notifications
«Kampfleserbriefschreiber»

Lobbyist agierte heimlich im Auftrag des Geheimdienstes: Untersuchung rüffelt NDB

Der ehemalige Geheimdienstchef hat mit einem Lobbyisten einen geheimen Vertrag abgeschlossen. Eine Administrativuntersuchung kommt zum Schluss, dass kein Straftatbestand vorliegt. Doch der NDB habe interne Weisungen «missachtet». 

Ein Lobbyist war während fast zweier Jahre als Berater für den ehemaligen NDB-Chef tätig. Eine Untersuchung übt nun Kritik am Geheimdienst. (Symbolbild)
Bild: Michel Canonica

Der Lobbyist Roger E. Schärer hat in seiner langjährigen Karriere viele Leserbriefe geschrieben, die in Zeitungen veröffentlicht wurden. In einigen davon lobte er den ehemaligen Geheimdienst-Chef Jean-Philippe Gaudin und Verteidigungsministerin Viola Amherd in den Himmel. Pikant dabei ist: Schärer stand insgeheim im Sold des Nachrichtendienst des Bundes (NDB). Die Tamedia-Zeitungen haben den Fall Anfang Jahr publik gemacht.

Gemäss dem Zeitungsbericht war der Lobbyist direkt Gaudin unterstellt. Er sollte den ehemaligen NDB-Chef beraten und ein Kontaktnetz in «Wirtschafts-, Finanz-, Industrie- und Denkplatz, Wissenschaft, Kultur und Politik» und mit «deren wichtigen Führungskräften und Exponenten» aufbauen.

Als seine Beratungstätigkeit aufflog, hat das Verteidigungsdepartement (VBS) im Februar eine Berner Anwaltskanzlei mit einer Administrativuntersuchung beauftragt. Deren Ergebnisse hat das VBS am Donnerstag bekanntgegeben. Das VBS nennt im Bericht keine Namen und spricht stattdessen von einem Dienstleistungsvertrag «zwischen einem damaligen Topkader des NDB und einer externen Person».

Das VBS muss über die Bücher

Der Bericht zeigt auf, dass Schärer für seine etwa zweijährige Beratungstätigkeit eine monatliche Entschädigung von 5000 Franken erhalten hat. Hinzu kamen Spesen in der Höhe von 6875 Franken, die ihm ebenfalls ausbezahlt wurden. Zwar schlussfolgert der Bericht, dass «kein strafrechtlich relevanter Tatbestand» vorliege. Dafür wurden die «internen Weisungen über die Beschaffung von Gütern und Dienstleistungen missachtet», wie es in der Mitteilung heisst.

Der Bericht empfiehlt, dass eine «vermehrte Sensibilisierung der internen Beschaffungsprozesse» notwendig sei. Weiter sollen interne Weisungen überprüft und bei externen Dienstleistungen zu Gunsten des Topkaders eine Genehmigungsinstanz eingeführt werden. Der Bericht empfiehlt ausserdem, dass Mitarbeitende sensibilisiert werden, Missstände am Arbeitsplatz zu melden.

Laut Angaben des VBS werden die Empfehlungen umgesetzt. Es habe den Bericht den zuständigen Aufsichtsbehörden zukommen lassen und sie über die Umsetzung der Empfehlungen informiert.

Einer der «besten vernetzten Schweizer»

Roger E. Schärer kann in seiner Karriere auf einige illustre Posten zurückblicken, wie ein Blick auf seine Website zeigt. Der 75-jährige Zürcher war unter anderem für die Grossbank Credit Suisse und die Winterthur-Versicherung tätig. Darüber hinaus war Schärer Honorarkonsul Polens in der Schweiz.

Gemäss den Tamedia-Zeitungen schaffte er es, die Grossen der Weltpolitik als Redner in die Schweiz zu locken: Colin Powell, Kofi Annan, Michail Gorbatschow. Nach seiner Frühpensionierung blieb er als Berater aktiv, unter anderem für Bundesrat Johann Schneider-Ammann. Gegenüber den Tamedia-Zeitungen bezeichnete sich Schärer als «Kampfleserbriefschreiber» und einer der «besten in Wirtschaft, Politik und Armee vernetzten Schweizer».

Als Jean-Philippe Gaudin 2018 zum Direktor des NDB aufstieg, wurde der Lobbyist laut den Tamedia-Zeitungen dessen Berater. Der Zeitungsbericht zitiert dabei aus einigen von Schärers veröffentlichten Leserbriefen, in denen er seinen Chef in höchsten Tönen lobt. Gaudin sei ein «führungserfahrener Chef» mit «weit besseren Qualifikationen als seine Vorgänger», schrieb er etwa.

Kein Leserbriefbefehl

Auch VBS-Chefin Viola Amherd überschüttete er mit Lob, wie von den Tamedia-Zeitungen zitierte Leserbriefe zeigen. Als Gaudin im Sommer 2021 aufgrund von Unstimmigkeiten mit Amherd seinen Hut nehmen musste , änderte sich jedoch der Tenor in seinen Zuschriften: Bundesrätin Amherd kritisierte Schärer gemäss dem Zeitungsbericht nun plötzlich in harten Tönen.

Den Tamedia-Zeitungen erklärte der Lobbyist, dass er die Leserbriefe stets als Privatperson verfasst habe. Wegen der Geheimhaltung habe er nicht deklarieren dürfen, dass er für den NDB tätig war: «Ich bin frei und unabhängig, insbesondere im Verfassen von Leserbriefen, was ich in fünf Jahrzehnten bewiesen habe», lässt er sich zitieren. Gaudin beteuerte gegenüber den Tamedia-Zeitungen ebenfalls, dass er «nie» einen Auftrag für einen Leserbrief gegeben habe.