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Militär

Lockere Regeln für die Rüstungsindustrie: Ständerat senkt Hürden für Exporte – warum die Ukraine trotzdem kaum davon profitiert

Waffen aus Schweizer Produktion dürfen derzeit nicht an die Ukraine gehen. Mehrfach hat der Bundesrat entsprechende Gesuche mit Verweis auf die Neutralität abgelehnt. Nun soll es Änderungen geben. Doch Widerstand ist programmiert.
Munition aus Schweizer Produktion soll einfacher weitergegeben werden können.
Bild: Keystone

Der Ständerat will die Exportbeschränkungen für die Waffenindustrie deutlich lockern. Kriegsmaterial soll künftig einfacher an andere Länder verkauft werden können. Und diese sollen Munition und andere Rüstungsgüter auch an weitere Länder weitergeben dürfen.

Was hat der Ständerat entschieden?

Im Grundsatz ging es um einfachere Bewilligungen für Waffenkäufe in der Schweiz. 25 Länder mit «ähnlichen Werten» wie die Schweiz sollen künftig grundsätzlich in der Schweiz Kriegsmaterial kaufen dürfen. Einzig wenn «aussen- oder sicherheitspolitischen Interessen der Schweiz» dagegen sprechen, sollen die Ausfuhren nicht bewilligt werden. Heute ist das Recht deutlich restriktiver.

Profitieren können vor allem Staaten der Nato. Ebenfalls von den grundsätzlichen Lockerungen begünstigt sind Argentinien, Australien, Irland, Japan, Neuseeland und Österreich.

Dürfen diese Länder Kriegsmaterial aus der Schweiz weitergeben?

Auch hier will der Ständerat die Regeln lockern – und zwar deutlich. Künftig sollen die Länder, die in der Schweiz Munition oder anderes Kriegsmaterial gekauft haben, dieses ohne Rücksprache an andere Länder weitergeben. Heute muss dafür immer ein Gesuch gestellt werden. Mehrfach hat der Bundesrat so die Weitergabe von Armeesachen an die Ukraine unterbunden. Das widerspreche der Neutralität der Schweiz.

Eingebracht hat diesen Antrag FDP-Präsident Thierry Burkart. Unter den Einschränkungen bei den Munitionsweitergaben habe die Rüstungsindustrie in den vergangenen Monaten gelitten, argumentierte Burkart. Tatsächlich haben mehrere Länder angekündigt, künftig ihr Kriegsmaterial nicht mehr in der Schweiz zu kaufen. Die heimische Industrie pochte deshalb auf gesetzliche Lockerungen.

Dann landet bald Munition aus der Schweiz in der Ukraine?

Das ist grundsätzlich möglich, aber vorläufig eher unwahrscheinlich. Erstens wird es noch eine Weile dauern, bis das neue Gesetz in Kraft tritt. Zweitens gilt es nicht rückwirkend. Kriegsmaterial, das in der Schweiz vor Inkraftsetzung gekauft wurde, ist von Weitergaben weiterhin ausgeschlossen. Ebenso soll verunmöglicht werden, dass andere Länder Munition bestellen und dann sofort an die Ukraine geben würden. Eine solche Umgehung des Rechts soll verhindert werden.

Trotzdem: Ist das mit der Neutralität vereinbar?

Hier gehen die Meinungen weit auseinander. Für Daniel Jositsch (SP/ZH) werde sie mit dieser Anpassung so unterwandert, dass sie faktisch nicht mehr existiere. «Wenn Sie als Soldat von einer Patronenkugel getroffen werden, auf der ‹Swiss made› steht, dann finden Sie nicht, dass die Schweiz neutral ist.»

Anderer Auslegung war die bürgerliche Seite: Hier gehe es um die Wahrung der bewaffneten Neutralität. Gehe die Schweizer Rüstungsindustrie ein, so habe die Armee auch keine Möglichkeit, sich mit einheimischem Kriegsmaterial auszurüsten. «Eine glaubwürdige Verteidigungsfähigkeit ist ein Eckpfeiler der bewaffneten Neutralität», sagte Josef Dittli (FDP/UR).

Also geht es um die Schweizer Verteidigungsfähigkeit?

Hauptsächlich geht es um die Stärkung der Rüstungsindustrie. Diese hatte auch mächtig Dampf gemacht hinter den Kulissen. Ohne die Lockerungen drohen ihr erhebliche Einbussen. Teilweise würden bereits Stellen gestrichen und Teile der Produktionen ins Ausland verlagert. «Die Branche braucht nun die Unterstützung», so Burkart.

Werner Salzmann (SVP/BE) brachte die Gewissensbisse in ein schönes Votum: Es sei «ein Balanceakt zwischen ethischer Verantwortung und wirtschaftlichen und vor allem auch sicherheitspolitischen Interessen». Diese Argumentation verfing bei Mitte, FDP und SVP. Am Ende passierten die Lockerungen den Ständerat mit solider Mehrheit. Mehrere Parlamentarier betonten, dass sich seit dem Ausbruch des Ukrainekriegs die Weltlage deutlich geändert habe.

Auch ein Angriff auf einen Nato-Staat ist möglich – was wäre dann?

Hier wird es schwierig. Das Neutralitätsrecht gilt weiterhin und die Schweiz darf kein Material an kriegsführende Länder weitergeben. Die Gesetzesänderung gäbe dem Bundesrat ein bisschen Spielraum in dieser Frage. Wirtschaftsminister Guy Parmelin betonte, dass auch im Bündnisfall nicht alle Kriegsmaterial-Exporte an Nato-Länder gestoppt werden müssten.

Wie geht es nun weiter?

Das Geschäft geht nun in den Nationalrat. Auch dort werden heisse Diskussionen erwartet. In der SVP gibt es kritische Stimmen, vor allem bezüglich der Kompatibilität mit der Neutralität. Pirmin Schwander (SVP/SZ) sprach von einer «Herkulesaufgabe», um diesen Konflikt zu lösen.

Aber selbst danach ist ein Referendum sehr wahrscheinlich. Die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) hat es bereits angekündigt; Grüne und SP haben ihre Unterstützung zugesagt. Mathias Zopfi (Grüne/GL) kritisiert, dass die kleine Kammer bei der Lockerung «jegliches Mass» verloren hat. Eine mögliche Abstimmung findet frühestens im kommenden Jahr statt.