
Was wären die Konsequenzen, wenn das Volk am Ende Nein sagt zum Gripen-Kauf?
Dann können wir den Luftpolizeidienst nur noch bei normaler Bedrohungslage erfüllen. Für die Überwachung des Luftraums am World Economic Forum in Davos hätten wir mit den 33 F/A-18 noch knapp genug Kapazitäten, weil wir die Jets vorher und nachher schonen. Aber in einer Krisensituation könnten wir unseren Luftraum nicht mehr über längere Zeit schützen. Bei ständiger Präsenz von vier Einsatzflugzeugen im Luftraum wäre nach knapp zwei Wochen Schluss. Das Problem ist also die Durchhaltefähigkeit.
Machen 22 zusätzliche Flieger einen derart grossen Unterschied?
Sie machen sogar einen Riesenunterschied. Mit den Gripen würden sich diese knapp zwei Wochen auf vier Wochen verlängern. Wir könnten also im Krisenfall mehr als doppelt so lange permanent in der Luft bleiben.
Aber wenn es zu einer grossen Krise kommt, reicht auch das nicht.
Das ist so. Dann müssten wir bei der Luftraumüberwachung zeitliche Lücken in Kauf nehmen. Für einen echten Konflikt wären im Minimum 60 bis 80 Flugzeuge nötig.
Wenn Sie die Gripen-Abstimmung gewinnen, wollen Sie bis zur Auslieferung 11 ältere Jets von Schweden mieten, damit sie die 54 Tiger F-5 ausser Betrieb nehmen können. Das ist eine sehr teure Lösung. Könnten Sie nicht noch einige Jahre länger mit den Tiger fliegen?
Die Tiger sind veraltet und erfüllen unsere Minimalanforderungen im Luftpolizeidienst nicht mehr. Sie können nur bei Tag und nur bei gutem Wetter fliegen. Wir setzen sie fast nur noch zu Trainingszwecken ein. Wenn wir 11 Gripen C mieten, haben wir viel rascher eine viel bessere Luftwaffe – und das erst noch zu vernünftigen Kosten.
Wie viel konkret?
Die Tiger-Flotte kostet uns heute rund 50 Millionen Franken im Jahr. Der Aufwand für die 11 Gripen beträgt rund 55 Millionen jährlich. Im Klartext: Für nur fünf Millionen mehr erhalten wir eine viel bessere Flottenleistung.
Ob das Parlament das Geld für die Miete sprechen wird, ist dennoch fraglich. Ärgert es Sie, dass die Luftwaffe je länger, desto mehr zum Spielball der Politik wird?
Nicht nur die Luftwaffe, die ganze Armee ist seit Jahren massiv unterfinanziert. Das Armeebudget blieb konstant, während sich der Bundeshaushalt verdoppelte. Unseren Leistungsauftrag können wir mit den verfügbaren Mitteln nicht mehr erfüllen. Wir haben null Planungssicherheit. Die Folgen sind Mängel bei Ausrüstung und Unterhalt sowie Stellenabbau.
Sie sind nicht der einzige Staatsangestellte, der über fehlende Mittel klagt: Es wollen alle mehr Geld.
Ich habe nur festgestellt, dass unser Budget real um 40 Prozent zurückgegangen ist. Die Vorgaben im Armeebericht 2010, dem das Parlament zugestimmt hat, können wir damit nicht erfüllen. Wir erhalten also einen Auftrag, aber nicht die Mittel dazu. Das geht nicht auf. Zudem: Wegen der Armee musste noch nie ein anderer Ausgabenbereich des Bundeshaushaltes sparen.
Das stimmt nur bedingt: Im Sparprogramm des Bundes für die Jahre 2014 bis 2016 müssen andere Departemente zusätzlich sparen, weil die bürgerlichen Parteien zur Finanzierung des Gripen 300 Millionen Franken mehr wollen für die Armee als der Bundesrat.
Nein, die anderen Departemente müssen nicht sparen, sie können nur weniger ausgeben.
Das ist Ihre Interpretation.
Ich kann das mit Fakten belegen. Sie bekommen lediglich etwas weniger Ausgabenwachstum, als sie wollen. Das ist nicht das, was ich unter Sparen verstehe.
Zur Patrouille Suisse: Ueli Maurer hat zugesichert, dass sie erhalten bleibt, auch wenn die Tiger nicht mehr fliegen. In welcher Form werden Sie die Patrouille erhalten?
Für mich gibt es vier Varianten. Die erste: Wir behalten eine kleine Anzahl Tiger F-5. Das macht finanziell aber keinen Sinn. Die zweite: Wir nehmen Gripen oder F/A-18. Dann wären wir neben Russland, den USA und der Türkei das einzige Land, das ein einsatzfähiges Kampfflugzeug zu Vorführzwecken braucht. Auch das wäre finanziell eher fragwürdig.
. . . und Sie könnten die Jets nicht rot bemalen?
Nein, die rote Farbe beeinflusst gewisse Eigenschaften des Flugzeugs, die man im Ernsteinsatz braucht. Zudem kostet das Bemalen – je nach Farbwahl und Machart – gegen 150 000 bis 200 000 Franken pro Jet. Aber es gibt eine dritte Variante – mit roten Fliegern: Wir erklären das PC-7-Team zur Patrouille Suisse. Der Vorteil dabei wäre die grosse Anzahl der Flieger. Das imponiert den Zuschauern. Die vierte Möglichkeit wäre eine Patrouille Suisse mit PC-21. Doch diese Flieger brauchen wir derzeit allesamt für unsere Pilotenausbildung.
Das heisst, am ehesten wird die PC-7-Staffel zur Patrouille Suisse?
Das habe ich nicht gesagt. Beschlossen ist nichts, und das letzte Wort liegt beim Departementschef. Entscheiden können wir erst, wenn klar ist, ob wir den Gripen bekommen.