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Geheimdienst

«Kundschafter» oder «Kapellen»: So heissen die Spione durch die Zeiten

Nachrichtendienste gehören zu den Institutionen mit der allergrössten Beharrungskraft. Laut dem Philosophen Kant sollten sie nur im Krieg existieren. Doch wieso gibt es sie auch in Friedenszeiten?

Kriege sind hochriskante Projekte. Und deshalb sind dort alle Mittel erlaubt. Ein scharfsinniger Mann wie Kant vergisst denn auch die Spionage nicht. Denn im Krieg ist Wissen nicht nur Macht, sondern Garant für den Erfolg. Ein genialer Feldherr wie Wellington war sich nicht zu schade, seinen Sieg gegen Napoleon in Spanien mit seinem besseren Nachrichtendienst zu erklären. Mehr wissen als der Gegner; oder – noch besser: Wissen, was der Gegner weiss; damit gewinnt man Schlachten und irgendwann auch mal den Krieg. Aber Kant – so scharfsinnig er auch war – rechnet die Spionage gerade zu «niederträchtigen Mitteln», die «auf den Krieg beschränkt» bleiben und nicht «in den Friedenszustand übergehen».

Wie bitte?, möchte man fragen. Für uns sind Spione immer im Dienst. Vielleicht muss man, um Kant zu entschuldigen, hinzufügen, dass es keinen Friedenszustand geben kann, in dem spioniert wird. Das ist uns bei Freund- und Partnerschaften ohne weiteres einsichtig: Das funktioniert nur, wenn Vertrauen herrscht. Also wird es zwischen Staaten noch etwas dauern, bis Friede einkehrt. Denn Nachrichtendienste sind beharrlich, sie pflegen, einmal eingerichtet, einen Schutzmechanismus gegen ihre Abschaffung zu entwickeln. Sie besitzen auch die Mittel, sich selber unentbehrlich erscheinen zu lassen. Dazu gehören auch Mythen, wie der von James Bond. Seine Existenz schon ist seine Versicherung gegen die Abschaffung. Wer sollte denn sonst die Welt retten?

Geheimdienste sind wuchernde Monster. Und, weil es bei ihnen geheim zugeht, Horte der Korruption. Zugleich aber – und das mag überraschen – Horte der Inkompetenz. Allzu oft werden die Listigen überlistet (meist von ihnen selbst). Das erinnert an die berühmte Szene in Shakespeares Hamlet, als die willfährigen Spitzel Rosencrantz und Guildenstern ihr von Hamlet umgeschriebenes eigenes Todesurteil übergeben.

Die Auslandabteilung der Stasi pflegte ihre Agenten «Kundschafter» zu nennen. Natürlich nicht ohne Absicht. Kundschafter sind mutige Menschen, sie begeben sich in Feindesland und riskieren ihr Leben. Nicht immer finden sie Helfer wie im Alten Testament im Buch Josua zwei israelitische Kundschafter in Jericho die Prostituierte Rahab. Die Spionageabwehr Jerichos weiss, dass sie da sind. Aber die listige Rahab versteckt sie auf dem Dach unter den Flachsstängeln und schickt die Polizei weg. Dafür bleibt ihr Haus nach der Erstürmung Jerichos stehen und ihre Familie wird verschont. Ein roter Faden im Fenster garantiert das.

Es gab auch Spione im Nazi-Reich. Amateure, die sich gegen das Regime wandten. Sie übermittelten auf abenteuerlich-dilettantische Weise Informationen an die Sowjetunion. Harro Schulze-Boysen, Arvid Harnack und ihre Freunde bezahlten dafür mit dem Leben. Spionage als Widerstand.

Niederträchtig war dann, dass die Nachkriegsgeschichte die Gestapo-Bezeichnung «Rote Kapelle» übernahm und die Mitglieder des Rings so als Handlanger des (aktuellen) Feindes brandmarkte. Der Jargon passte halt: Funker nannte man «Pianisten», weil man ihre Handschrift heraushören konnte. Und Nachrichtenübermittler waren dann halt «Kapellen».

Das galt auch für den Schweizer Ableger. Alexander Rado, Ruth Werner, Rudolf Rössler – auch sie figurierten als «Rote Kapelle». Wurden aber unter anderem auch vom berühmten «Büro Ha» mit Informationen beliefert. «Ha» steht für Hans Hausammann, Offizier und Foto-Unternehmer, der in den 1930er-Jahren ein militärisches Nachrichtenbüro gründete. Sein Büro war die Kernzelle des Schweizer Nachrichtendienstes im Zweiten Weltkrieg. Ohne das «Büro Ha» wäre die Schweiz nämlich praktisch blind gewesen.

Es gibt zwei Epochen der Geschichte, die von Spionage durchtränkt sind. Die eine – und von ihr spricht Shakespeares Hamlet, wo jeder jeden bespitzelt und hereinzulegen versucht – war die Zeit der Fürstenhöfe der Renaissance. Machiavelli war nicht nur ein Zyniker, was Macht anbetrifft, sondern auch der menschlichen Gesellschaft, die auf Werten basiert wie Vertrauen und Respekt.

Die andere Epoche war der Kalte Krieg. Zwei Supermächte in Lauerstellung: Was gibt es Schöneres für die Geheimdienste? Sie schossen ins Kraut. Besonders die USA hatten Nachholbedarf. Die CIA wurde gegründet. In England und der Sowjetunion gab es die entsprechenden Einrichtungen schon. Die Sowjets hatten ihre Leute in den Regierungszirkeln des Westens platziert. Und auch in den Diensten gab es willige Informanten. Die USA vertrauten mehr auf technische Hilfsmittel. Hochfliegende Fotoflugzeuge wie die U-2 überflogen das Territorium des Feindes. Spezialisiert auf Hightech ist seit je die NSA (National Security Agency).

Der Kalte Krieg kennt auch die Dramen. Verräter wie Aldrich Ames oder die Cambridge Five, Überläufer wie Igor Gusenko, der den Amerikanern die Augen öffnete, dass Stalin schon überall seine Leute sitzen hatte; oder der bemitleidenswerte Anatoli Golitsin, der mit seinen «Enthüllungen» in der CIA eine «Hexenjagd« nach einem angeblichen Maulwurf lostrat; Paranoiker wie James Jesus Angleton, Chef der US-Gegenspionage, der Golitsin mal glaubte, dann wieder nicht – was weder ihm noch Golitsin guttat.